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Die Zeit ist wieder in den Fugen

Die Glocken an der Hoyerswerdaer Johanneskirche waren außer Takt geraten. Schuld war ein schnöder Pfennig-Artikel.

Von Uwe Jordan
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Johanneskirche Hoyerswerda, gesehen von der Kirchstraße aus. Aus den Schallluken über der Turmuhr erklingt seit Donnerstag wieder die korrekte Zeit-Angabe.
Johanneskirche Hoyerswerda, gesehen von der Kirchstraße aus. Aus den Schallluken über der Turmuhr erklingt seit Donnerstag wieder die korrekte Zeit-Angabe. © Foto: Uwe Jordan

Hoyerswerda. Vieles verliert sich im Dunkel der Geschichte – so auch das Wissen, ob die um 1500 erbaute Hoyerswerdaer Johanneskirche schon von Anfang an Glocken besaß. Nachweislich ist erstmals eine von Wolf Hilger in Freiberg 1526 gegossene Glocke, der sich um 1630 eine weiter beigesellte, wieder gegossen in Freiberg, aber nun von Johann Hilder. Beider Spur verliert sich. Heute hat das Gotteshaus am Hoyerswerdaer Kirchplatz vier Glocken. Einerseits dienen sie sakralen Zwecken, also der „Begleitung“ von Gottesdiensten – dann sind sie Geläut, dessen Klang dank der Religionsfreiheit unbeschränkt durch die Stadt schwingen darf.

Geläut und Schlagwerk

Die früheren Aufgaben als Feuer-, Sturm-, sonstigem Alarm- oder auch Schulgeläut haben, wenn überhaupt, heute andere Signal-Anlagen übernommen; Sirenen und Schulklingeln. Andererseits dienen die Glocken, gekoppelt mit der Turmuhr, als profanes Schlagwerk: eine Glocke kündigt Viertel- halbe, dreiviertel und volle Stunden an mit einem, zwei, drei oder vier Schlägen; und zur vollen Stunde zählt eine andere Glocke mit bis zu zwölf Tönen, welche Stunde geschlagen hat. Das ist dann weltliches Geräusch, und gegen das kann man in Berufung gehen. So war es auch bei der Hoyerswerdaer Johanneskirche, deren Glocken nachts schweigen.

Vor Wochen aber kam die Zeit auch tagsüber aus den Fugen: Die Stunden-Markierungen waren außer Rand und Band geraten. Statt gleichmäßiger Schläge gab es nun mitunter zwei ganz dicht beieinander, dann große Pausen und weitere Schläge – nur nie in der richtigen Zahl.

Da musste, wie schon bei anderen Gelegenheiten, die Heidenauer Glockenläute- und Elektroanlagen GmbH (HGE) ran. Sie betreut deutschlandweit etwa 1.600 Kirchen; darunter auch in Hoyerswerda, und Profis in Sachen Kirchen sind die Sachsen. Auch wenn der Name des Unternehmens anderes vermuten lässt: 97 Prozent seiner Aufträge betreffen Kirchen.

Nachts herrscht Schweigen

Mit der Hoyerswerdaer Johanneskirche, die sie seit 2002 in ihrer Obhut haben, haben die Heidenauer schon manches erlebt: 2006 war das Joch der großen Glocke angerissen, 2007 das Joch der zweitgrößten Glocke. Beides war, so HGE-Geschäftsführer Andreas Thumsch, vormaligen Konstruktionsfehlern geschuldet. Am 21. Juli 2009 setzte ein Blitzschlag das Glockenwerk komplett außer Betrieb; die Reparatur folgte im Dezember desselben Jahres. Das war ein Fall von höherer Gewalt. Im Februar 2011 war ein elektromechanischer Fehler aufgetreten. Auch hier wussten die HGE-Fachleute Rat. Das alles, so Andreas Thumsch, ist noch lange kein Grund, die Hoyerswerdaer Johanneskirche als Problemfall zu betrachten. Es sei eher normal, dass sich im Laufe der Zeit solche Reparaturen notwendig machen und erledigt werden. Als aber zum Karfreitag 2018 der nächtliche Stundenschlag verstummte, waren auch die Heidenauer machtlos: In Folge einer „Zugezogenen“-Beschwerde wurde die tönende Zeit-Bekanntgabe zwischen 22 und 6 Uhr ab- und damit eingestellt.

Nun also, 2020/2021, die Aussetzer im Schlagwerk. Erste Fern- und Vorab-Diagnose: Möglicherweise ein elektrischer Fehler beim Schaltschütz, der den Motor ansteuert, mit dem der Glockenklöppel bewegt wird. Das ließe sich mit wenigen Handgriffen beseitigen. Anders sähe es aus, wenn ein Schaden am Hubwerk vorläge, etwa mechanisch etwas bei der Exzenterscheibe kaputt gegangen wäre, die die elektrischen „Befehle“ in Bewegung umsetzt. Das wäre dann langwierig und nicht ganz billig, ein entsprechendes Voranschlags-Angebot der Firma müsste von der Kirchgemeinde entschieden werden – und bis dahin würde das Schlagwerk, also die Zeitmessung, abgeschaltet, um Verwirrung zu vermeiden.

