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Heilende Hände dringend gesucht

144 Tage bleibt eine freie Stelle als Physiotherapeut im Schnitt unbesetzt. Das ist auch in Dresden ein Problem.

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© Christian Juppe

Von Nora Domschke

Verspannter Nacken, Schmerzen in Armen und Rücken – wer viele Stunden täglich sitzend am Arbeitsplatz verbringt, dem wird das bekannt vorkommen. Was folgt, ist ein Gang zum Arzt, der im besten Fall ein Rezept für den Physio- oder Ergotherapeuten ausstellt. Eine neue Heilmittelverordnung schreibt vor, dass die Therapie innerhalb von zwei Wochen beginnen muss. „Genau das ist derzeit unsere größte Herausforderung“, sagt Roman Rietzschel. Der 44-Jährige ist therapeutischer Leiter im Rehazentrum an der Lockwitzer Straße in Strehlen. Seine Branche stecke mitten drin im Fachkräftemangel.

Doch woran liegt das? Einer, der sich 2012 für eine Ausbildung zum Ergotherapeuten entschieden hat, kann gleich mehrere Gründe dafür nennen. David Kirchner arbeitet seit 2015 im Rehazentrum, sein Spezialgebiet sind eben jene Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz verspannt vor dem PC-Bildschirm sitzen. „Ich mache das wirklich mit Herzblut“, sagt der 25-Jährige. Den Hauptgrund im Nachwuchsproblem der Branche sieht der junge Mann in den hohen Kosten. Gut 20 000 Euro kostet die dreijährige Ausbildung an einer privaten Schule; in Dresden gibt es fünf davon.

Die Einrichtungen haben deutschlandweit schon seit Jahren mit sinkenden Schülerzahlen zu kämpfen: Waren es im Jahrgang 2005/06 noch 25 800 angehende Physiotherapeuten, sind es 2016/17 nur noch 21 800. Die Zahl der Absolventen liegt allerdings deutlich darunter: 2016 waren es gerade einmal 5 300. Wenn sich immer weniger junge Menschen für diese Ausbildung entscheiden, müssen Schulen schließen. In Deutschland waren es im vergangenen Jahr fünf Einrichtungen. Im Vergleich zu 2012 sind es mittlerweile sogar 14 weniger. Weil der Fachkräftemangel ganz klar auch eine Frage des Geldes ist, fordert der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) eine kostenfreie Ausbildung für die Therapieberufe. Genau das hatten nahezu alle Parteien vor der Bundestagswahl auf ihre Agenda gesetzt. „Dieses Wahlversprechen muss sich nun im Koalitionsvertrag wiederfinden und dann auch umgesetzt werden“, fordert Andrea Rädlein, stellvertretende SHV-Vorsitzende. Derzeit könnten es sich viele Menschen schlichtweg nicht leisten, einen therapeutischen Beruf zu erlernen.

Und das hat drastische Folgen: Rund 144 Tage benötigen Arbeitgeber derzeit, bis sie eine freie Stelle als Physiotherapeut wieder besetzen können. 2016 waren es 123 Tage. 2017 gab es für 100 Arbeitsplätze gerade einmal 34 Bewerber. Schlimmer ist es nur in der Altenpflege; dort bleiben Stellen im Schnitt 167 Tage unbesetzt. Für den Patienten bedeutet das lange Wartezeiten – obwohl die Heilmittelverordnung ja genau das verhindern soll. Auch für die Therapeuten bleibt das nicht folgenlos. Sie müssen lange Arbeitstage in Kauf nehmen, Pausen sind praktisch nicht möglich, damit viele Patienten behandelt werden können. Der Lohn wiederum fällt nicht so üppig aus: 1 600 Euro brutto monatlich verdient ein Berufsanfänger in einem Privatunternehmen. Therapeuten im öffentlichen Dienst werden nach Tarif bezahlt und bekommen rund 40 Prozent mehr.

Roman Rietzschel vom Rehazentrum fordert eine bessere Ausbildung. Dauer und Inhalte sollen verändert werden. Und zwar so, dass Zusatzqualifikationen, etwa für Manuelle Therapie, schon beinhaltet sind. Derzeit müssen diese Abschlüsse zeitaufwendig und für eine fünfstellige Summe nach der Ausbildung erworben werden. Im Gespräch ist zurzeit außerdem ein Hochschulstudium, damit Therapeuten künftig unabhängiger von Ärzten arbeiten können. Rietzschel hält den Zugang zu diesem Beruf dann allerdings für noch schwieriger. Kurzfristige Lösungen seien gefragt.