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Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Wolkenberg wurde 1991 abgebaggert. Seit 2010 wird der rekultivierte Standort zum Weinanbau genutzt.

Von Andreas Kirschke
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Der Weinberg Wolkenberg umfasst sechs Hektar. Er ist einer der größten Weinberge Brandenburgs. Hier wachsen acht Rebsorten – vom Cabernet über Schönburger, Weißburgunder, Grauburgunder bis zum Roten Riesling. Geschäftsführerin ist Bettina Muthman
Der Weinberg Wolkenberg umfasst sechs Hektar. Er ist einer der größten Weinberge Brandenburgs. Hier wachsen acht Rebsorten – vom Cabernet über Schönburger, Weißburgunder, Grauburgunder bis zum Roten Riesling. Geschäftsführerin ist Bettina Muthman © Foto: Andreas Kirschke

Welzow. Sylvia und Roland Pietzker halten inne. „So eine Rekultivierung haben wir noch nie gesehen. Die Dimension der Tagebau-Folgelandschaft ist enorm. Dass auf so trockenem Boden Wein wächst ...“, staunen die Radwanderer aus Berlin vor dem Weinberg Wolkenberg. 1991 musste an dieser Stelle der Ort Wolkenberg dem Braunkohlen-Tagebau Welzow-Süd weichen. Die 172 Einwohner siedelten um in die Nachbar-Dörfer; nach Cottbus und nach Spremberg. Für immer ging ihre Heimat, zu der auch die Dorfkirche mit Feldsteinmauern aus dem 15. Jahrhundert gehörte, verloren.

Der Größte neben dem Wachtelberg

Westlich von Spremberg ragt heute der Weinberg Wolkenberg auf drei Terrassen bis zu 140 Meter in die Höhe. Der Hang in Richtung Süd-Süd-West neigt sich elf Grad. Für den Weinanbau liegt er ideal. Neben dem Wachtelberg Werder ist der Wolkenberg einer der größten Weinberge in Brandenburg. „Der Wolkenberg-Weinhang kann eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schaffen“, meint Doris Wüstenhagen, Leiterin des Bereichs Planung, Rekultivierung im Bergbauunternehmen Leag, und erinnert sich an die Entstehung des Wolkenberges. In Anlehnung an den alten Ortskern wurde ein Rundweg angelegt, ehemalige Straßenverbindungen wurden angedeutet. Durch Findlinge aus der Eiszeit wird heute an markante Gebäude sowie Gehöfte erinnert. Die alte Friedens-Eiche, die nach dem I. Weltkrieg gepflanzt wurde, kehrte zurück. Sie wird in einigen Jahren den Besuchern wieder Schatten spenden. „Einst“, so Doris Wüstenhagen, „waren vielerorts Weinreben an Haus-, Stall- und Scheunenwänden als Spalier gezogen. Historische Karten zeigen im Umfeld des Tagebaus Welzow-Süd jedenfalls unzählige Hügelsymbole von ehemaligen Weinbergen.“ Diese landschaftsprägenden Hinweise nahm der Leag- „Vorgänger“ Vattenfall damals in die Planung auf.

Hinter den Weinstöcken am Südwesthang des Wolkenbergs ist der Tagebau Welzow Süd mit seinen Großgeräten zu erkennen.
Hinter den Weinstöcken am Südwesthang des Wolkenbergs ist der Tagebau Welzow Süd mit seinen Großgeräten zu erkennen. © Foto: Uwe Jordan (Archiv)

Erste Tests im Jahre 2004

Im ersten Schritt, so Doris Wüstenhagen, wurde die Machbarkeit in Bezug auf Lage, Sorten, Vegetationszeiten, Klima, Ertrag sowie standörtliche Voraussetzungen in einem Versuchsfeld seit 2004 getestet. Jenes Versuchsfeld diente nicht der Herstellung von Wein zu kommerziellen Zwecken, sondern ausschließlich der Überprüfung aller für einen rentablen Anbau von Wein relevanten Aspekte. „Der Aufbau und die Bewirtschaftung der Anlage wurde mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), dem Lehrstuhl für Rekultivierung und Bodenschutz, bis zum Jahr 2012 vereinbart. Die Erkenntnisse flossen nahtlos in den Aufbau und in die Strukturierung der Wolkenberg-Rebflächen ein“, sagt Doris Wüstenhagen. Als Mitarbeiterin der Abteilung Rekultivierung war sie für die wissenschaftliche Begleitung verantwortlich sowie für die folgende Projekt-Umsetzung. Bis heute betreut sie die Belange des Weinberges.

