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Plötzlich in Hoyerswerda statt in Kabul

Najia Karimi musste Afghanistan verlassen. In Hoyerswerda findet sie Aufnahme – und Annahme.

Von Uwe Jordan
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Najia Karimi mit Andrzej Serwecinski vom Deutsch-Polnischen Infobüro Hoyerswerda beim Besuch in der TAGEBLATT-Redaktion. Die junge Frau aus Afghanistan wird in einem Hoyerswerdaer Fremdsprachenprojekt künftig die Sparte Persisch-Deutsch betreuen.
Najia Karimi mit Andrzej Serwecinski vom Deutsch-Polnischen Infobüro Hoyerswerda beim Besuch in der TAGEBLATT-Redaktion. Die junge Frau aus Afghanistan wird in einem Hoyerswerdaer Fremdsprachenprojekt künftig die Sparte Persisch-Deutsch betreuen. © Foto: Uwe Jordan

Hoyerswerda. Es gibt Menschen, die entscheiden sich nach reiflicher Überlegung dazu, wochenlange und oft teuer bezahlte Strapazen auf sich zu nehmen, um in Europa, speziell in Deutschland, ihr Glück zu suchen – entweder auf der Flucht vor Krieg und Bedrängnis oder einfach auf der Suche nach einem besseren Leben. Wenn sie den Boden des vermeintlich Gelobten Landes betreten, wähnt sich mancher am Ziel.

Andere hingegen werden von einem Tag auf den anderen aus einem geordneten Leben hinausgeworfen; finden sich wieder an einem Ort, den sie vielleicht unter anderen Umständen als Destination für Reise oder Studium in Erwägung gezogen hätten – aber nicht als plötzlich letztes Refugium.

Im Goethe-Institut tätig gewesen

Man darf trefflich darüber streiten, wessen „Fallhöhe“ größer ist. So erging es Najia Karimi. Die junge Frau (27), studierte Germanistin, war in Kabul im Goethe-Institut tätig als Empfangsdame, als Dolmetscherin und Lehrerin – in offiziösem Deutsch „Ortskraft“. Deutsch ist nach Englisch ihre zweite Fremdsprache. Dass sie eines Tages in Deutschland studieren (nicht: für immer bleiben) wollte, war Teil ihrer Lebensplanung: „Ich wollte meine Deutsch-Sprachkenntnisse verbessern. In Afghanistan war das nicht möglich, denn man kann eine Sprache erst in deren Ursprungsland richtig lernen. Man braucht die Atmosphäre und Kultur. Dann kann man sie anderen als Lehrerin vermitteln“, schildert sie in gediegenem Hochdeutsch.

Von gleich auf sofort ins Unbekannte

Doch als die Taliban in nicht für möglich gehaltenem Tempo das vom Westen verlassen werdende Land stürmten, blieb nur die sofortige Flucht. Ausgeflogen-Werden, um befürchteten Racheakten zu entgehen. So fand sich Najia Karimi „über Nacht“ in Deutschland und wenig später in Hoyerswerda – mit ihren Eltern und dem Bruder. Sie bekam mit ihrer Familie eine Unterkunft, Start-Geld und sofort den regulären Aufenthalts-Titel. Was sie, anders als Heimbewohner, aber zunächst nicht bekam, war das „An-die-Hand-genommen-Werden“, das für die ersten Schritte in einem fremden Land, in einer fremden Kultur unerlässlich ist. Gewiss dachte man: „Wer der deutschen Sprache mächtig ist, kommt schon zurecht“ (und es gab und gibt ja unstrittigerweise ganz andere Problemfälle ...). Aber sich unversehens an einem Ort zu sehen, an dem man nichts kennt, gar nichts; nicht die Gesetze, nicht die Behörden oder andere mögliche Ansprechpartner, nicht die Alltagsgepflogenheiten; nicht einmal den Stadtplan oder eine Bushaltestelle und sich dennoch, ganz auf sich selbst gestellt, in alles hineinfinden und für die Angehörigen mit sorgen muss – das ist schon eine sehr spezielle Herausforderung.

Najia Karimi bat, wen sollte sie auch sonst fragen, das Goethe-Institut München um Hilfe. Das reagierte umgehend, setzte sich mit der Ausländerbeauftragten des Landkreises Bautzen in Verbindung. Anna Pietak-Malinowska wiederum rief Andrzej Serwecinski an, der in Hoyerswerda das Deutsch-Polnische Infobüro (DPI) betreibt. Ob er sich der Sache annehmen könne? Serwecinski war verblüfft: Was er denn dabei solle? Asylbewerber würden doch in Hoyerswerda von den Zuständigen korrekt und umfassend betreut ... Nein; hier liege der Fall etwas anders, wurde ihm die Sachlage geschildert. Vor allem aber handle es sich um eine Dolmetscherin! Er, Serwecinski, betreibe doch Sprachprojekte. Könne er da nicht eine Persisch-Muttersprachlerin gut einbinden, wenn die genannten Probleme geklärt seien? Serwecinski ließ sich überzeugen. Gibt es doch in Hoyerswerda nicht wenige Kinder, die Persisch sprechen, aber mangels Lehrkräften kein oder doch nur ganz wenig Deutsch. Er fuhr zu Najia Karimi – und war verblüfft: „Sie spricht besseres Deutsch als ich.“ (Und besser als mancher Einheimische; d. A.). Die junge Frau war sofort bereit, bei einem Sprachprojekt, das jetzt konkret geplant wird, mitzuarbeiten. Das war ja genau das, was sie sich schon weit vor dem dramatischen Abschied aus Afghanistan von einem Deutschland-Aufenthalt auf Zeit erhofft hatte! Auch die anderen Sorgen konnten ausgeräumt werden. So hat Hoyerswerda nun eine Persisch-Deutsch-Lehrerin. Najia Karimi sagt: „Jetzt bin ich von Herzen froh, hier zu sein und eine Aufgabe zu haben.“ Beste Voraussetzungen für eine Neubürgerin. Khosh amadid!; Herzlich willkommen!