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Herrnhuter Zahnärztin nimmt Abschied

Veronika Hutter ist im Ruhestand. Ihre Patienten müssen sich einen neuen Zahnarzt suchen. Noch gibt es Auswahl.

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© SZ/Steffen Gerhardt

Von Steffen Gerhardt

Herrnhut. Eigentlich ist Veronika Hutter seit dem 1. April im Ruhestand. Aber die Zahnärztin trägt noch immer ihren weißen Kittel, und in ihrer Praxis brennt bis abends das Licht. „Eine Praxis aufzulösen, ist von heute auf morgen nicht gemacht“, sagt sie und verschwindet in einem ihrer Räume, um einen weiteren Karton vollzupacken. Ihr Mann Franz, seit vergangenem Jahr Rentner, hilft ihr dabei.

Bis zum letzten Praxistag, am 31. März, kamen noch Patienten, um ihre Unterlagen abzuholen. Veronika Hutter ist froh darüber, dass der Vermieter, die Sparkasse, ihr noch eine Frist gegeben hat, um die Praxisräume im April besenrein zu übergeben. Denn schon einmal musste die Fachärztin mit ihrer Praxis umziehen. Das war 2013, als sie aus der ehemaligen Poliklinik in der Oskar-Lier-Straße in die leer stehenden Räume im Sparkassengebäude zog. Da hieß es auch, alles zusammenpacken und sich neu einrichten. Nun ist es aber ein Abschied für immer, den ihre Patienten bedauern.

„Viele haben sich mit etwas Wehmut von mir und meinen beiden Mitarbeiterinnen verabschiedet“, sagt die Zahnärztin. Schließlich praktizierte sie auf den Tag genau 25 Jahre in Herrnhut, mit einer kurzen Unterbrechung. In ihrer Herrnhuter Zeit hat sie viele Familien in ihrer Praxis behandelt. Und das sollte eigentlich so weitergehen. „Wir hätten es gern gesehen, wenn ein Nachfolger die Praxis weiterführt“, sagt die 62-Jährige. Gesucht nach einem Zahnarzt haben Hutters nicht erst vor Toresschluss. „Seit sechs Jahren sind wir auf der Suche, aber trotz intensiver Bemühungen war bis heute kein Nachfolger zu finden“, sagt Franz Hutter.

Was haben sie nicht alles versucht: An die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen wandten sie sich, um für ihre Praxis zu werben. „Zwei Interessenten hatten wir dadurch, die sind aber beide wieder abgesprungen aufgrund der ländlichen Gegend“, berichtet Franz Hutter. Aber die Suche ging weiter. Schließlich annoncierten Hutters in den führenden Zahnärztejournals in Polen und Tschechien in der jeweiligen Landessprache. Von polnischer Seite kam keine Antwort, nur drei aus Tschechien, aber in Herrnhut ansiedeln wollte sich keiner der drei Zahnärzte. „Unsere Erfahrung daraus ist, dass das Interesse der jungen Zahnärzte vorrangig den Großstädten gilt. Der ländliche Raum ist für sie nicht attraktiv genug. Auch gibt es hier weniger Privatpatienten“, lautet die Einschätzung von Hutters. Deshalb bleibt ihren 500 bis 600 Patienten im Quartal nur ein Weg, sich einen neuen Zahnarzt zu suchen. Die Auswahl haben sie, denn Herrnhut ist mit Zahnärzten gut versorgt. So lautet jedenfalls die Einschätzung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen (KZVS). Zugelassen in Herrnhut waren bis Ende März fünf Vertragszahnärzte, erläutert Cornelia Frömsdorf, Leiterin der Geschäftsbereiche Personal und Mitglieder. Das heißt, ein Zahnarzt stand bisher zur Behandlung von 1 244 Einwohnern zur Verfügung. „Mit nur noch vier Zahnärzten zurzeit gibt es theoretisch einen Zahnarzt für 1 555 Einwohner. Für eine 100-prozentige Versorgung sind für Herrnhut 3,7 Zahnärzte nötig. Grundlage ist, dass ein Zahnarzt für 1 680 Einwohner zuständig ist“, rechnet Cornelia Frömsdorf vor. Das heißt, dass laut KZVS auch nach Praxisschließung von Frau Hutter Herrnhut immer noch sehr gut mit Zahnärzten versorgt ist. Der Versorgungsgrad liegt sogar bei 108 Prozent. Im Umland gibt es 13 weitere Praxen mit Vertragszahnärzten (siehe Grafik), die alle in zumutbarer Entfernung erreichbar sind.

Dem widersprechen Hutters nicht. „Aber der Verteilerschlüssel berücksichtigt nicht die künftige Entwicklung“, sagt Franz Hutter. „In fünf bis zehn Jahren sehe ich hier im ländlichen Raum eine vergleichbare Entwicklung wie bei den Hausärzten. Längere Anfahrtswege wären dann unvermeidlich und sind heute schon für viele ältere Menschen problematisch. Sollte es bis dahin nicht gelingen, junge Fachärzte heranzuholen, würde sich die Versorgungslage wesentlich verschlechtern. Die noch verbliebenen Zahnärzte in Herrnhut haben dann auch das Rentenalter erreicht.“ Für die sichere medizinische Versorgung ist auch die Politik gefragt, ergänzt Franz Hutter. „Man sollte deshalb die Ärzte und Zahnärzte bei der Suche nach einem Nachfolger nicht alleinlassen. Die politischen Spitzenvertreter unserer Region in Bund und Land kennen das Problem und wurden von mir mehrmals informiert. Mein Eindruck ist, dass Landes- und Bundespolitiker sich zu wenig um das Problem kümmern, ihr Interesse dafür hält sich in Grenzen.“ Davon ist Franz Hutter im Gespräch mit der SZ überzeugt.

Derweil räumt seine Frau weiter die Praxis aus. Bis Ende März hatte sie noch Unterstützung von einer ihrer beiden Zahnarzthelferinnen. Sie geht wie Veronika Hutter gleichfalls in Rente. „Das haben wir zeitlich gut abgepasst“, sagt die Zahnärztin. Darüber ist sie froh, auch dass ihre andere Mitarbeiterin bereits bei einem Zahnarzt in Obercunnersdorf untergekommen ist.

Bleibt die Frage, was aus dem ganzen Inventar wird. „Das wird händeringend in der Ukraine gebraucht“, sagt Franz Hutter. Seine Frau und er haben sich entschlossen, einen Großteil davon nach Tschernobyl zu spenden. Dazu haben sie Kontakt zu einem Verein der Tschernobyl-Hilfe aufgenommen. Im Blick haben Hutters eine Klinik, die seit dem Reaktorunglück in einem erbärmlichen Zustand ist. Dort fehlt es an allem – vom Verbandsmaterial über Desinfektions- und Narkosemittel bis hin zu Operations- und Behandlungsstühlen. „Wir werden uns persönlich von dieser Situation überzeugen und möchten versuchen, diese Notlage ein wenig zu lindern.“