Hoyerswerda
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Von Volkskunst, Neuanfang und Zusammenhalt

Ingrid Belka kennt die Lausitzhalle in- und auswendig. Eines Winters wäre sogar fast ein seit Jahrzehnten Verschollener aufgetreten.

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Ingrid Belka beim Treffen im Lausitz-Center. Sie hat die goldenen, aber auch die harten Zeiten in Hoyerswerdas Kulturtempel miterlebt.
Ingrid Belka beim Treffen im Lausitz-Center. Sie hat die goldenen, aber auch die harten Zeiten in Hoyerswerdas Kulturtempel miterlebt. © Foto: Angela Donath

Von Angela Donath

Hoyerswerda. Ingrid Belka gehörte von Beginn an zum Team des „Haus der Berg- und Energiearbeiter“ (HBE), später der Lausitzhalle. Seit 2001 ist sie im Ruhestand. Die Hoyerswerdaer bringen sie mit vielen Eigenproduktionen, dem Liederspielplatz und vor allem mit den Weihnachtsmärchen in Verbindung. Als deren Regisseurin und als „Hexe vom Dienst“ war sie eine feste Größe.

Frau Belka, wie wird man Märchenfrau und Hexe in einem so modernen Haus, wie es das HBE damals war?

So geplant war das nicht. Ich war schon vor 1984 in der Kultur tätig. Ich war die Frau für die Volkskunst, verantwortlich für vieles, was heute von den Vereinen getragen wird. Volkskunst war überall verteilt, in Hoyerswerda hatten wir in der Zetkinstraße 11 einen ganzen Aufgang. Alle Wohnungen waren von uns belegt: von Fotografen, Grafikern, Malern, Keramikern, schreibenden Arbeitern oder Schülern, auch Musiker wie das Blasorchester gehörten zu uns und auch das Kabarett „Die Hornissen“. Das war der Zirkel, dem ich selber angehörte. Wir organisierten Auftritte und Material – für alle. Drei Mitarbeiter saßen damals zusammen in einem Zimmer, mein Büro war in einer winzigen Küche einer Wohnung. Dann sollten alle zusammen ins HBE ziehen. Ungefähr ein Jahr nach der Eröffnung waren unsere Räume dort fertig, Mit 29 Volkskunstkollektiven ging es in das neue Haus. Aber: Wir waren erst mal „die von der Volkskunst“. Man muss sich das heute so vorstellen: Im HBE dominierte die Unterhaltung. Die meisten Veranstaltungen waren Eigenproduktionen. Alles wurde selbst gemacht, von der Programmgestaltung über die Technik, das Licht, die Bühnenbilder. Das waren die Profis. Dann gab es die Werbeabteilung, und dann kam eine kleine Weile nichts. Das fühlte sich manchmal so an, als belegten wir, „die von der Volkskunst“, einfach nur die Räume.

Das haben die Hoyerswerdaer damals so nicht gespürt. Wie ist es gelungen, den „kleinen Graben“ zu überspringen?

Das verdanken wir solchen Eigenproduktionen wie dem Liederspielplatz mit Siegfried Uhlenbrock. 1984 ging der erste über die Bühne, nach 20 Jahren konnten wir auf 130 Vorstellungen mit 90.000 Besuchern zurückschauen. Hier waren viele unserer kleinen Volkskünstler beteiligt: die Ballettgruppen des Hauses, der Kinderchor Hoyerswerda unter der Leitung von Helga Meißner, manchmal auch kleine Akrobaten – viele waren dabei. Und im Haus staunte man ein bisschen, was Volkskunst alles kann. Wir gehörten mehr und mehr dazu.

Nach der Wende wurde auch die Volkskunst abgewickelt, bestenfalls mit Mut und Eigeninitiative in Vereinen weitergeführt. Wie ging es für Sie weiter?

