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Unterwegs im Geist des guten Zauberers

Wolfgang Kraus stellt seit 25 Jahren die sorbische Sagenfigur Krabat dar.

Von Andreas Kirschke
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Wolfgang Kraus, der seit vielen Jahren Krabat darstellt, zeigt im alten Torhaus ein Foto von 2002. Dessen Motiv erinnert an Krabat’s Vorwerk Groß Särchen 300 Jahre zuvor – im Jahr 1702.
Wolfgang Kraus, der seit vielen Jahren Krabat darstellt, zeigt im alten Torhaus ein Foto von 2002. Dessen Motiv erinnert an Krabat’s Vorwerk Groß Särchen 300 Jahre zuvor – im Jahr 1702. © Foto: Andreas Kirschke

Groß Särchen. Mit Stiefeln, weißem Umhang und dem Zauberbuch Koraktor tritt er auf. Architekt Wolfgang Kraus aus Groß Särchen verkörpert seit 25 Jahren die sorbische Sagenfigur Krabat. So ist der 71-Jährige Botschafter der Oberlausitz. Weit über 2.000 Mal versetzte er sich bereits in die Rolle des guten Zauberers hinein. Bei Dorffesten, Krabat-Festen, Touristik-Messen, Schul-Führungen und bei vielfältigen Anlässen trat er immer wieder auf. Über seine Inspiration, seine Erlebnisse und seinen Blick in die Zukunft sprach TAGEBLATT mit dem gebürtigen Sauerländer, der jetzt im Jahr 2024 seit 30 Jahren Oberlausitzer ist.

Herr Kraus, wie entdeckten Sie die Sagenfigur Krabat für sich?

Das reicht weit zurück bis in die Schulzeit. Ich war eine richtige Leseratte und gehörte zur Jungschar unserer katholischen Pfarrgemeinde St. Josef in Menden im Sauerland. Nach dem Gottesdienst war stets eine Stunde Lese- und Ausleih-Zeit in der Pfarrbücherei. Dort habe ich unter anderem auch Bücher von Ottfried Preußler gelesen. Dazu gehörten „Räuber Hotzenplotz“, „Die kleine Hexe“ und „Der starke Wanja“. Irgendwann las ich auch eine Geschichte über Raben und einen Zauberer. Ich konnte das damals noch nicht zuordnen. Erst über 40 Jahre später wusste ich dann: Das ist die Geschichte von „Krabat“.

Als freiberuflicher Architekt kamen Sie viel herum in der Welt. Seit 1996 leben Sie in Groß Särchen. Wie stießen Sie hier auf Krabat?

In die Lausitz, nach Groß Särchen, kam ich durch meine Frau Eva-Maria Mrosk. Im Ort war ich 1999 Mitbegründer des Krabat Dorfclubs und Heimatvereins. Ebenso war ich im gleichen Jahr Mit-Initiator der Feier „625 Jahre Groß Särchen“. Damals saßen wir im Gasthof „Zum Schwan“ zusammen, berieten über Inhalte. Die Vorbereitungszeit war nur kurz. So entschieden wir uns für eine große „626-Jahr-Feier“ erst im Jahr 2000. Im Jahr davor, 1999, blieb es bei einer kleinen Feier. Kantor Johannes Leue suchte für sein Musical „Der Zauber des Guten“ Darsteller. Auf Wunsch meiner Stieftocher Cathy kam ich dazu und erhielt die Rolle des alten Krabat. Die erste Vorstellung war in Hoyerswerda in einem Altenpflegeheim. Sie kam damals schon sehr gut an.

Was faszinierte und begeisterte Sie an der Figur Krabat?

Der Zauber des Guten. Seine Ausstrahlung. Seine Menschenliebe und Güte. Seine Weltoffenheit. Krabat war Aufklärer und Gemeinschafts-Stifter. Ich wusste: Groß Särchen war von 1691 bis 1704 die Heimstatt des kroatischen Obristen Johann von Schadowitz. Was ich erst später durch Familiengeschichts- und Erbenforscher Hans-Jürgen Schröter aus Wittichenau erfuhr: Unser 1999 erworbenes Grundstück in Groß Särchen liegt nachweislich genau auf Johann von Schadowitz’ einstigem Vorwerk. Eine für mich spannende, aufwühlende Geschichte …

Wie nähern Sie sich dieser Geschichte an?

