Von Marleen Hollenbach
Geißmannsdorf. In der Halle ist es kühl. Nur 17 Grad zeigt das Thermometer. Liane Gruhlke trägt ein ärmelfreies Shirt und Hosen, die knapp über dem Knöchel enden. Kalt ist der 54-Jährigen trotzdem nicht. Dafür ist die Arbeit viel zu anstrengend. Vor sich hat sie Kisten gestapelt. Vier Paletten übereinander, damit sie sich nicht bücken muss. Das schont den Rücken. Routiniert dreht ihre linke Hand weiße Pilze aus der Erde. Dann übergibt sie an die rechte Hand. Die hält ein Messer, schneidet mit einer kurzen Bewegung die Wurzel ab. Seit sechs Uhr ist Gruhlke auf den Beinen. Seitdem füllt sie Schale um Schale. Bummeln darf sie nicht. Kurz nach 10 Uhr fährt der Laster mit der Ware vom Hof. Bis dahin muss alles fertig sein. Der Countdown läuft.
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An das Frühaufstehen hat sich Liane Gruhlke längst gewöhnt. Seit 20 Jahren arbeitet sie bei der Champignonzucht in Geißmannsdorf, ihrem Heimatort. Wie sie den kurzen Arbeitsweg zurücklegt? „Fahrrad“, antwortet sie knapp. Gruhlke macht nicht viele Worte. Nur wenn es um die Champignons geht, kommt sie ins Plaudern. Sie verrät, dass die Pilze nicht dreckig werden dürfen, dass man sie vorsichtig anfassen muss, damit keine Druckstellen entstehen. In ihrer Kiste landen vor allem die großen Champignons. Die Kleinen nimmt sie nur dann, wenn die Pilze zu dicht nebeneinander stehen. Es dauert nur wenige Minuten, da sind die ersten Schalen schon voll. Noch vier Stunden.
Vom Hobby zur Firma
Der Chef betritt den Raum. Adelfred Pietsch, 59, Schnauzbart. Das karierte Hemd steckt in der blauen Hose. Vor mehr als 40 Jahren fing er mit der Pilzzucht an. Zunächst war es nur ein Hobby. Nach der Wende stand er vor der Entscheidung: Aufhören oder investieren. Pietsch entschied sich für Letzteres und baute die große Halle, die heute noch steht. Jetzt kontrolliert er die Ernte. Die gefüllten Kisten landen im dunklen Gang. Dort stehen kleine Wägelchen, die unterschiedlich gut beladen sind. Eines haben alle gemeinsam. An jedem hängt ein Namensschild. „Maria“, „Ludmilla“ und natürlich auch „Liane“. So kann der Chef kontrollieren, wie viele Pilze jeder Mitarbeiter geerntet hat. Früher war das mal entscheidend. Vor dem Mindestlohn. Damals hat Pietsch die Pflücker noch nach Leistung bezahlt. Pro Kilo gab es 25 Cent. Heute muss er umgerechnet mit 40 Cent pro Kilo rechnen. Warum er überhaupt noch nachwiegt, wenn doch alle dasselbe bekommen. „Ich will die Leistung wissen. Wer ganz daneben liegt, kommt dann eben nicht wieder“, sagt er. Bislang ist er heute mit der Ernte zufrieden. Er schaut auf die Uhr. Drei Stunden hat er noch.
Vier erstaunliche Fakten über Champignons
Liane Gruhlke legt das Messer aus der Hand. Die oberste Palette ist fertig. Eine junge Frau betritt den Raum. „Du kannst hinten anfangen und brauchst nur noch unten“, sagt Gruhlke. Die Frau greift sich einen Bierkasten und läuft die 18 Meter bis an das andere Ende der Halle. Dann setzt sie sich, erntet, steht auf, rückt die Kiste weiter und setzt sich wieder. „Das hat sich so bewährt“, kommentiert Gruhlke das Geschehen. Inzwischen kommen acht ihrer 18 Kollegen aus Rumänien. Ihr Chef hat dafür eine einfache Erklärung. „Die Deutschen wollen diese Arbeit nicht mehr machen“, sagt er. Gruhlke hat sich derweil ein Brett mit Rollen geschnappt. „Das ist nur für mich“, sagt sie. Noch zwei Stunden.
Zwei Tonnen Ernte am Tag
Das Fließband rattert. Eine Frau mit kurzen Haaren hebt die Schalen hoch, stellt sie immer im selben Abstand auf das Band. Die Pilze fahren ein Stück, dann schließt eine Folie die Champignons unter sich ein. Plötzlich wird das Rattern lauter. Die Frau schreit kurz auf, dann drückt sie einen roten Knopf. Das Gerät stoppt. Irgendetwas hat sich verfangen. Der Chef muss helfen. In Sekunden bringt er das Fließband wieder in Ordnung. Die Frau atmet auf, die Maschine läuft weiter. Es wird knapp. Der Laster muss bald los. Eigentlich soll er Richtung Meißen fahren. Dort holen dann die Großkunden die Pilze ab. Bei Aldi und Norma steht Pietsch als Lieferant auf der Liste. Wenn er es nicht pünktlich schafft, muss er alle Kunden einzeln beliefern. Das kostet Zeit und Geld. Noch ist aber nichts verloren. Noch eine Stunde.
Wie viel sie heute geerntet haben? Etwa zwei Tonnen meint der Chef. In der Woche sind es zehn. Noch vor ein paar Jahren waren es nur halb so viele. „Wir haben da alles noch allein gemacht“, sagt Pietsch. Damals legte er den Nährboden für die Pilze noch selbst an, ein Gemisch aus Stroh, Pferdemist und Hühnerstreu. Heute kauft er lange Kisten, in denen schon weiße Köpfe rausgucken. Die holen seine Mitarbeiter aus Sachsen-Anhalt. Zwei Tage bleiben sie in seiner Halle stehen. Dann kann er schon ernten. Liane Gruhlke hat die Wurzeln der Pilze eingesammelt. Nun schiebt sie eine große Schubkarre aus der Halle. Die Reste landen auf dem Kompost. Noch zehn Minuten bis zur Abfahrt.
Die Laster stehen schon vor dem Hallentor. Es ist heiß an diesem Tag, die Sonne scheint. Pietsch blinzelt. Das Auge muss sich erst an das helle Licht gewöhnen. Auf seiner Stirn bilden sich die Schweißperlen. Er lässt den Blick schweifen, schaut noch einmal ins Innere des Fahrzeuges. Dort stapeln sich die Kisten. Eine über der anderen, ordentlich aneinander gereiht. Pietsch kontrolliert die Zeit. In einer Minute muss der Laster vom Hof rollen. Die Ware ist abfahrbereit. Der Mann hinterm Steuer lässt den Motor an. Pietsch lächelt. Geschafft!
Champignonzucht Adelfred Pietsch, Geißmannsdorfer Str. 20 in Bischofswerda Ortsteil Geißmannsdorf. Die Pilze verkauft der Chef auch direkt auf seinem Hof.