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In Handschellen zum Arzt

Die Praxis eines Bautzener Artztes darf Ingolf Raupach nur in Fesseln betreten. Dabei gilt der Häftling als zuverlässig und erhält sogar Ausgang ohne Bewachung.

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Von Christoph Scharf

Bautzen. Ingolf Raupach ist nicht gerade ein Mann, den man einen Schrank nennen würde. Der 48-Jährige wirkt eher schmächtig. Normaler Händedruck, schüchternes Lächeln. Würde man ihn auf dem Gehweg begegnen, könnte man ihn für einen Handwerker halten. Doch die Chancen, den Dresdner auf der Straße zu treffen, stehen derzeit schlecht: Ingolf Raupach sitzt seit 2008 in Bautzen hinter Gittern. „Wegen Betrugs“, sagt der Familienvater, der lange in der Schweiz gelebt hat. Entlassen wird er wohl erst im Juli 2013.

Ausgang erlaubt

Doch mittlerweile genießt der Gefangene Hafterleichterungen. Bei sogenannten Besuchsausgängen darf sich Raupach mit Frau und Kind vor der Anstalt treffen und stundenweise in die Stadt gehen. „Ohne Bewachung, ohne Handschellen.“ Dass der 48-Jährige dafür geeignet ist, hat die Justizvollzugsanstalt (JVA) aufwendig geprüft. „Welcher Gefangene unter welchen Bedingungen Ausgang bekommt, wird immer im Einzelfall entschieden“, sagt Anstaltsleiter Bernhard Beckmann. Solche Ausgänge gehören wie der Offene Vollzug dazu, Gefangene wieder auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten.

Deshalb hat es Ingolf Raupach besonders getroffen, als jetzt ein Arzttermin außerhalb der Mauern anstand – und der Facharzt dem Gefangenen mitteilen ließ, dass es ohne Fesselung keine Behandlung gäbe. „Er verlangt, dass Gefangene generell mit Handschellen vorgeführt werden und sie während der Behandlung auch drum bleiben.“

Besuche bei „normalen“ Bautzener Ärzten sind für die mehr als 300 Gefangenen keine Seltenheit. In der JVA praktiziert lediglich ein Hausarzt, Zahnärzte kommen stundenweise hinter Gitter. Für jede Facharzt-Behandlung macht die Anstalt Termine „draußen“ aus – anders geht es nicht. Wie so etwas abläuft, hat Ingolf Raupach erlebt, als er noch keine Hafterleichterungen genoss. Nachdem er im Krankenhaus an der Schilddrüse operiert wurde, saß dort 24 Stunden am Tag ein Bewacher bei ihm. Als es zur Nachsorge zum Arzttermin ging, waren zwei Bedienstete dabei – und die Handschellen blieben dran. „Den Fragebogen musste mein Begleiter ausfüllen, ich konnte nicht mal meinen Oberkörper frei machen.“ Der Arzt half sich, in dem er das Hemd für den Ultraschall selbst beiseite schob.

Angst vor Übergriffen

Das hat Ingolf Raupach akzeptiert. Schließlich hatte ihm die Anstalt, die seinen Werdegang kennt, diese Regeln auferlegt. Später kamen aber die Hafterleichterungen, die sich schon beim zweiten Krankenhausaufenthalt auswirkten. „Dann durfte ich mich auf dem Klinikgelände frei bewegen“, sagt der Dresdner. Zur Kontrolle schaute lediglich drei Mal täglich ein Vollzugsbediensteter vorbei. „Und die Ärzte und Krankenschwestern behandelten mich genauso freundlich, wie ‚zivile‘ Patienten.“

Das hätte er sich auch gewünscht, als vor wenigen Tagen der nächste Nachsorge-Termin beim Facharzt nahte. Doch der bestand als einziger weiter auf Handschellen – weshalb sich Raupach an die SZ wandte. „Kann ich mir denn so überhaupt sicher sein, dass ich ohne Vorurteile wie ein normaler Patient behandelt werde?“

Mit der Behandlung von Gefangenen habe er kein Problem, sagt der Arzt auf Nachfrage der SZ. Aber er legt grundsätzlich weiter Wert darauf, sie gefesselt zu behandeln. „Zur Sicherheit meiner Mitarbeiterinnen und meiner Patienten – ich weiß doch gar nicht, weshalb diese Leute im Gefängnis sitzen.“ Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass ein Gefangener während der Behandlung türmt – und dabei vielleicht sogar noch einen Arzt nieder sticht. Dass sein Patient schon diverse Freigänge hinter sich hat, könne er doch nicht wissen.

Mittlerweile hat der Anstaltsarzt den Kollegen „draußen“ angerufen und ihm die Situation von Ingolf Raupach erklärt. Der durfte nun ausnahmsweise ohne Handschellen in die Praxis kommen. Am Grundsatz wird sich aber nichts ändern. „Mir ist es einfach sicherer, wenn die Leute gefesselt kommen.“