Gleich mit dem Musical fing ich an, so ziemlich alles an Dokumenten zu sammeln: Zeittafeln, Stammbäume, Sagenbücher, Chroniken, Zeitungsbeiträge. Ich grub mich tief in den Krabat hinein. Damals spürte ich, welch wunderbarer Schatz diese Sage und Sagenfigur für uns alle ist. Ich spürte: Krabat ist eine verbindende Figur. Er gehört allen Menschen. Er gehört nach Schwarzkollm, Wittichenau, natürlich auch nach Groß Särchen und in viele weitere Orte der Lausitz gleichermaßen. Krabat ist der größte gemeinsame verbindende Nenner für uns in der gesamten Lausitz.

Bald folgten weitere Auftritte – auch außerhalb von Groß Särchen …

2001 fand das erste Krabat-Fest in Nebelschütz statt. Damals lernte ich Dieter Klimek aus Schwarzkollm kennen. Wir sagten uns: „Treten wir doch zusammen auf.“ Er als Schwarzer Müller, und ich als Krabat. Bald folgten viele gemeinsame Auftritte – zu Krabat-Festen, zu Touristik-Messen, zu Dorffesten, unter anderem Auftritte mit der Marketinggesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien (MGO). Mit ihr ging es zum Beispiel nach Berlin zur Grünen Woche und auf viele weitere Veranstaltungen. Die MGO ernannte uns beide am 3. November 2003 zu Botschaftern der Oberlausitz.

In Groß Särchen selbst entstand Krabat’s Neues Vorwerk …

Die Einweihung war 2007. Der Dorfclub und Heimatverein Groß Särchen engagierte sich dafür schon seit 2001. Frühzeitig hatte er eine Theatergruppe, den Gemischten Chor, die Handwerker-Gruppe und zahlreiche weitere Dorfinitiativen ins Leben gerufen. Bei allem war ich zumindest Mitinitiator und Ideengeber. Auf dem Neuen Vorwerk und überall in der Oberlausitz, sogar auch auf meinen Baustellen hielt ich Vorträge über Krabat und die wunderbare Krabat-Sage.

Worauf legten Sie inhaltlich bei den Ausführungen Wert?

Auf Krabats Herkunft und Ursprünge. Auf seine enge Bindung an Groß Särchen und an Wittichenau. Ich verweise auf Krabats tief verwurzelten Glauben. Auf seine stetige, unverbrüchliche Suche nach Gott. Krabat war immer ein Gott-Suchender. Er hat stets im Einklang mit der Natur, mit der Schöpfung, mit Gott gelebt. Im Lauf der Zeit lernte ich, vom rein Vortragenden zum Erzähler zu werden. Der Vortragende hat stets ein Manuskript. Der Erzähler spricht frei und offen. Ich lernte, in mich hineinzuhören und bei meinen Rundgängen und den Führungen auf Krabat und auf Gott zu vertrauen und auf mein Inneres.

An welche Erlebnisse denken Sie besonders gern zurück?

In Weißkollm zum Beispiel, in der früheren Grundschule, gab es mal eine ganze Projektwoche nur zum Thema Krabat. Dort bin ich morgens hin, fuhr mittags weiter auf eine Baustelle nach Leipzig, die damals als Architekt betreute, und abends wieder zurück. Nur – um am nächsten Morgen wieder bei den Schülern zu sein. Sie stellten verblüffende Fragen nach Krabats Herkunft, nach seiner Zauberkraft, nach seinen Erlebnissen. Ich erklärte viel in Bildern. Zum Beispiel seinen Flug nach Dresden zum Kurfürsten: Unterwegs blieb er an der Kamenzer Kirchturm-Spitze hängen …Ein anderes Erlebnis hatte ich bei einem Dorffest. Dort gab es eine Verlosung. Ausgerechnet der Ärmste gewann ein Rennrad als Preis. Spontan kam die Reaktion aus dem Publikum „Da hat Krabat gezaubert“. Wenig später kam ein kleiner Junge auf die Bühne. Er öffnete sein Hemd, zeigte eine Narbe und erzählte, dass er Krebs hatte. „Ich bin gesund geworden“, meinte er dankbar. „Und das hast DU gemacht, Krabat.“ Das berührte damals mich und alle Anwesenden sehr.

