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Hilferufe an Allee-Bäumen

Die laminierten Zettel an den alten Kastanien an der Dresdner Straße in Reichenberg fallen auf. Aber was sollen sie bedeuten? Und wer hat sie angebracht?

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© Norbert Millauer

Von Sven Görner

Moritzburg. Die großen roten Druckbuchstaben auf weißem Papier sind nicht zu übersehen. „Hilfe!“ ist auf einigen zu lesen. Und auf anderen: „Wir sterben!“ eingerahmt von zwei schwarzen Kreuzen. Die Zettel sind mit Reißzwecken an mehrere der alten Kastanien entlang der Staatsstraße in Reichenberg geheftet. Vorbeigelaufen kommt hier kaum jemand. Doch auch aus dem Auto sind die Botschaften gut zu erfassen, falls die Fahrer nicht zu schnell unterwegs sind.

Auf wen oder auf was beziehen sich die Hilferufe. Auf die Allee-Bäume? Auf Vorbeifahrende, die daran verunglücken könnten? Zwei Reichenberger Anwohner zucken auf die Frage unschlüssig mit den Schultern. Tatsächlich sehen die alten Rosskastanien nicht gerade gesund aus. Ihre Blätter sind braun und vertrocknet. Viele sind schon zu Boden gefallen. Sollen sie deshalb gefällt werden? Oder gar, weil zwischen Moritzburg und Reichenberg in den nächsten Jahren endlich ein Radweg gebaut werden soll?

Das scheint nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Denn die Allee steht unter Denkmalschutz. Und als vor knapp zwei Jahren im Technischen Ausschuss des Moritzburger Gemeinderates vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv) die möglichen Varianten vorgestellt wurden, wie der Weg an der Straße entlang geführt werden könnte, gab es eine klare Aussage: Allee-Bäume dürfen dem Radwegbau nur im Ausnahmefall zum Opfer fallen.

Und so wurde der Weg dann auch streckenweise vor beziehungsweise hinter den Bäumen geplant. Zudem sind mehrere Wechsel der Fahrbahnseite vorgesehen. Daran hat sich auch jetzt mit den weiteren Planungen nichts geändert, wie Moritzburgs ehrenamtlicher Rad- und Wanderwegewart Wolf-Rüdiger Meyer sagt. Die aktuellen Pläne waren kürzlich vom Lasuv erneut im Technischen Ausschuss vorgestellt worden, dessen beratendes Mitglied der Moritzburger ist.

Also was bedroht die Bäume oder wen auch immer? Zwei Zettel, die aufgrund der vielen anderen schnell zu übersehen sind, geben möglicherweise einen Hinweis, wer hinter der Aktion stecken könnte. Auf diesen steht: „Danke Chemtrails“. Dieses Kunstwort, das aus den englischen Begriffen für Chemikalien und Kondensstreifen entstanden ist, lässt sich eingedeutscht auch als Chemikalienstreifen bezeichnen und steht für eine vermeintlich spezielle Art von Kondensstreifen. Diese Streifen sollen angeblich nicht von kondensierten Flugzeugabgasen erzeugt werden, sondern durch eigens ausgebrachte Chemikalien entstehen, die mit dem normalen Flugbetrieb nichts zu tun haben. Die Anhänger dieser seit den 1990er-Jahren verbreiteten Theorie vermuten dahinter ein großangelegtes weltweites Geheimprojekt zur systematischen Vergiftung der Luft.

In der jüngsten Moritzburger Gemeinderatssitzung im Steinbacher Dorfgemeinschaftshaus hatte ein Bürger der Großgemeinde, der scheinbar Anhänger dieser Verschwörungstheorie ist, an die Räte lange Zahlenreihen mit Messwerten aus Bayern verteilt. Dort werden anders als in anderen Bundesländern auch Werte für Aluminium und Barium im Staubniederschlag gemessen.

Welche Auswirkungen diese allerdings auf die Allee-Kastanien haben sollen, erklärt sich daraus nicht. Denn alle anderen Bäume und Sträucher in deren unmittelbarer Nachbarschaft sehen gesund aus.

Die Ursache für die vertrockneten Kastanienblätter ist indes seit gut 20 Jahren bekannt. Seit dem macht sich in Sachsen die Kastanien-Miniermotte breit. Deren Raupen fressen sich durch das Chlorophyll der Blätter, die sich danach zunächst verfärben und dann verdorren.