Die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit.

Hoyerswerda. Wider den Schlaf der Vernunft“ hatte TAGEBLATT am 11. Juli 2017 seinen Bericht über das Triptychon des Spohlaer Malers Karl-Heinz Hochstädt getitelt, jenes Werkes, das wenig später im Wittichenauer Friedrich-Forell-Zentrum gezeigt wurde, dann im Leag-Kraftwerk Schwarze Pumpe als Schlusspunkt der dortigen Galerien; auch im Museum der Westlausitz Kamenz und in Bad Honnef, Partnerstadt von Wittichenau, dessen Ortsteil Spohla ist.
Jetzt ist es, man könnte sagen: als erste Nach-Corona-Aktion der Hoyerswerdaer KulturFabrik (Bürgerzentrum Braugasse 1) zu sehen – aber nur bis 26. Januar; etwa eine Woche. Dann geht das vierteilige Werk nach Knappenrode – in die Dauerausstellung „Flucht und Vertreibung“ in der Nähe der Energiefabrik an der Werminghoffstraße. Hochstädt hätte sein Bild auch anderswohin, fernab der Region Wittichenau/Hoyerswerda, verkaufen können (auch einträglicher ...), „aber es ist mir wichtig, dass es in der Region bleibt. Dass es junge Menschen hier sehen können. Und verstehen.“
Wie einst Goya
Die TAGEBLATT-Titelzeile von 2017 war ein Bezug auf Goyas Blatt „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ von 1799; gezeigt heute im Museo de Calcografía Nacional, Madrid. Goyas Werk ist, wie auch sein Titel, doppeldeutig – denn „sueño“, so das spanische Original, kann sowohl „Schlaf“ als auch „Traum“ bedeuten, und der Schläfer/Träumer, die zentrale Gestalt der kleinen Radierung, ist sowohl Empfänger als auch Hervorbringer jener Ungeheuer; Laster, Vorurteile und Aberglaube – kurz: des Schlechtesten, was Mensch überhaupt zu zeitigen vermag. Auch vermag. Denn genau so kann er, lebendigen, wachen Sinnes und Verstandes, Großartiges schaffen.
Ganz in diesem Sinne ist die Warnung vor dem Übel Anliegen Goyas – und Anliegen von Karl-Heinz Hochstädts Triptychon. Ganz in diesem Sinne finden sich im Kern-Werk des Spohlaers brutale, deutlich-drastische Szenen – aber ebenso „Hoffnung“; so der Name der rechten Tafel.
„Sie schreien immer wieder“
Wobei Hochstädt vor allem eines wichtig ist: die Wahrheit. „In der Welthistorie war Gewalt ständig existent“, sagt Hochstädt nüchtern. Das gilt, leider, auch heute, und es gilt sogar in diesem Land: „Morddrohungen gegen einen Ministerpräsidenten – wohin sind wir denn geraten ... Das ist schon eine unheilvolle Bestätigung der Mitteltafel meines Triptychons: «Sie schreien immer wieder».“ Als Gegenpol gilt freilich: „Der Schrei danach (nach Gewalt) hat Widerstand erzeugt als Überlebenskampf des Menschen.“ Denn der Mensch hat genau so lange die Hoffnung auf Erlösung, die er nicht von allein bewerkstelligen kann. Ohne sein Zutun wird sie ihm aber auch nicht zuteil. Nicht erst für das Jenseits gilt das, sondern viel mehr noch für das Diesseits.
Das Werk wurzelt tief; in den Kindheits- und Lebens-Erinnerungen von Hochstädt: „Die erschütternden Erlebnisse als Kind von der Trümmerwüste Dresden haben sich in meine Innenwelt eingegraben ... (Später) In Buchenwald, Theresienstadt und Dachau sah ich erschütternde Fotos. Es brannten sich die Bilder der Toten in meine junge Seele.“
Untergehen? Einhalt gebietend!
Am Anfang stand ein Traum Hochstädts: Er sah in einer Art Vision 2014 die Landschaft, die die Kulisse des Mittelteils bildet: Links eine Kirche die fest und unerschütterlich gegründet erscheint, der aber das Wasser schon an die Grundmauern geht. Das Nass fließt als breiige Masse weiter, erreicht als Feuerstrom die Dresdener Kirche(n), die im II. Weltkrieg Opfer der Zerstörung wurden. Vor diesem dräuenden Hintergrund eine Kreuzigungsszene. Menschenmassen, ohne Gesicht und somit jedes Gesicht in sich tragend; scheinbar stumm, aber letztlich beifallzollend; kurz: „Sie schreien immer wieder“ – und ganz zentral, kaum unterscheidbar von den Menschen, am Kreuzesfuß: der Tod. Die linke Tafel „Schmerz der Frauen“ und die Predella („Mord“) verstärken diesen Eindruck der scheinbar unüberwindlichen Macht der Gewalt; des Bösen. Aber da ist auf der Mitteltafel eine Hand zu sehen: sich reckend aus den Fluten, doppeldeutiges Symbol eben nicht nur für das unausweichlich scheinende Untergehen, sondern zugleich Einhalt gebietend.
Bei aller Düsternis ist Hochstädt kein Verkünder von Dystopien, von finsteren Zukunftsvisionen: „Ich habe mich gewissermaßen in das Triptychon hineingemalt in Gestalt des Hoffnungsgedankens.“ Logischerweise nicht in den ins Mystische entrückten, zur Unkenntlichkeit überglänzten Seelenwirbel, der obendrein scheinbar zum Inferno der Mitteltafel drängt, sondern als einzige „aufrechte“ Figur der klarer konturierten nicht Mitwirbelnden – und genau so als Einziger, der, angedeutet durch die Blickrichtung, der allgemeinen Strömung in Gegenrichtung zu entkommen trachtet. Aus eigener Kraft. Auch das ist eine Botschaft von Karl-Heinz Hochstädts „Triptychon“: Nicht sich treiben lassen, sondern selbst nach einem Aus-Weg suchen; selbst wenn der versperrt scheint.
Das Fünkchen Hoffnung
Vergleiche drängen sich auf: Grosz!; Dix! Sitte! Aber sie gehen fehl. Oder doch wenigstens nicht zugunsten der Großmeister aus. Grosz, Dix und Sitte malen, wenn sie das Grauen malen, über die Grenzen des Erträglichen; ja: Wahr- und Aufnehmbaren hinaus; grotesk, verfremdet, in der Abstraktion den Betrachter seltsam kalt und distanziert lassend. Hochstädt zeigt das Grauen, so unangemessen und scheinbar fehl am Platze das Wort dünkt: menschlich. Vor allem aber gibt es bei ihm das, was den Vorgenannten in weiten Teilen abgeht, was jedoch Kunst belebt und ans Herz greifen macht: Hoffnung. Einen winzigen Funken nur, aber eben jenen Funken, mit dem Gott, glaubt man Michelangelo, Adam schuf. Hoffnung für die Lebenden. Mehr noch: für die Künftigen. Mit einem prophetischen Satz wird Karl-Heinz Hochstädt unbedingt recht behalten: „Das Werk wird mich überdauern.“
Triptychon von Karl-Heinz Hochstädt (Spohla) – Werk, Ergänzungstafel „Verrat“, Skizzen und ein Kurz-Essay / KulturFabrik Hoyerswerda (Bürgerzentrum Braugasse 1), Foyer / bis 26. Januar 2022 / freier Eintritt