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„Ich würde das Betteln durch Kinder verbieten“

Hartmut Vorjohann ist seit 100 Tagen Bildungsbürgermeister. Da gibt es alte, aber auch neue Probleme zu lösen.

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© Symbolbild/dpa

Von den Finanzen zur Bildung, ein Sprung, den einige Hartmut Vorjohann nicht zugetraut haben. Genau 100 Tage ist er Bürgermeister in einem Ressort, das es vorher nicht gab. Bildung hat höchste Priorität. Was Vorjohann darunter versteht, erklärt er im SZ-Interview.

Bildungsbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU) spricht über Schulen und soziale Projekte.
Bildungsbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU) spricht über Schulen und soziale Projekte. © Sven Ellger

Herr Vorjohann, müssen Sie gerade einen neuen Beruf erlernen?

Nein. Es ist eine Mischung aus neuen und bekannten Themen. Als ich für die Finanzen zuständig war, hatte ich unmittelbar mit dem Bau und der Finanzierung von Schulen zu tun. Kitas sind auch bekanntes Terrain. Neu ist das Thema Qualitätsentwicklung. Das Jugendamt ist natürlich ein Riesenthema, das nicht ganz einfach ist.

Was sind wesentliche Unterschiede?

Ich muss jetzt die Sicht der Ämter einnehmen, nicht mehr die eines Querschnittsverantwortlichen. Da muss ich um Ressourcen für diese Aufgaben kämpfen und in die eigentlichen Inhalte gehen.

Gab es bereits Differenzen ums Geld mit dem neuen Finanzbürgermeister?

Nein. Wir setzen das um, was wir alle in der Haushaltsplanung besprochen haben und was der Haushaltsplan vorgibt.

Haben Sie also als Finanzbürgermeister Ihren damals noch künftigen Bildungsbereich gut ausgestattet?

Das kann man so nicht formulieren. Bildung wurde übergreifend als Schwerpunkt definiert. Auch da haben wir nicht alles erreicht. Für das Gymnasium Klotzsche gibt es zwar die Planungsmittel, aber es fehlen die Investitionsmittel. Ähnlich ist das bei dem Neubau der 151. Oberschule an der Königsbrücker Straße.

Bekommen auch Prohlis und Gorbitz jeweils ein Gymnasium?

Da fallen Sie mit der Kernfrage ins Haus. Das ist noch ein offener Diskussionsprozess. Der Referentenentwurf von Ende 2016 zur Schulnetzplanung sieht vor: Gorbitz ja, Prohlis nein. Das ist irritierend und nicht konsistent. Wir arbeiten an einer konsistenten Antwort. Wie die aussehen wird, will und kann ich noch nicht verraten. Dazu soll es wahrscheinlich Ende Mai eine Verwaltungsmeinung geben.

Stand jetzt: Ihre persönliche Präferenz?

Ich habe da zwei Seelen in meiner Brust. Für die Entwicklung der Stadtteile wäre es gut, aber ich kenne auch die Diskussionen aus der Elternschaft. Diese Standorte leben davon, dass auch Kinder aus anderen Stadtteilen hinkommen. Da hat es in der Vergangenheit Widerstände gegeben. Vor einigen Tagen hat die Schulleiterin des Hülße-Gymnasiums diese Sorge um einen neuen Standort Prohlis in der Sächsischen Zeitung ebenfalls formuliert. Das muss man ernst nehmen.

Was wird aus dem Standort an der Boxberger Straße?

Entweder ein Gymnasium, ein Berufsschulzentrum, ein Reservestandort für das Thema Asyl, wie im Moment oder am Ende vielleicht eine Universitätsschule. Es wird keine Lösung geben, die alle befriedigt.

Und an der Freiberger Straße?

Die alte Schulnetzplanung sagt, da soll ein Gymnasium hin. Der Referentenentwurf von 2016 sagt, da soll eine Oberschule hin. Auch da sind wir im Moment noch nicht so weit, weil wir die veränderten Anmeldezahlen zu den Oberschulen und Gymnasien analysieren und einarbeiten müssen.

Kommt das alte Operettengebäude in Leuben als Schule in Betracht?

Ich bin da skeptisch. Wir müssten angrenzende Grundstücke kaufen. Wenn die Stadt das will, werden aber Preise aufgerufen, die für uns nicht infrage kommen.

Wie lange muss das Modellprojekt Universitätsschule auf Ihre Entscheidung zur städtischen Trägerschaft warten?

Ich habe große Sympathien für das Konzept. Die Frage ist nur, wo? Im Moment haben wir eine Knappheit an möglichen Schulstandorten. Und zwar an den Stellen wo die Zahl der Schüler steigt. Das muss erst geklärt werden.

