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Tiefes Gottvertrauen und Liebe zur Tracht

Das hat der kürzlich verstorbene Blunoer Sorbe, Christ und Trachtenkenner Helmut Kurjo stets vorgelebt.

Von Andreas Kirschke
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Helmut Kurjo
Helmut Kurjo © Archivbild: Christine Primpke

Bluno. Mit Freude und Inbrunst sang Helmut Kurjo mit. In Liedern und Gebeten lebte er seine sorbische Muttersprache. In der Blunoer Fachwerk-Kirche feierte der frühere langjährige Hochzeitsbitter im Juni 2018 mit vielen anderen Teilnehmern den Gottesdienst zur Eröffnung des elften Sorbischen Evangelischen Heimattages in der Region Hoyerswerda. Der damals 83-Jährige erzählte mir von seinem Glauben und seiner engen Verbindung zur Kirche. Es war eine von mehreren Begegnungen mit ihm in Bluno. Offenherzig, uneitel, sachkundig und stets hilfsbereit ist mir Helmut Kurjo in Erinnerung.

Geboren wurde er am 6. Januar 1935. Seine beiden Großmütter, Magdalena Kurjo (väterlicherseits) und Ida Branzko (mütterlicherseits) sprachen in seiner Kindheit noch Sorbisch mit ihm. Täglich gingen sie in Tracht. Auch Helmut Kurjos Mutter, Anna Kurjo, bekannte sich dazu. Die Familie heiligte die Feiertage, stand fest im Glauben. Vor dem Essen und vor dem Schlafengehen wurde gebetet. „Wir Kinder lernten frühzeitig das Vaterunser. Wir wurden angeleitet, sorgsam mit dem täglichen Brot umzugehen“, erzählte mir Helmut Kurjo kurz vor Weihnachten 2017. „Keine Schnitte kam achtlos weg. Die Ernte auf den Feldern sahen wir als Gabe und Geschenk Gottes an. So sind wir aufgewachsen.“

Während Helmut Kurjos Kindheit trugen in Bluno fast alle Frauen sorbische Alltagstracht. Der Rückgang kam mit der Einheirat vieler Deutscher, mit der veränderten Arbeitswelt, mit den LPG-Gründungen und mit der Industrialisierung. „Neue Trachten gab es immer schwerer zu kaufen“, erläuterte mir Helmut Kurjo. „Es gab auch immer weniger Frauen, die noch Trachten nähen und ausbessern konnten.“

Gerade an der Hoyerswerdaer Tracht wertschätzte Helmut Kurjo die Vielfalt und Farbenfreude. Er nannte dabei die Kirchgangstracht, die Tanztracht, die Sonntags-Ausgehtracht und die Hochzeitstracht. „Alles hatte seine Ordnung. Jede Frau wusste genau, welche Tracht sie wann trug“, war von Helmut Kurjo zu erfahren. „In der Hoyerswerdaer Tracht gibt es 55 Varianten. Jede hat ihren tiefen Sinn.“ Die Tracht, so unterstrich er, zeigt Würde und Identität, ebenso Stolz auf das Geschaffene und Verarbeitete. Eine tiefe Symbolik steckt in jeder Tracht. 2002 trugen in Bluno noch 15 Frauen täglich sorbische Tracht. 2008 waren es noch acht. Dieser Rückgang setzte sich weiter fort.

In Helmut Kurjos Kindheit musste der sorbische Pastor Heinrich-Paul Adler in der Nazizeit Bluno verlassen. 1946 kehrte er wieder zurück. Seitdem gab es wieder sorbische Gottesdienste im Ort. Helmut Kurjo nahm sie dankbar an. Schon als Kind lernte er frühzeitig den Umgang mit Tieren. Er musste Ochsen anspannen und füttern. Neun Hektar Land gehörten den Eltern. Die Familie baute Mais, Flachs, Futterrüben, Mohrrüben, Hafer, Roggen und Kartoffeln an. Sie besaß sechs Kühe und Kälber, ebenso Schweine, Pferde, Gänse und Hühner. Helmut Kurjo arbeitete zunächst als Landwirt auf dem elterlichen Hof mit. 1960 kam er zur LPG „Heideland“ Bluno. Dort war er zuerst im Feldbau tätig. Später, von 1970 bis 1990, versorgte er in der Milchviehanlage im Stall die Tiere mit Futter und Wasser. Zeitlebens prägte ihn harte Arbeit.

