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„Die wichtigste Zutat ist Zeit“

In Hoyerswerdas Bäckerei Pieprz entsteht jedes Jahr die Zwei-Meter-Riesenstolle für den Weihnachtsmarkt.

Von Mirko Kolodziej
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Für das Ausformen und das Backen der Teschenmarkt-Stolle gibt es ein Arbeitsgerät, das André Pieprz tatsächlich nur ein einziges Mal im Jahr benutzt. Damit das Gebäck in einem Stück entstehen kann, hat der Bäcker sich eigens ein zwei Meter langes Backblec
Für das Ausformen und das Backen der Teschenmarkt-Stolle gibt es ein Arbeitsgerät, das André Pieprz tatsächlich nur ein einziges Mal im Jahr benutzt. Damit das Gebäck in einem Stück entstehen kann, hat der Bäcker sich eigens ein zwei Meter langes Backblec © Foto: Gernot Menzel

Hoyerswerda. Irgendwann holt André Pieprz einen Karton, in dem sich gute irische Butter befindet. Der Butter-Block wiegt sage und schreibe 21 Kilogramm. Pieprz legt ihn auf die Waage und schneidet ein Kilo ab. Den Rest benötigt er für den Teig. In der letzten täglich produzierenden Backstube von Hoyerswerda entsteht die Basis für Stollen.

Von den 120 Kilo Teig ist der größte Teil für die üblichen 35 Zentimeter langen Stollen gedacht, die es in der Bäckerei Pieprz zu kaufen gibt. Gut 15 Kilo aber werden für die wohl wichtigste Stolle gebraucht, die während so einer Adventszeit in der Stadt hergestellt wird. Das zwei Meter lange Gebäck hat Jahr für Jahr eine nicht zu unterschätzende symbolische Bedeutung.

Denn mit seinem Anschnitt beginnt der Weihnachtsmarkt, seit ein paar Jahren Teschenmarkt. „Schon mein Vater hat zu DDR-Zeiten die Stollen für den Weihnachtsmarkt gebacken“, erzählt Bäckermeister André Pieprz. Das von ihm verwendete Rezept stammt auch noch von Erich Pieprz (1926 -1998). In der Backstube in der Mittelstraße geht es so traditionell wie nur möglich zu. Dazu gehört, dass André Pieprz für den besagten Teig nicht nur 30 Bio-Zitronen ausgepresst hat.

Sondern eigenhändig hat er auch noch die Schale abgeraspelt. „Das macht eigentlich sonst kaum noch jemand, aber ich mag keine künstlichen Aromen“, sagt der Mann, der, während man ihm so bei der Arbeit zuschaut, klarmacht, warum überhaupt von Handwerk die Rede ist. Vom Zitroneauspressen übers Abwiegen bis zum Bestücken des Ofens – fast alles geschieht hier durch die Hände des Meisters.

Pieprz hat zum Beispiel zur Vorbereitung auch die notwendigen Rosinen in Rum eingelegt oder das benötigte Mark aus Vanilleschoten gekratzt. Aber, sagt er, nicht nur die möglichst traditionelle Art des Umgangs mit den Grundstoffen macht eine gute Stolle aus. Sondern es gelte auch ein alter Bäcker-Spruch: „Die wichtigste Zutat ist Zeit.“ Das zeigt sich in der Rührschüssel des vom Ofen abgesehen einzigen technischen Großgerätes, das am Backprozess beteiligt ist, nämlich der Knetmaschine. Ganz zu Anfang hat André Pieprz sie mit Mehl und Hefe bestückt. Und Letztere tut angeregt durch die notwendige Flüssigkeitszugabe, was sie tun soll. Wie man so umgangssprachlich sagt: Sie geht.

Eine Dreiviertelstunde im Ofen

Der Bäckermeister kann ziemlich genau erklären, wie die Zellen in der Hefe arbeiten, wie ihr biochemischer Stoffwechsel funktioniert. Unter dem Strich ist aber nur Eines wichtig: Man muss sie halt machen lassen. So wird der Inhalt der Rührschüssel immer mehr, genauer gesagt: Er legt ziemlich eindrucksvoll an Volumen zu, so dass man sich an das Märchen vom süßen Brei erinnert fühlt. „Ja, wir werden gleich alle Fenster aufmachen“, scherzt Pieprz.

Für ihn beginnt die Stollenzeit jedes Jahr mit der letzten Oktoberwoche. „So, dass wir etwa ab der zweiten Novemberwoche verkaufen können.“ Denn auch dem fertigen Gebäck soll noch einmal Zeit gegeben werden – zum Reifen, etwa so, wie gutem Käse. Nach und nach entstehen dann regelmäßig neue Stollen, so dass es im Normalfall bis in den Januar hinein reicht. Das Stollenbacken endet aber jährlich ungefähr eine Woche vor dem Weihnachtsfest. Im Angebot hat Pieprz nicht nur Butter-Rosinen-Stollen. Er erzählt, es gebe auch viele Leute, die lieber Mohnstolle essen.

Inzwischen – es sind auch alle anderen Zutaten wie Zitronat und Orangeat, Mandeln oder Salz im Teig – ist die Knetmaschine in Aktion. Auch sie braucht ihre Zeit und als sie fertig ist, sagt der Bäcker: „So, nun bleibt das Ganze eine Stunde stehen.“

Er holt währenddessen ein Utensil, das er nur einmal im Jahr benötigt, hervor, nämlich das zwei Meter lange Backblech.

Darauf wird die Riesenstolle für den Teschenmarkt ausgeformt und schließlich in den Ofen geschoben: Sie braucht 45 Minuten, erst bei 230 Grad Celsius, die sich aber während des Prozesses bis auf 200 Grad reduzieren. Bevor die Stolle am Freitagnachmittag zum nahen Markt transportiert wird, wird sie noch mit flüssiger Butter eingestrichen und mit Puderzucker bestäubt.

So einen riesigen Block irische Butter hat wohl kaum jemand zu Hause. Er wiegt 21 Kilogramm.
So einen riesigen Block irische Butter hat wohl kaum jemand zu Hause. Er wiegt 21 Kilogramm. © Foto: Gernot Menzel
Die Rosinen für den Stollenteig haben vor ihrer Verwendung einige Zeit getränkt in Rum verbracht.
Die Rosinen für den Stollenteig haben vor ihrer Verwendung einige Zeit getränkt in Rum verbracht. © Foto: Gernot Menzel
Darum heißt‘s Handwerk: Für die allermeisten Arbeitsschritte beim Backen sind die Hände die Werkzeuge.
Darum heißt‘s Handwerk: Für die allermeisten Arbeitsschritte beim Backen sind die Hände die Werkzeuge. © Foto: Gernot Menzel

Die Bäckerei Pieprz verzichtet dieses Jahr auf einen eigenen Marktstand. Aber das Geschäft in der Mittelstraße ist geöffnet. Man kann dort Rurkis essen oder einen Kaffee trinken – und selbstverständlich gibt es auch Stollen zu kaufen.