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Inferno im Görlitzer Getreidelager

Vor 20 Jahren zog eine Feuerwalze durch das Gelände zwischen Cottbuser Straße und An der weißen Mauer.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Ein sonniger Sonnabend ging zu Ende. Doch jener 27. Juli vor 20 Jahren sollte vielen in Erinnerung bleiben. Selbst am Stadtrand zeigten die Kaffeetrinker und Abendgriller von ihren Terrassen und Balkonen aus Richtung Innenstadt. Dass dort etwas Schlimmes passiert sein musste, war nicht zu übersehen: Schwarze Rauchwolken stiegen zum Himmel, und es schien, als würde das Blau vollständig verdrängt.

Von der Straße An der weißen Mauer aus waren die Rauchschwaden nicht zu übersehen.
Von der Straße An der weißen Mauer aus waren die Rauchschwaden nicht zu übersehen. © Ralph Schermann

Der Qualm waberte an jener Ecke der Christoph-Lüders-Straße in die Höhe, an der heute der Hammer-Markt zu finden ist. Die Luft roch brenzlig, der Rauch kratzte jedem im Hals, der dieser Stelle zu nahe kam. Was von den Schwaden wieder herabfiel, zog schmierige schwarze Schlieren auf den geparkten Autos. Was sich hier hinter der Weißen Mauer zu einem Inferno entwickeln sollte, hieß damals Getreidelager. Die Hallen gehörten der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft (BHG), und lange loderten ausgerechnet aus dem Fenster über dem großen BHG-Schriftzug die Flammen meterhoch. Der Anblick war ein beeindruckendes Schauspiel, was prompt viele Görlitzer zum Bummel an die Brandstelle veranlasste. „Das ist Wahnsinn“, sagte damals einer der zur Absicherung eingesetzten Polizisten. Die Beamten hatten es schwer, Schaulustige fernzuhalten.

Um 17.31 Uhr war die Feuerwehr alarmiert worden. Der Löschzug der Berufsfeuerwehr rückte an, und nach dem gewaltsamen Aufbrechen der schweren Tore sahen die Wehrleute, dass hier ihre Kräfte nicht ausreichen werden. Alle freiwilligen Feuerwehren der Stadt wurden nun alarmiert, auch die Werkfeuerwehr des Waggonbaus eilte herbei. Am Ende boten die Brandschützer 49 Mann, neun Löschfahrzeuge, 1 800 Meter ausgerollte Schläuche auf und konnten das sensible, verzweigte Objekt doch nicht retten. Das schien bereits gegen 17.45 Uhr klar, als der soeben begonnene Innenangriff unter Druckluftatmern gleich wieder beendet war. Denn der Brand explodierte. „Flash over“ nennen Feuerwehrleute so eine gefürchtete Durchzündung. Mit enormer Geschwindigkeit fraßen sich die Flammen in Richtung Hauptgebäude an der Cottbuser Straße, wie eine riesige Feuerwalze breitete sich der Brand aus. Zehn Minuten später folgte in dem Haus neben den Silos der nächste „Flash over“, parallel begleitet von einer enormen Staubexplosion. Nun stand auch urplötzlich das Haus auf allen Etagen komplett in Flammen, zudem hatte die Explosion das Dach abgehoben. Wer jetzt von Königshufen, der Südstadt oder sogar weiter entfernten Dörfern in Richtung des Brandortes schaute, erschrak vor dem nun wie in Form eines Atompilzes noch gewaltiger aufsteigenden Rauch. Die Löschkräfte konnten in dieser Situation nur noch eins – sich auf die Sicherung der angrenzenden Gebäude beschränken. Bis 19 Uhr jedenfalls tobte das Feuer in unverminderter Heftigkeit. Damit hatten die Flammen in nur 90 Minuten einen großen Gebäudekomplex total vernichtet. „So etwas ist von der besten Feuerwehr der Welt nicht in den Griff zu bekommen“, kommentierte damals ein Wehrleiter.

Immer wieder waren die Wehrleute noch am darauffolgenden Sonntag gefragt, denn immer wieder flackerten Glutnester auf. Sogar die komplette folgende Woche musste immer wieder mal ein Löschfahrzeug auf den Brandplatz kommen, weil die dort kontrollierende Brandwache wieder neue, glimmende Brandherde fand.

Eingegangen in die Chronik der Görlitzer Brände ist jener Sonnabend von 1996 als ein Tag mit einem der bedeutendsten Schadenfeuer der Stadtgeschichte. Die Experten waren sich einig: Ein Glück, dass die BHG bereits geschlossen war. Denn wären noch Massen von Getreide und in den Tankbehältern auch Öle eingelagert, dürfte das Ausmaß des Brandes noch wesentlich größer gewesen sein. So aber war das Inferno schon schlimm genug. Die wenigen verbliebenen Reste der Brandstätte sowie einige weitere Hintergebäude wurden 1997 dann vollständig abgerissen.

Die Kriminaltechniker und Ermittler schlossen schon bald technisches Versagen aus. Zwar gab es, wie meist in solchen Fällen, Gerüchte über ein bewusstes „heißes Entsorgen“, doch in diese Richtung angestellte Untersuchungen blieben ergebnislos. Es wurde letztlich eindeutig Brandstiftung genannt, diese jedoch soll aller Wahrscheinlichkeit nach durch spielende Kinder verursacht worden sein.