Über diese Umbruchzeiten ist ja schon viel geschrieben worden. Die Ereignisse überschlugen sich damals, jeden Tag passierte was. Es kam der Tag, an dem alle Abteilungsleiter gehen mussten, weil sie zur ersten Leitungsebene des HBE gehörten. Ich konnte bleiben, weil ich zu dem Zeitpunkt kein Abteilungsleiter war. Gott sei Dank blieb dem HBE das Schicksal vieler anderer Betriebskulturhäuser erspart. Der damalige Landkreis Hoyerswerda und die Stadt übernahmen die Verantwortung. Zum neuen Chef wurde Michael Renner berufen, von den über hundert Mitarbeitern blieben zwölf Leute. Ich wurde Mitarbeiterin in der Abteilung Veranstaltungstätigkeit. Es galt, das Haus in die neue Zeit zu überführen. Alles musste „sich rechnen“, wie es nun hieß, und an selbst gemachte Kultur war anfangs nicht zu denken. Und doch regte sich bald wieder etwas.

Was meinen Sie damit?

Wir wussten ja, was wir aus eigener Kraft können. Schon bald geisterte der Gedanke an eine eigene Weihnachtsaufführung durch die Köpfe einiger Kulturmacher. Alte Netzwerke wurden belebt, Siegfried Uhlenbrock inszenierte die ersten Märchen. Und es kam Neues. Ohne so Kulturbesessene wie Grit Lemke, die viele Texte schrieb, oder ohne Torsten Hauser („Hausi“), der solche Lieder wie das Zwergenlied erfand, oder ohne Michael Renner, der immer hinter uns stand und viele, viele mehr, hätte es die Weihnachtsmärchen ab 1992 nicht geben können. So aber gibt es die noch heute.

Das Haus wurde ganzjährig bespielt. Sie waren später verantwortlich für die Programme. Wie war das für Sie?

Oh Gott! Da habe ich manches Lehrgeld gezahlt! Künstlerbetreuung wie vor der Wende war ja nicht mehr denkbar. Die Künstler kamen am Veranstaltungstag im Zehn-Minuten-Takt, und wir waren so wenig Leute. An einem Heitere-Muse-Abend gab es einen Auftritt eines Künstlers, der Vogelspinnen und Skorpione herumkrabbeln ließ. Zehn Minuten waren dafür geplant. Der Künstler hielt aber einen 45-minütigen populärwissenschaftlichen Vortrag, die Leute stöhnten. Ich hätte am liebsten das Licht ausmachen lassen! Ab da wusste ich: Man muss sich alles anschauen oder wenigstens genau absprechen. Das ging bis zum Honorar. Als einmal an einem Abend volles Haus war, sagte ein Künstler kurz vor seinem Auftritt: „Wenn das hier so voll ist, will ich mehr Gage!“

Es gab auch Momente, über die muss ich bis heute lachen: Einmal, es war im Winter, es war glatt und Schneesturm, sollte das Glenn-Miller-Orchester gastieren. Das Publikum war da, alle freuten sich, bloß die Musiker ließen auf sich warten. Sie steckten irgendwo fest – und Handys gab es noch nicht. Kurz vor Konzertbeginn erreichte uns doch ein Anruf und eine Stimme teilte mit: Die Leute möchten sich noch ein bisschen gedulden. Glenn Miller kommt in 45 Minuten. Der Anruf half uns sehr weiter, doch der Übermittler der guten Nachricht wusste wohl nicht, dass Glenn Miller seit 1944 als vermisst galt. Ich habe dem Publikum die Verspätung mitgeteilt und in Aussicht gestellt, dass der Musiker heute selber kommen könnte. Große Erleichterung und Heiterkeit im Saal.

Neben solchen Erlebnissen und den legendären Hexenrollen beim Weihnachtsmärchen: Was bedeutet die Arbeit in der Lausitzhalle bis heute für Sie?

Ich bin ja seit 2001 im Ruhestand. 2012 habe ich das letzte Weihnachtsmärchen inszeniert, ich wollte noch mal Hexe sein, alles lange her. Ich finde es in der heutigen Zeit nicht alltäglich, dass viele ehemalige Kollegen zueinander noch guten Kontakt haben. Das geht so weit, dass wir uns zum Geburtstag besuchen. Auch wenn wir uns mal irgendwo zufällig treffen, ist die Freude immer groß. Manche ehemaligen Kollegen sind zu besten Freunden geworden. All das verdanke ich der Arbeit im HBE, in der Lausitzhalle.