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Indizienprozess um Gift im Cappuccino

Eine Döbelnerin soll einer Kollegin starke Beruhigungsmittel verabreicht haben. Sie leugnet bis zum Schluss.

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© Dietmar Thomas

Von Tina Soltysiak

Döbeln. Nervös knetet sich die Angeklagte die Finger. Mit einem angespannten Gesichtsausdruck sitzt sie auf der Anklagebank des Döbelner Amtsgerichts. Am zweiten Prozesstag soll geklärt werden, ob sie einer ehemaligen Kollegin mehrfach heimlich das starke Beruhigungsmittel „Tavor“ in den Cappuccino gerührt hat. Die Frau ist wegen gefährlicher Körperverletzung durch Beibringung von Gift in fünf Fällen angeklagt.

Nachdem am ersten Verhandlungstag die Geschädigte, die als Nebenklägerin auftrat, und eine Zeugin gehört wurden, sagten am Dienstag drei weitere Zeugen aus: der Chef der Angeklagten, ein weiterer Kollege und ein Kriminalbeamter, der den Fall bearbeitet hat.

Die Angeklagte und das 32-jährige Opfer haben gemeinsam in einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Nähe von Döbeln gearbeitet. Das Verhältnis der beiden beschreiben alle Zeugen als „normal“. Die Angeklagte sei eine fleißige und zuverlässige Arbeitskraft gewesen. Sie hatte stets für die morgendlichen Frühstücksrunden den Cappuccino für sich und die Kollegen zubereitet. Sie kannte die Vorlieben. Die Geschädigte wollte ihre Tasse nie ganz voll. Das entpuppte sich im Prozess als wichtiges Detail. Es gab eine feste Sitzordnung, sodass die Angeklagte gewiss sein konnte, dass tatsächlich ihr Opfer das manipulierte Heißgetränk zu sich nehmen würde.

Schlapp und schläfrig

Die Geschädigte hatte geschildert, dass es ihr zwischen April und September vergangenen Jahres nach dem Trinken des Cappuccinos regelmäßig schlecht wurde. Sie fühlte sich schlapp, schläfrig und hatte Sprachstörungen. „Das ist mir auch aufgefallen. Sie war nicht konzentriert, wirkte wie weggetreten“, sagte der Stationsleiter des Landwirtschaftsbetriebes. Er fasste in seiner Aussage das Geschehen zusammen: Am 17. September wandten sich drei seiner Mitarbeiter – darunter die Geschädigte – an ihn und erzählten ihm von dem Verdacht, dass der 32-Jährigen von der Angeklagten eine Substanz verabreicht wird. „Ich erteilte ihnen Redeverbot und forderte objektive Beweise“, sagte er. Am 22. September trank die Geschädigte ein wenig von dem Cappuccino, ließ den Rest stehen. Sie ging zum Drogenscreening ins Klinikum Döbeln. Im Urin wurde der Wirkstoff Benzodiazepin/Lorazepam nachgewiesen – und damit ein wesentlicher Bestandteil des Medikaments „Tavor“. Die Geschädigte erstattete Anzeige bei der Polizei.

„In der Zeit habe ich Vorbereitungen getroffen, um weitere Beweise zu sammeln. Deshalb habe ich eine Minikamera im Aufenthaltsraum installiert. Davon habe ich niemandem erzählt“, sagte der Chef aus. Die erste Aufnahme stammt vom 29. September, die zweite vom 1. Oktober. Sie wurden vor Gericht abgespielt. Die Angeklagte ist zu sehen, wie sie die Tassen hinstellt, das Cappuccinopulver einfüllt. Sie geht zu ihrer Tasche, holt etwas heraus und rührt den Inhalt der Tasse kräftig um. „Wir haben den Cappuccino sichergestellt. Außerdem hat die Frau etwas in den Papierkorb geworfen. Den habe ich nach Dienstschluss, als alle weg waren, entleert. Darin habe ich den Abriss einer Tablettenpackung gefunden“, sagte der Stationsleiter. Am darauffolgenden Tag habe er die Angeklagte zur Rede gestellt und eine Taschenkontrolle durchgeführt. Dabei kam unter anderem das „Tavor“ zum Vorschein. Die Döbelnerin wurde suspendiert.

Die Tablettenpackung, die beiden sichergestellten Cappuccinos und die Videoaufzeichnungen übergab er der Polizei. Außer dem Stationsleiter sagte ein Mitarbeiter aus. Auch ihm soll die Beschuldigte nach einem Wortgefecht am Morgen des 14. September das „Tavor“ verabreicht haben. Er schilderte dieselben Symptome wie das Opfer. Am 15. September wollte die Angeklagte wohl der Geschädigten erneut das Mittel verabreichen. Allerdings tauschte die 32-Jährige mit einer Kollegin absichtlich den Cappuccino. Daraufhin ging es der Kollegin schlecht. Auf den Tausch soll die Angeklagte verwundert reagiert haben.

Keine Zweifel an der Glaubwürdigekit

Der Kriminalbeamte, der den Fall bearbeitet, hat „keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen“. Er hatte veranlasst, dass die Flüssigkeiten gerichtsmedizinisch untersucht werden. Das für alle im Gerichtssaal erschreckende Ergebnis verlas Richterin Christa Weik: In der ersten Probe vom 22. September seien etwa drei Milligramm des Wirkstoffs Lorazepam nachgewiesen, in der zweiten vom 29. September dann sechs Milligramm. „Im zweiten Fall kann man schon von einer Überdosierung sprechen“, sagte sie. Das hätte für die Geschädigte schlimme Folgen haben können – im Extremfall sogar den Tod.

Nachdem alle Zeugen gehört waren, stand für Staatsanwältin Angelika Rickert fest: „Es kann nur die Angeklagte gewesen sein. Die Zeugen sind glaubwürdig. Die Tasse des Opfers war aufgrund der Füllmenge markant, es gab eine feste Sitzordnung. Der Tassentausch der beiden Kolleginnen war sehr clever.“ Ein weiteres Indiz liefere das Video, einen Beweis die Drogenscreenings. Sie forderte eine Strafe von 14 Monaten ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, eine Geldauflage von 200 Euro sowie die Begleitung durch einen Bewährungshelfer. Nebenklageanwalt Robert Thees schloss sich dem an. Der Anwalt der Angeklagten Carsten Opitz plädierte „mindestens auf einen Freispruch in dubio pro reo“.

Richterin Christa Weik folgte weitestgehend der Forderung der Staatsanwaltschaft: 14 Monaten ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, dazu 150 Stunden gemeinnützige Arbeit, abzuleisten binnen von sechs Monaten, die Übernahme der Kosten für den Prozess und die Nebenklage sowie für zwei Jahre die Aufsicht durch einen Bewährungshelfer. Es sei ein lückenloser Indizienprozess geführt worden. Sie bezeichnete das Verhalten der Angeklagten als „krank“ und legte ihr das Aufsuchen eines Psychologen nahe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.