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Mein Freund, der Alkohol

Serie: Vorstellung von Klienten, Angehörige von Suchtkranken Menschen und Mitarbeiter aus der Suchtberatungsstelle (SBB) der Diakonie St. Martin

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Inge Krause* und ihr Ehemann haben die Krise zusammen gemeistert. Immer mit dabei: Ein Nothilfeplan, wenn der Alkohol beispielsweise bei Feierlichkeiten plötzlich wieder sehr nah ist.
Inge Krause* und ihr Ehemann haben die Krise zusammen gemeistert. Immer mit dabei: Ein Nothilfeplan, wenn der Alkohol beispielsweise bei Feierlichkeiten plötzlich wieder sehr nah ist. © Foto: Silke Richter

Von Silke Richter

Hoyerswerda. Rückblick: Der Wecker klingelt. Die Nacht war wieder sehr kurz. Vor Inge Krause* liegt ein sehr langer Tag. Die Uhr läuft. Die medizinische Angestellte arbeitet im Schichtsystem, verarztet Patienten, hat ein offenes Ohr für deren Probleme, füllt Medikamente auf, verbindet Wunden, tröstet und gibt Beistand. Die Hoyerswerdaerin liebt ihren Job. Dann endlich Feierabend. Eigentlich. Doch die Arbeit geht weiter.

Ihre beiden Elternteile sind pflegebedürftig. Der Bruder von Inge Krause braucht auch Hilfe. Ihm wurden beide Beine amputiert. Die Familie verlässt sich auf ihr medizinisches Wissen und Können. Inge Krause hilft gern, gibt auch nach Feierabend für ihre Angehörigen das Beste. Sie spürt zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht, dass der Spagat zwischen Hilfsbereitschaft, Pflichtgefühl und dem Versuch, sich dabei nicht komplett selbst zu vergessen immer größer wird. Insgeheim würde Inge Krause gern mal „Nein“ sagen. Aber das kann die Hoyerswerdaerin zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht. Jeder neue Tag wird zu einem Kampf, der an den Nerven zerrt. Eine Zerreißprobe, die einen inneren Krieg verursacht, der eigentlich nur eines sucht und braucht: Mehr Zeit für sich und inneren Frieden.

Die Anspannung und deren Folgen wachsen. Inge Krause spürt, dass Alkohol ihr genau das gibt, was sie braucht: Abstand, Entspannung und dieses sehnliche Gefühl von Leichtigkeit, dass die Schwere des Alltags eine Zeit lang vergessen lässt. Der Alkohol wiegt sie in die Nacht. Endlich mal wieder durchschlafen können, endlich mal wieder den Kopf frei bekommen von allen Sorgen und Nöten. Eine Flasche Wein oder Bier kann sehr gut zuhören, gibt nie Widerworte, verlangt nichts, stellt keine Forderungen, sondern ist einfach nur da. Immer greifbar, wenn man sie braucht. Mit jedem Schluck wird alles (vermeintlich) schöner und angenehmer. Inge Krause konsumiert zu diesem Zeitpunkt Likör, Sekt, Bier, Whiskey, Wein… Einfach alles, was gerade greifbar ist. Die Spirituosen helfen ihr, den wachsenden beruflichen und familiären Anforderungen weiterhin gerecht werden zu können.

„Die Flasche rückte in meinem Alltag immer näher. Sie war zu meinem besten Freund und Helfer geworden. Ich hatte Angst, meinen Job zu verlieren, ohne etwas dazustehen, und ich konnte auch nicht offen über meine Probleme reden“, erinnert sich die 67-Jährige zurück.

Ihr damaliger Arbeitgeber legte Inge Krause nahe, sich Hilfe zu suchen. In beiderseitigem Einverständnis wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst.

Die Hoyerswerdaerin suchte sich Hilfe. Sie spürte, dass es so nicht weitergehen konnte. Der erste Entzug war nicht von langer Dauer. Nur ein paar Schlucke Alkohol reichten für einen erneuten Einstieg in die Droge. Inge Krause wurde mehrmals rückfällig. Das Verhältnis zu ihrer Familie war längst zerrüttet. Viele Mitmenschen rieten ihrem Ehemann, sich von seiner abhängigen Frau lieber scheiden zu lassen. Doch das kam für ihn nicht infrage. „In unserer gemeinsamen Paartherapie habe ich erst mal so richtig begriffen, warum meine Frau überhaupt trinkt. Das hat mir die Augen geöffnet“, berichtet der Hoyerswerdaer noch immer sehr gerührt.

Mit Anfang 50 wurde Inge Krause wegen Trunkenheit am Steuer mit einer vierstelligen Geldstrafe belangt. Dieses Ereignis sollte alles ändern. Inge Krause erkannte endlich den Ernst der Lage und sie wusste: Eine Therapie kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich selbst eingesteht, dass sie an der Alkoholsucht leidet und diese Krankheit auch akzeptiert. Der erste so wichtige Schritt war getan. Darauf aufbauend suchte sich die Hoyerswerdaerin professionelle Hilfe bei der Suchtberatungsstelle in der Schulstraße. Mit Erfolg.

Seit fünfzehn Jahren ist Inge Krause trockene Alkoholikerin. „Man sollte sich immer vor Augen halten, was man selbst verloren und der Familie angetan hat. Mir haben die Suchtberatung und die Angebote im Haus Bethesda sehr geholfen, wieder zu mir zurückzufinden, und mehr auf mich und meine Bedürfnisse zu achten. Ohne deren Hilfe und die Unterstützung meiner Familie würde ich jetzt schon längst auf dem Friedhof in Kühnicht liegen. Ich möchte allen Betroffenen und auch deren Angehörigen Mut machen. Lasst euch helfen. Ihr müsst es nur annehmen“.

* Name von der Redaktion geändert