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Früher sangen sie noch auf der Suche nach einer Braut

Sollschwitzer Jugendliche pflegen den Brauch des Kuchensingens in Rosenthal.

Von Andreas Kirschke
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Sollschwitzer Jugendliche pflegen zur Kirmes den Brauch des Kuchensingens in Rosenthal. So war es auch am vergangenen Samstagabend.
Sollschwitzer Jugendliche pflegen zur Kirmes den Brauch des Kuchensingens in Rosenthal. So war es auch am vergangenen Samstagabend. © Foto: Andreas Kirschke

Rosenthal. Vor jedem Haus singen sie. Am Vorabend der Kirmes erfreuen Sollschwitzer Jugendliche in Rosenthal traditionell die Einwohner. „Wjesele dźensa“, „W hajnku lěsnym zelenym“, „Dobry wječor, maćerka“, „Palenc, palenc“, „Zamper, Zamper Lieschen“ und weitere fröhliche Lieder erklingen. „Ich freue mich jedes Jahr darauf“, meint Stanislaw Schuster (32) in einem der zuerst besuchten Haushalte in Rosenthal. Für das Singen erhalten die Sollschwitzer Jugendlichen unterwegs meist Kuchen, eine kleine Geldspende, Sekt, Wein oder Schnaps. Seit Generationen lebt dieser Brauch.

Zunächst kommen Rosenthaler Jugendliche nach Sollschwitz zum Kuchensingen. Das ist kurz vor der Kirmes in der Katholischen Pfarrgemeinde Wittichenau, in diesem Jahr am 8. Oktober. Im Gegenzug kommen Sollschwitzer Jugendliche dann nach Rosenthal. Das ist kurz vor der Kirmes in der Katholischen Pfarrgemeinde Ralbitz, in diesem Jahr am 19. November. „Wenn man Erzählungen glauben darf, ist der Brauch seit drei, vier Generationen überliefert“, erzählt Felix Schöne (27), 2016 für ein Jahr Vorsitzender der Sollschwitzer Elsterjugend, die alte Geschichte: „Junge Sollschwitzer Männer freiten vor der Kirmes in Rosenthal junge Frauen. Sie neckten die Burschen eines Tages und meinten: ´Wir haben viel Kuchen zu Hause. Kommt doch vorbei. Wenn ihr ein Stück wollt, müsst ihr jedoch singen….´“. Zuerst sangen die Sollschwitzer Männer nur vor einigen Häusern in Rosenthal. Später sangen sie vor allen Häusern im Ort.“ Der gesamte Jugendverein Sollschwitz (also Frauen und Männer zusammen) pflegt die Tradition weiter. Rund 100 Haushalte suchen die Sollschwitzer in Rosenthal auf. Den erhaltenen Kuchen verzehren sie am nächsten Tag in Sollschwitz traditionell zur Jahreshauptversammlung der Elsterjugend. „Kuchen, der übrig bleibt, dürfen die Jugendlichen mit nach Hause nehmen“, meint Josef Bilk (20), seit Dezember 2021 Vorsitzender der Sollschwitzer Elsterjugend. Diese besteht seit 1995 als Verein. Heute gehören ihm rund 50 Mitglieder an. Davon bilden 25 den aktiven Kern. Die Jugendlichen sind zwischen 16 und 30 Jahren alt. Laut Satzung scheidet ein Mitglied erst mit der Heirat aus. Kirmes, so erzählt Josef Bilk von zu Hause, ist ein Fest der gesamten Familie. Kirmes verbindet die Generationen. „Wir treffen uns traditionell bei meiner Großmutter Regina Kummer. Nach dem Gottesdienst gibt es ein gemeinsames Mittagessen, Kaffeetrinken und Abendessen.“

Die Besungenen sind freundlich

Zugleich jedoch pflegen die Sollschwitzer Jugendlichen in Rosenthal den Brauch des Kuchensingens. Unterwegs werden sie herzlich empfangen. Oft gibt es zum Aufwärmen ein Schnäpschen oder einen Glühwein wie bei Familie Christina Lebsa. Mitunter dürfen die Jugendlichen in der warmen Garage Platz nehmen wie bei Familie René Handrick. Freudig bedanken sie sich sogleich mit geselligen Liedern. Letzte Station des Kuchensingens ist stets der Jugendklub Rosenthal. „Dort können sich die Jugendlichen austauschen und kennenlernen. Beide Jugendklubs – Sollschwitz und Rosenthal – verbindet eine langjährige Freundschaft“, meint Stanislaw Schuster. Er selbst war seit 2005 langjähriger Leiter des Rosenthaler Jugendklubs. Am Brauch Kuchensingen erfreuen ihn die Lebendigkeit, die Gemeinschaft, der Zusammenhalt der Jugendlichen. „Für mich ist Kirmes ein Fest der Familie“, sagt er. Meine Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten kommen.“ Bis aus Bautzen und Königswartha reist Besuch an. Natürlich gibt es dann auch Kirmeskuchen. In der Tat gibt es einige Belege für Rosenthaler-Sollschwitzer-Paare. Zwei Mal tragen sie heute den Familiennamen Suchy, je einmal den Familiennamen Eiselt, Michauk, Kobalz und Hantschke. Simon Leonhardt (18) und Lea Suchy (18) von der Sollschwitzer Elsterjugend können das aus ihren Familien bestätigen, nennen Namen und Orte für Eltern und Großeltern.

Steckt also ein wahrer Kern in den Erzählungen der Alten über das Kuchensingen? „Mag sein“, meint Lea Suchy. „Ich freue mich jedenfalls jedes Jahr auf die Gemeinschaft, auf das Miteinander-Zeit-Verbringen.“ Gerade das Kuchensingen, so unterstreicht sie, ist für die Sollschwitzer Elsterjugend ein einzigartiger, besonderer Brauch. Neben dem Zampern, dem Dorffest, dem Kürbisfest und dem Pfingstkegeln ist er ein wichtiger Termin im Jahreskreis. Die Jugendlichen wollen ihn nicht missen.

Jahr für Jahr freut sich Tierarzt Měrćin Kilank auf das Kuchensingen. Der 81-Jährige ist noch heute praktizierender Tierarzt in Rosenthal. Das Kuchensingen, so erzählt er gerührt, erinnert ihn stets an die eigene Kindheit in Radibor. Die Kinder durften zur Kirmes stets Karussell fahren. Die Erwachsenen freuten sich stets auf den Kirmestanz. Nach dem Gottesdienst Sonntagmorgen kam die gesamte Familie zusammen. „Dann trafen sich alle Generationen“, sagt Měrćin Kilank. „Die Kirmes war ein richtiges Familienfest. Heute hat sie nicht mehr ganz den hohen Stellenwert wie früher.“ Umso mehr freut er sich, dass Jugendliche den Brauch des Kuchensingens weiterpflegen. Darauf hofft auch Stanislaw Schuster. Er selbst ging als Rosenthaler mindestens 15 Mal zum Kuchensingen mit in Sollschwitz.