Wäre ein mechanisches Läuten von Hand heute noch möglich, wenn die Elektrik mal ausfällt, aber zu einem hohen Fest- und Feiertag geläutet werden muss? Immerhin sind die Johanneskirch-Glocken ja erst seit 1960 „elektrisch“. Ja – von-Hand-Läuten ginge schon. Aber nicht so wie früher, dass jemand „am Strick zieht“; sondern nur derart, dass der Steuerkasten der Elektrik von Hand betätigt wird statt von seinem automatischen Programm. Das ist vielleicht beim sakralen Läuten denkbar, aber als Zeit-Schlagwerk? Wer, bitte, sollte das tun? Also muss(te) der Fehler gefunden werden, und das ging letztlich nur vor Ort.

Steile Stiegen zur Glockenstube

Die Aufgabe fiel Glockenläutemonteur Ronny Möllenbruck zu. Er ist seit knapp 22 Jahren bei der HGE; also jemand mit reichlich Erfahrung. Gestern um 10 Uhr erklomm er die steilen Stiegen zur Glockenstube und machte sich ans Werk. „Nebenbei“ zog er auch ein paar Schrauben nach und hantierte mit Schmiermittel-Spray, denn das sakrale Geläut zu Gottesdiensten war ja durch den Zeit-Fehler nicht betroffen, konnte ohne Einschränkungen weitergehen. Und wenn man schon mal da war, konnte auch gleich ein bisschen Wartungsarbeit betrieben werden, wie sie ohnehin jährlich fällig ist.

Aber der Fehler, wegen dessen Möllenbruck ja angereist war, zeigte sich zunächst nicht. Weder war’s der Endschalter noch das Hubwerk. Der Profi wurde dennoch rasch fündig: Ein Draht im Steuerkasten war weggebrochen. Er lag noch auf der Verbindungsstelle, aber die Vibrationen, die beim Glockenläuten auftreten, ließen den Kontakt immer mal wieder abreißen – und das sorgte für die Aussetzer. Dieser Defekt konnte ohne viel Aufwand behoben werden. Nach einer Stunde, um 11 Uhr, war alles erledigt und die Hoyerswerdaer Zeit wieder ins rechte Geleise gerückt worden.

Fern-Frage an Firmenchef Andreas Thumsch: Würde es ihn reizen, einmal auch an weltbekannten Glockenwerken, etwa am Giotto-Campanile in Florenz oder der Prager Apostel-Uhr, zu arbeiten? Thumsch winkt ab: „Nein. Viel zu viel Bürokratie.“ Ist ja auch besser für die Hoyerswerdaer Kirchen, wenn der Fachmann im Notfall ganz in der Nähe ist.

Die aktuellen Glocken der Hoyerswerdaer Johanneskirche

Glocke 1: Große Glocke, 1957 gegossen bei Schilling & Lattermann, Apolda, Stahl, gestimmt auf e // 156 cm Durchmesser, Masse 1.550 kg // Inschrift(en): „Die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu unsern Herrn“ und „Dem Gedächtnis der Opfer des Krieges 1939 bis 1945“.

Glocke 2: Mittel-Glocke (größer), 1966 gegossen bei Schilling & Lattermann, Apolda, Stahl, gestimmt auf g // 126 cm Durchmesser, Masse 920 kg // Inschrift: „Sieh ich bin bei euch alle Tage“.

Glocke 3: Mittel-Glocke (kleiner), 1957 gegossen bei Schilling & Lattermann, Apolda, Stahl, gestimmt auf a // 111 cm Durchmesser, Masse 690 kg // Inschrift: „Lasset euch versöhnen mit Gott“.

Glocke 4: Kleine Glocke, 1957 gegossen bei Schilling & Lattermann, Apolda, Stahl, gestimmt auf h // 100 cm Durchmesser, Masse 430 kg // Inschrift: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn. Halleluja“.

Die ursprüngliche Glocke 2 war aus Bronze. Sie war 1952 vom Hamburger „Glockenfriedhof“ zurückgekehrt, auf dem Kirchenglocken vor 1945 zwischengelagert worden waren, da ihr Metall für Kriegszwecke eingeschmolzen werden sollte. Diese Hoyerswerdaer Glocke entging der Vernichtung. Sie wurde am 5. März 1953 wieder eingeweiht, aber da sich schon bald Risse zeigten, konnte sie ihren Ruf „Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ nicht mehr erschallen lassen und wurde 1966 durch die jetzige Glocke 2 ersetzt.

Quelle: Johanneskirche Hoyerswerda

Ronny Möllenbruck von der Heidenauer Glockenläut- und Elektroanlagen GmbH schmiert per Spray die Mechanik der kleineren Mittel-Glocke der Hoyerswerdaer Johanneskirche, die den Ton „a“ schwingen lässt, Gegossen wurde sie 1957 bei Schilling & Lattermann in
Ronny Möllenbruck von der Heidenauer Glockenläut- und Elektroanlagen GmbH schmiert per Spray die Mechanik der kleineren Mittel-Glocke der Hoyerswerdaer Johanneskirche, die den Ton „a“ schwingen lässt, Gegossen wurde sie 1957 bei Schilling & Lattermann in © Foto: Uwe Jordan
Hier die kleinste (h-) Glocke von 1957: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn. Halleluja – Hoyerswerda AD (Anno Domini / im Jahre des Herrn) 1957“
Hier die kleinste (h-) Glocke von 1957: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn. Halleluja – Hoyerswerda AD (Anno Domini / im Jahre des Herrn) 1957“ © Foto: Uwe Jordan