Sehr aufwendig war das Anlegen des Weinberges. Auf Grundlage eines Bodengutachtens folgte eine mineralische und organische Düngung der Flächen. Im Vorfeld wurde die Erde tiefengelockert und an die Oberfläche getretene Steine abgelesen. Aufgerebt wurden sechs Hektar mit verschiedenen Sorten. Die Reben stammten aus der Rebschule Antes aus Heppenheim (Südhessen). Jahr für Jahr entwickelte sich der Weinberg weiter. Heute gedeihen auf sechs Hektar mit 26.600 Rebstöcken acht Rebsorten. Dort wachsen die Weine Grauburgunder, Weißburgunder, Spätburgunder, Cabernet Dorsa und Rondo sowie die in Deutschland seltenen Sorten Kernling, Schönburger und Roter Riesling. Hinzu kommen 19 historische Sorten wie „Perle von Csaba“ und „Traube Madelaine“.

„So gut wie in diesem Jahr standen die Weinreben noch nie. Wir rechnen mit insgesamt circa 40 Tonnen Ertrag“, sagt Kurt Schwalbe, ausgebildeter Obstbauer und Winzer, heute Mitarbeiter der Weinberg Wolkenberg GmbH. Diese bewirtschaftet als Pächter seit 2010 die Fläche. Eigentümer ist die Leag. Von einem Hektar Fläche sind rund 7.000 Liter Wein-Ertrag zu erwarten. Bundesweit vermarktet ihn der Betrieb. Bis 2015 galt die sogenannte Jung-Erziehung der Reben. Nur geringfügig wurde geerntet. Die Ernte diente zur Qualitätsbestimmung. „Seit 2014 ist der Betrieb Haupt-Erwerb“, sagt Bettina Muthmann, gemeinsam mit Martin Schwarz Geschäftsführerin der Weinberg Wolkenberg GmbH. Mitarbeiter ist Kurt Schwalbe.

Zäh und schwierig waren die Anfänge 2014 im Haupterwerb. Der Betrieb sorgte für neue Grundstrukturen. Befahrbare Hänge und Gassen entstanden. Ein flexibles System der Bewässerung entstand mit Unterstützung von Vattenfall. Jederzeit ist es einsetzbar. „Dieses Jahr haben wir Gott sei Dank genug Niederschlag“, sagt Bettina Muthmann. Früher unterrichtete sie als Lehrerin für Englisch und Kunst. Der Liebe willen zog sie aus ihrer Heimat Mülheim an der Ruhr 1994 nach Cottbus-Sielow in die Niederlausitz. „Hier lebt es sich wesentlich entschleunigter als im Ruhrgebiet“, meint sie heute. Den Betrieb führt sie aus Verbundenheit zur Geschichte, aus Liebe zum Wein, aus Dankbarkeit zur Natur, aus Wertschätzung für die harte Arbeit der Winzer. „Wir verzichten weitgehend auf Chemie bei der Düngung“, sagt die Geschäftsführerin. „Wir achten zudem auf geringen Anschnitt. Das heißt, wir überlasten die Rebstöcke nicht.“

Jährlich 40.000 Flaschen

Weitsichtig stellt sich der Betrieb auf den Klima-Wandel ein. Arbeitsschritte werden verändert. Beim Entblättern der Rebstöcke geht der Betrieb sensibler als sonst vor. Die Reifephase der Trauben, so betont die Geschäftsführerin, muss sich wieder nach hinten verlagern. Bis zu 60 Jahre alt kann ein Rebstock bei guter Pflege werden. Zum Weinbau, so betont Bettina Muthmann, gehören viel Liebe zur Natur, professionelle Bewirtschaftung und Dankbarkeit.

