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Der Meister wandelt Seelenqual in Mut-Schöpfen

Matthias Eisenberg spielte an der Eule-Orgel der Hoyerswerdaer Johanneskirche ein bemerkenswertes Konzert der 55. Musikfesttage.

Von Uwe Jordan
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Matthias Eisenberg Donnerstag nach dem Konzert an der Eule-Orgel der Hoyerswerdaer Johanneskirche auf der Empore.
Matthias Eisenberg Donnerstag nach dem Konzert an der Eule-Orgel der Hoyerswerdaer Johanneskirche auf der Empore. © Foto: Gernot Menzel

Hoyerswerda. Es war, als ob die Eule-Orgel in der Hoyerswerdaer Johanneskirche vernommen hätte, was der Meister kurz vor seinem Auftritt über sie geäußert hatte: ein klang- und spieltechnisches Glanzstück, sei, nun ja, sie eben nicht; wenn man ihn frage, würde er von einer neuerlichen Überholung abraten, sondern stattdessen eine komplette Neu-Anschaffung empfehlen.

Das Wiederaufarbeiten brächte für einiges (nein: vieles) Geld doch nicht den erhofften Effekt. Und meistens habe er mit solchen seinen Vorhersagen in dieser Hinsicht Recht behalten. – Wer hört schon solches gern von sich sagen, selbst wenn er beziehungsweise sie nur eine scheinbar unbelebte Orgel ist wie die in der Hoyerswerdaer Johanneskirche? Muss es nicht nur noch mehr schmerzen, wenn dieses Verdikt nicht von einem Laien oder gar einem für Kunst und Seele völlig unempfindlichen Ökonomen und Nützlichkeitsrechner kommt, sondern aus dem Munde eines Genies? Des Virtuosen Matthias Eisenberg? Der ja am Donnerstagabend weiß Gott nicht zum ersten Mal an den Pedalen und Tasten des von der Bautzener Firma (Hermann) Eule erbauten, 1967 erstmals gespielten Instruments mit 1.872 Pfeifen in 26 Registern; drei Manualen, einem Pedalwerk und Koppeln saß?

Diese Orgel hatte ihre letzte Überholung 2009 erfahren; war am 11. Oktober jenes Jahres feierlich wieder in Betrieb genommen worden. Eisenberg hingegen hatte sie schon 2005 zu den 40. Hoyerswerdaer Musikfesttagen gespielt; 2009 (vor der Revision) im Duett mit dem Klarinetten-Weltkünstler Giora Feidman, 2014 als „Begleiter“ des Bass-Baritons Michael Zumpe ...

Eisenberg erinnerte sich sogar an seinen ersten Auftritt an der Eule-Orgel der Johanneskirche in besagtem Premiere-Jahr 1967, fand eingedenk dessen auch beschwichtigende Worte für die Orgel: Sie sei eben ein Kind ihrer Zeit; könne nichts dafür, dass sie in Zeiten schmalster Kassen und entsprechend bescheiden gewandet das Licht der Klang-Welt erblickt habe. Und die Hoyerswerdaer seien ja so stolz auf ihre Orgel gewesen (und sind es noch heute!) ...

Gleichviel – die Orgel war ob ihrer Verurteilung von stillem Grimm erfüllt. Und nahm übel. Als Eisenberg am Donnerstag vor gut 200 Zuhörern des Konzerts der 55. Hoyerswerdaer Musikfesttage die ersten Töne von Bachs Toccata & Fuge in F (BWV 540) erklingen ließ, verweigerte das Instrument mit kleinen Aufsässigkeiten in zwei, drei Passagen die richtigen Töne; hörbar nur dem Aufmerksamen (dem jedoch un-überhörbar); ein „Das-hast-du-nun-davon“, aber stets ohne offene Boshaftigkeit, sondern eher wie das verständnisheischende Aufbegehren eines (kranken) Stiefkindes, das ja nichts anderes will als Zuwendung, Aufmerksamkeit, Verständnis ...

Und hier erwies sich Eisenbergs souveräne Meisterschaft. Statt mit harter Hand die Königin (der Instrumente) unter seinen Willen zu zwingen (was er unstrittig gekonnt hätte), suchte und fand er die Gemeinsamkeit von Werk, Orgel und Interpret. Ließ die Orgel tun, was sie konnte – keinesfalls im Sinne eines alles gutheißenden, im Kern aber nur gleichgültigen und gerade darum alles, alles verderbenden, heute bedauerlicherweise und zeitgeistig folgerichtig im Schwange seienden „Laissez-faire“, sondern sie ermutigend: Herausfindend, fördernd, was ihren Fähigkeiten entspricht; vermeidend, woran sie scheitern muss. Kurz: Er ließ sie eben nicht tun, was sie vielleicht tun wollte (und was in Schludrigkeit geendet hätte), sondern, um es zu wiederholen: das, was sie tun konnte und so das zeitigte, was allen wohlgefiel.

Exemplarisch dafür Wolfgang Amadeus Mozarts Andante in F (KV 161): kein donnernder, alles überwältigender Akkorde-Ozean, mit dem man gewiss manche Schwächen der Orgel hätte überbrüllen können, sondern flötengleiches Lied solistischer Töne, glockenhelles Gelächter, Vogelgezwitscher, tänzerische Anmut ... So geleitet und aufgebaut, fand die Orgel zunehmend Sicherheit und Fülle: Adolph Friedrich Hesses Variationen über ein Original-Thema A-Dur: geradezu lehrbuchhaft im besten Sinne. Felix Mendelssohn Bartholdys Sonata B-Dur mit einem überaus tröstlichen, warmen, melodischen Andante religioso. Und schließlich die Zugabe, auf Publikums-Zuruf „Komm, lieber Mai, und mache / die Bäume wieder grün ...“ – Eisenberg intonierte, improvisierte, variierte geradezu lustvoll das Volkslied (dessen Melodie von Mozart stammt) und endete das Spiel, nun doch noch, volltönend, „alle Register ziehend“; die Seelenqual der Orgel in Mut-Schöpfen gewandelt habend.

Nach dem Konzert wurde den den Heimweg antretenden Besuchern listigerweise der Opferstock „Für unsere Orgel“ direkt in den (Aus-)Weg gestellt. Manche Münze, mancher Schein wurde eingeworfen. Vielleicht behält Meister Eisenberg ja dieses eine Mal mit seiner Verdammung Unrecht und wir erleben ihn Jahre später an einer neuerlich sanierten Eule-Orgel.