Stießen Sie mit der Krabat-Figur auch auf Ablehnung?

Ablehnung wäre zu viel gesagt. Mitunter spürte ich Vorurteile. In Sollschwitz sprach mich ein Mann an: „Du bist doch gar nicht von hier. Du bist nicht mal Sorbe. Wie kannst Du da den Krabat spielen?“ Da war ich getroffen und perplex. „Die Wege des Herrn sind unergründlich“, erwiderte ich spontan. Später habe ich mich mit dem Mann noch lange unterhalten. Er konnte nicht glauben, dass jemand mit so viel Herzblut uneigennützig Krabat spielt. Er konnte nicht glauben, dass meine Auftritte überwiegend ehrenamtlich sind. In Bautzen sprach mich ein Mann an: „Was machen Sie denn hier? Als studierter Mann? Kümmern Sie sich doch um ihre Arbeit, da können sie mehr verdienen.“ Auch da folgte ein langes, offenes und klärendes Gespräch.

Welches Fazit nach 25 Jahren als Krabat-Darsteller ziehen Sie?

Ich habe eigentlich alles gegeben, was ich vermochte. Und ich hadere nicht mit dem Geschehenen und mit den Verletzungen. Ich bin halt auch oft dem Schwarzen Müller begegnet. Mit aller Kraft möchte ich meine Erkenntnisse aus 25 Jahren Krabat weitergeben. Das liegt ganz im Sinne von Krabats Vermächtnis: „Wer auf meinem Vorwerk in meinem Geiste lebt, für den halte ich einen Schatz bereit.“ Und da ist ganz besonders Groß Särchen gemeint. Diesen Schatz gilt es zu entdecken. Er besteht nicht aus Geld und Gold, sondern aus Verständnis füreinander, aus Verantwortung, Liebe und Miteinander. So hat es uns Johann von Schadowitz, aus dem später die Sagenfigur Krabat entstand, vorgelebt. Entscheidend für die Zukunft wird sein, stärker zu einer gemeinsamen Krabat-Region zu finden. Jeder kann dazu beitragen. Jedes Dorf hat dafür seine besonderen Talente. Wir haben heute den Erlebnishof Krabat-Mühle Schwarzkollm, den Krabat-Radweg Oberlausitz und den Krabat-Spielplatz Kamenz, ebenso Krabat’s Neues Vorwerk in Groß Särchen – doch all diese Orte müssen besser, vertrauensvoller, miteinander vernetzt sein. Groß Särchen kann und muss dabei ein Zeichen setzen – jetzt mit der 650-Jahr-Feier im Ort und mit Jubiläen wie 400 Jahre Johann von Schadowitz, 333 Jahre Krabat in Groß Särchen, 25 Jahre Krabat Dorfclub und Heimatverein und 25 Jahre Wolfgang Kraus als Meister Krabat. Das liegt ganz in Krabats Sinne: „Wenn ihr mich nicht vergesst, werde ich mit Gottes Hilfe dafür sorgen, dass ihr ein freies und glückliches Volk seid.“

Bei Ihnen zu Hause, auf dem alten Vorwerk, soll eine Rast- und Erlebnisstätte entstehen. Was motiviert Sie dafür?

Bereits seit 20 Jahren haben wir immer wieder kleinere und größere, unvergessene Veranstaltungen auf dem Hof organisiert. Das war oft mühselig. Und das musste immer wieder neu arrangiert werden. Die Idee ist ein „Erlebnis-Rastplatz bei Krabat zu Hause“. Konkret soll ein Rastplatz für Radwanderer und weitere Besucher entstehen.