Seit 10. September kommen Helfer zur Weinlese. Stück für Stück ernten sie unter Anleitung von Kurt Schwalbe die Rebstöcke ab. Das beginnt mit den Sorten Schönburger und Weißburgunder. Beide Sorten dienen für die Sekt-Herstellung. Mitte Oktober endet die Lese mit der Ernte des Roten Riesling. Manche Sorte reift noch Monate lang im Eichenfass. Andere Sorten reifen noch in der Flasche. Der jährliche Ertrag beträgt im Durchschnitt mindestens 40.000 Flaschen. Vertrieben wird der Wein in ganz Deutschland. Es gab auch schon Lieferungen nach Österreich und in die Schweiz. Hauptabsatzgebiet ist die Ostsee mit der Insel Usedom und weiteren Gebieten, ebenso Sachsen und Berlin.

„Ein guter Wein“, so unterstreicht Winzer Kurt Schwalbe, „braucht drei, vier Jahre Reifezeit. Erst dann mundet er“. Noch arbeitet der Betrieb nicht wie gewünscht wirtschaftlich. Das soll in zwei, drei Jahren geschafft sein, bekräftigt Bettina Muthmann. Immer wieder berühren sie die Begegnungen bei der Wein-Lese. Sogar frühere Wolkenberger halfen schon mit. Mancher kommt aus tiefer Verbundenheit zur früheren Heimat. Mancher kann den Schmerz über den Verlust der Heimat nicht vergessen. „Die meisten Einwohner, die hier waren, haben ihren Frieden gemacht mit der Geschichte. Sie staunen, wie am Wolkenberg immer wieder neues Leben entsteht“, sagt die Geschäftsführerin. Bewegt erzählt sie von einer rund 80-jährigen früheren Wolkenbergerin. In deren Gesicht liegt keine Spur von Bitterkeit und Enttäuschung. Stattdessen strahlt sie Frieden und Versöhnung aus.

Nach zehn Jahren Weinbau zieht die Leag als Verpächter durchaus ein gutes Fazit. „Der Weinbau in der Lausitz kann einen Beitrag zur Stärkung der regionalen Identität leisten“, ist Doris Wüstenhagen überzeugt. „Die Bergbau-Folgelandschaft hat einen Mosaikstein für überregionale Sichtbarkeit gelegt, die angenommen wird und immer wieder zum Erstaunen führt“.

Botschafter des Lausitzer Reviers

Der Weinberg ist heute an die Wolkenberg GmbH verpachtet. Die Bewirtschaftung und Vermarktung liegt in den Händen des Pächters. Die Leag, so unterstreicht Doris Wüstenhagen, begleitet und unterstützt die Vorhaben des Pächters. Das Anlegen weiterer Weinberge in der Lausitz ist nicht geplant. „Wolkenberg-Weine sind heute Botschafter des Lausitzer Bergbau-Reviers“, sagt die Rekultiviererin und sieht langfristig wirtschaftliche und touristische Chancen. Die Anlage des Weinhangs, so verdeutlicht sie, ist nicht nur ein besonderer Farbtupfer in den Jahreszeiten. Er kann zugleich Anschub für späteren Tourismus in der Region sein. Er kann Basis für Identität mit einem Genuss-Produkt sein.

„Für Wein lokaler Herkunft besteht heute eine hohe Nachfrage“, fasst Doris Wüstenhagen zusammen. „Dies belegen Erfahrungen, die auf einer Halde des ehemaligen Tagebaus Mücheln im Mitteldeutschen Braunkohlenrevier gesammelt wurden, aber auch Erfahrungen der brandenburgischen Weinbau-Vereine in Schlieben und Grano bei Guben. Die Wolkenberger Weine aber dürften, siehe Foto oben rechts, etwas Außerordentliches bleiben.“