Thema Kitas: Wird es weiterhin für jedes Kind einen Platz geben?

Auf jeden Fall. Das konkrete Wo ist aber nicht immer einfach. Vor zwei Jahren gab es hierzu eine hitzige Debatte weil wir kein Geld hatten für die Komplettsanierung von etwa einem Dutzend Kitas in schlechtem baulichen Zustand. Hintergrund war damals, dass die zwei Kulturgroßprojekte mit zusammen fast 200 Millionen Euro finanziert werden mussten. Dann kam aber glücklicherweise der Bund mit einem Förderprogramm für finanzschwache Kommunen, sodass wir jetzt mit diesem zusätzlichen Geld die Komplettsanierungen umsetzen beziehungsweise Ersatzbauten errichten können. Die Alternative wäre aber nicht Zwangsschließung und damit ein Kitaplatzmangel gewesen sondern eine Minimalinstandhaltung für diese Kitas. Aber auch jetzt bleibt es dabei, dass nicht jeder zu jeder Zeit einen Platz in seiner Wunsch-Kita erhalten kann.

Es sollte auch ein Vertreterpool für Erzieherinnen eingerichtet werden.

Da haben wir dem Jugendhilfeausschuss den Vorschlag gemacht und zwar in Abstimmung mit den Kitabetreibern, keinen Pool einzurichten. Das wäre logistisch und arbeitsrechtlich schwierig. Das Geld soll stattdessen direkt an die Einrichtungen gegeben werden.

Wie wollen Sie bei der Jugendhilfe eine Mehrfachförderung verhindern?

Es gibt derzeit in der Verwaltung keinen systematischen Überblick, ob Träger von der Jugendhilfe, vom Sozialamt und vom Kulturamt Geld bekommen. Weil bei jeder Förderung immer auch Beträge zur Finanzierung des Verwaltungsbereiches beim Freien Träger enthalten sind, gibt es die Sorge, dass bei einer Mehrfachförderung eine Überfinanzierung für den Verwaltungsapparat entstehen kann, zumal die Freien Träger ja oft nicht nur von der Stadt Geld bekommen. Da kann man also entweder versuchen, verwaltungsintern einen automatischen Datenabgleich aufzubauen oder aber man gewährt als Freier Träger beispielsweise dem unabhängigen Rechnungsprüfungsamt Einblick in die eigenen Bücher, also in die Buchhaltung und die Bilanz. Das wird leider teilweise verwehrt. Das ist dann natürlich Wasser auf die Mühlen der städtischen Rechnungsprüfer, die sich ja hier jüngst sehr kritisch geäußert haben Man müsste es mal durchklagen, ob sie sich wirklich weigern dürfen.

Werden Sie Freie Träger verklagen?

Nein, das nicht. Ich bin auf die Freien Träger angewiesen, und die machen auch einen guten Job. Das müssten am Ende der Finanzbereich als Querschnittsbereich oder die Rechnungsprüfer selbst anschieben.

Die Hilfen zur Erziehung kosteten 2016 bereits 70 Millionen. Was ist mit dem von Ihnen geforderten Controlling?

Wir haben relativ gute Daten und wissen, wie viel Geld für wie viele Fälle in die Stadtteile geht. In Gorbitz und Prohlis geben wir deutlich mehr Geld dafür aus als in Loschwitz. Nicht nachvollziehbar ist, in welchem Maße die Kosten steigen. Das sind zehn Millionen Euro pro Jahr in den letzten drei, vier Jahren.

Der Stadt geht es heute deutlich besser als vor zehn Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Einkommen gestiegen, aber in der Jugendhilfe geben wir das Dreifache von damals aus. Ich bin gerade dabei, das zu analysieren.

Wann wollen Sie die langen Wartezeiten für Elterngeld und Amtsvormundschaften reduzieren?

Der Prozess läuft. Es werden mehr Mitarbeiter eingestellt. Das ist ein mühseliger Prozess. Dazu brauchen wir auch mindestens zehn weitere Stellen, wenn das neue Unterhaltsvorschussgesetz kommt.

In Dresden sind zunehmend bettelnde Kinder unterwegs. Ist da nicht das Jugendamt mehr gefordert?

Dazu gibt es derzeit Abstimmungen zwischen dem Ordnungsamt und dem Jugendamt, wie man der Sache Herr werden kann. Aber so leicht ist es nicht. Man kann nicht einfach den Eltern die Kinder wegnehmen. Ich würde das Betteln durch Kinder verbieten – wie in Berlin. Das müssen wir aber erst mit den Juristen diskutieren.

Das Gespräch führte Andreas Weller