Mit der Blunoer Fachwerkkirche von 1673 fühlte er sich stark verbunden. Dort wurde er getauft, konfirmiert und getraut. Von 1960 bis 2007 engagierte sich Helmut Kurjo als Kirchenältester im Gemeindekirchenrat. Seit 1990 versah er mit sieben weiteren Christen abwechselnd den Küsterdienst. Einige Zeit lang läutete er die Kirchenglocke bei Trauungen und bei Beerdigungen. Oft hielt er in der Gemeinde Lesegottesdienste. Konsequent trat er für die Sanierung der Kirche ein. Dies geschah 1956 und später 1975. Im Jahr 1998 erhielt die Kirche einen frischen Anstrich. Erneut saniert wurde sie denkmalgerecht 2016/17. Gern und immer wieder führte Helmut Kurjo Besucher durch die Kirche. Dann erzählte er von deren langer Geschichte. Im Wechsel mit Chronist Jörg Redlich und mit Einwohnerin Gisela Hattula führte er bis ins hohe Alter Interessierte durch die Kirche. Kamen sorbische Gäste – zum Beispiel aus Crostwitz und Bautzen –, erläuterte Helmut Kurjo unkompliziert in Sorbisch. Bis 2016 sprach der Blunoer noch regelmäßig im niedersorbischen Hörfunk Cottbus beim rbb das „Wort zum Sonntag“ in seiner sorbischen Muttersprache. Im Gemeindeleben seines Heimatortes blieb er lange aktiv. So nahm er noch teil an den kirchlichen Gemeindenachmittagen und an den Rentnernachmittagen. Herzenssache waren ihm der jährliche Sorbische Evangelische Heimattag in der Region Hoyerswerda und der jährliche Sorbische Evangelische Kirchentag. Hörte er doch gerade dabei Gottes Wort in seiner Muttersprache.

Seit 1946, so erzählte er mir, verpasste er kaum einen sorbischen Gottesdienst in Bluno. „Ein Höhepunkt war sicher der Sorbische Evangelische Kirchentag 1969 mit dem damaligen Superintendenten Gerhard Wirth“, erläuterte er mir. „Der letzte sorbische Gottesdienst in Bluno war 1980 mit Pfarrer Juro Frahnow.“ Dankbar registrierte Helmut Kurjo, dass heute mit Pfarrer Dr. Stefan Reichelt wieder ein Sorbisch lernender und aktiv anwendender Geistlicher vor Ort in Bluno lebt.

Zu Hause bewahrte und pflegte Helmut Kurjo in seinem kleinen Fundus eine Vielzahl sorbischer Trachtenteile. Dazu gehören Brautjungfern-Hauben, Ketten, Tücher, Schleifen, Schürzen und Schuhe. Helmut Kurjo war wohl einer der profundesten Kenner der Hoyerswerdaer sorbischen evangelischen Tracht. In seiner Sammlung bewahrte er zudem gewebte Leinwand, Säcke und Tücher auf. Zum Bestand gehören ebenso Arbeitsgeräte aus der Landwirtschaft, Handwerksgeräte, Ostereier und der Webstuhl seiner Großmutter Magdalena Kurjo. „Wichtig ist mir, die Tracht zu bewahren. Denn sie ist ein Schatz unserer Heimat. Sie zeugt von der filigranen Handarbeit unserer Vorfahren. Sie zeugt von ihrem künstlerischen Schaffen“, verdeutlichte er mir immer wieder.

Für Trachten hat sich Helmut Kurjo stets interessiert. Sein tiefes Wissen erwarb er von den Ankleidefrauen im Ort, zum Beispiel von Marie Boch und von „Hensels Baba“. Sie legten viel Wert auf Originalität, auf Korrektheit, auf genaue farbliche Abstimmung. Sie nahmen sich viel Zeit zum richtigen Ankleiden. Die nahm sich später auch Helmut Kurjo im Trachtenverein beim Ankleiden der Mädchen und Frauen im Ort. Von den Ankleidefrauen lernte er zudem das richtige Aufbereiten, Pflegen und Nähen der Tracht. „Jedes Kirchspiel hatte früher bei Taufen und bei Hochzeiten eine eigene typische Festtagstracht“, erzählte er mir. „Typisch für die Blunoer Festtagstracht war der besondere Kopfputz der Braut und der Brautjungfer. Typisch für Bluno waren die grünen Bänder und der sogenannte slěbornik – der goldene Sternreif. Er war das Zeichen der Ehrbarkeit.“ Eben dieses Wissen bewahrte Helmut Kurjo für die nachwachsenden Generationen und gab es gern weiter.

Gerade in schwierigen Lebenslagen stärkte ihn oft sein fester Glaube. Sein Vater blieb acht Jahre im Krieg. Erst im November 1947 kehrte er aus US-amerikanischer Gefangenschaft nach Hause zurück. Im Juli 2002 musste Helmut Kurjo zu einer dringenden Herz-OP. Damals bekam er fünf Bypässe verlegt. „Ich hatte keine Angst“, erzählte er im Rückblick. „Ich legte alles in Gottes Hände.“ Am 14. März 2023 verstarb Helmut Kurjo im Alter von 88 Jahren.