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Wie acht Berliner zu Bergenern wurden

Familie Fengler hat sich über das letzte Jahr in einem Vierseithof direkt im Herzen des Dorfes neu eingerichtet.

Von Mirko Kolodziej
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Die Sitzecke im Garten hinter dem Hof hat der 18-jährige Jonas (hinten rechts) nach Anleitung per Youtube-Video mit einer Zier-Mauer versehen.
Die Sitzecke im Garten hinter dem Hof hat der 18-jährige Jonas (hinten rechts) nach Anleitung per Youtube-Video mit einer Zier-Mauer versehen. © Foto: Mirko Kolodziej

Elsterheide. Mit ausgebreiteten Armen steht Dr. Thomas Fengler im Flur zwischen zwei Räumen, weist auf die Türen und erklärt: „Dort lag Heu und dort auch.“ Mittlerweile ist der Raum links ein sehr, sehr ordentliches Mädchen-Kinderzimmer und der Raum rechts sieht für ein Jungs-Kinderzimmer eigentlich auch ganz passabel aus.

Es hat also zuletzt Um- und Ausbauten in jenem Gehöft am Bergener Anger gegeben, das man im Dorf als Kockrick-Hof oder wahlweise auch noch als Domizil einer Post-Stelle kennt. Am Tor des Vierseithofes ist auf den ersten Blick ersichtlich, wer hier lebt. Denn ein buntes Schild zeigt acht aufgemalte Personen. „Familie Fengler“ steht darüber. So viel Zuzug auf einen Schlag gibt es in Bergen wohl nicht oft.

Voriges Jahr kam die Familie nach dem Erwerb des Gehöftes aus Berlin-Marienfelde, Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Mutter Tina ist eine Rückkehrerin. Die 39-Jährige ist hier aufgewachsen, hat an Hoyerswerdas Johanneum ihr Abitur abgelegt. Ihre Eltern wohnen am anderen Ende des Angers. Noch kommen sie gut alleine klar. Aber das muss ja nicht so bleiben, was einer der ausschlaggebenden Punkte dafür war, der Hauptstadt den Rücken zuzukehren.

„Naja, wir haben die Kinder gefragt, ob ihnen Bergen gefällt und ein begeistertes Ja gehört“, erzählt Vater Thomas. Der Arzt, der über viele Jahre unter anderem Chefredakteur einer internationalen Fachzeitschrift für Fragen der Hygiene im Umgang mit medizinischen Geräten war, kann inzwischen kürzertreten. Allerdings hängt neben dem Familien-Schild am Tor ein zweites mit der Aufschrift „Hausarzt“, das seine Bereitschaft zu Privat-Konsultationen anzeigt. Um einen Kassenarzt-Sitz wollte er sich aber nicht mehr bewerben. Ehefrau Tina ist in Hoyerswerda in der Pflege-Ausbildung beschäftigt, trägt sich aber mit dem Gedanken, Patienten-nahe Leistungen nach dem Gemeindeschwester-Modell anzubieten. Das ist jedoch nicht so einfach, wie es das einst war, da im Gesundheitssystem so nicht mehr vorgesehen.

Ein Umzug aus Berlin in die Lausitz hat natürlich, sowie alles, Vor- und Nachteile. Der elfjährige Noa zum Beispiel sagt, er müsse sich noch eingewöhnen: „In Berlin war immer etwas los.“ Daher freut er sich über den Trubel an seiner Schule. Noa, sein Bruder Thomas und ihre Schwester Lina besuchen, so wie einst ihre Mutter, das Johanneum. Noa und der zehnjährige Thomas spielen außerdem beim LSV Bergen Fußball. Thomas sagt, die Trainer seien hier netter als die bei Stern Marienfelde, einem Verein mit sechs (!) E-Jugend-Mannschaften. Jedoch: Thomas’ bester Freund Paul ist immer noch in Berlin, die beiden besuchen sich aber gegenseitig. Und die Grundschule in Laubusch empfand Thomas nicht unbedingt als überragend. Er war aus der Hauptstadt jüngere Lehrer gewohnt.

Die zwölfjährige Lina findet aber die Lehrer am Johanneum toll und freut sich, nicht mehr auf den Bus warten zu müssen: „Hier kann man einfach per Fahrrad in die Schule und zu Freunden fahren.“ In ihrem Zimmer liegt sauber aufgetürmt ein Riesenstapel Bücher. Daher ist das Mädchen auch angetan von der Brigitte-Reimann-Bibliothek, wo man ihr nicht nur zurücklegt, was sie gern haben möchte, sondern im Zweifel ein Buch sogar extra ins Sortiment nimmt. Und die Schulbibliothekarin am Johanneum hat ihr einfach so Nachhilfe gegeben, weil ihr nach dem Wechsel des Schulsystems ein Jahr Französisch fehlte.

Nesthäkchen Matheo geht noch in den Schwarzkollmer Kindergarten „Krabat“. Für ihn ist der einstige Kockrick-Hof ein riesiger Spielplatz. Schwester Lea-Sophie hingegen pendelt mittlerweile. Die 19-Jährige hat in Dresden eine Lehre begonnen und lebt unter der Woche dort. Sie kann Bergen im Vergleich zu Berlin aber doch Einiges abgewinnen: „Die Leute sind hier offener und es ist weniger hektisch.“ Das sieht auch der 18 Jahre alte Jonas so: „Wenn man in Berlin das Auto abwürgt, wird man gleich angehupt, hier warten die Leute einfach, bis es wieder gestartet ist.“ Der junge Mann hat goldene Hände. Nicht nur war sein erster Versuch als Maurer mit der Herstellung einer Zier-Mauer im Bergener Garten erfolgreich. Er hat hier auch selbst ein altes Auto auseinandergenommen, die Einzelteile in Ordnung gebracht und den Pkw wieder montiert. Der Platz auf dem Hof kam ihm dabei zupass. Aktuell ist er zusammen mit seiner Schwester Lea-Sophie damit beschäftigt, ein Badezimmer samt Fußboden, Wandverkleidung und Installationen zu modernisieren. In wenigen Tagen beginnt er eine Lehre bei der Spedition TSS im Industriepark Schwarze Pumpe.

„So ein Vierseithof bietet Möglichkeiten ohne Ende“, sagt Dr. Thomas Fengler. In diesem Fall bedeutet das unter anderem Platz für Hund, Katze, Meerschweinchen, Kaninchen, Hühner sowie Laufenten. Und die Freiheit einer Großstadt, ist der Arzt überzeugt, würden zumindest Kinder nicht spüren, wenn sie ständig auf den Verkehr achten und den anderen Widrigkeiten des rauen Stadtlebens ausweichen müssten. Er selbst ist gebürtiger Neuköllner. Während seiner Kindheit wurde sein Stadtbezirk durch eine Grenzbefestigung vom benachbarten Treptow getrennt. Unmittelbar rund um Bergen hingegen gibt es nichts als Wald und Acker, weite Landschaft. Allerdings ist das am Ende nicht das Entscheidende, meint der Mediziner. „Ich bin nicht in der Stadt oder auf dem Dorf zu Hause, sondern in meiner Familie“, sagt er.