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Kein Kaffee ohne Rampe

Heilpädagogik-Student André Neutag möchte mit einem Projekt Rollstuhlfahrern in Görlitz helfen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Rita Seyfert

Einen Absatz von maximal sechs Zentimetern kann ein Elektrorollstuhl überwinden. Heilpädagogik-Student André Neutag kennt die Probleme von Querschnittgelähmten. „Viele trauen sich nicht, über eine Stufe zu rollen“, sagt er. Für manche Rolli-Fahrer sei das gar eine „Mutprobe“, wie er sagt. Je nach Krankheitsbild seien einige körperlich instabil. Durch den Ruck könnten sie den Halt im Rollstuhl verlieren und sich oft allein nicht wieder aufrichten. Leichter hätten es Menschen, die in einem Aktivrollstuhl sitzen und ihre Arme bewegen können – oder die einen Begleiter haben, der den Rollstuhl gut kippen kann. „Viele Senioren bekommen altersbedingt von der Krankenkasse aber nur ein einfaches Modell verschrieben“, erzählt er. Gerade für den gleichaltrigen, hochbetagten Ehepartner seien diese Rollstühle bei Treppen oft schwierig zu handhaben.

Bereits bevor der 27-Jährige im Oktober vergangenen Jahres sein Studium an der Hochschule Zittau/Neiße begann, arbeitete er als Physiotherapeut auch mit Rollstuhlfahrern. Irgendwann reichte es ihm nicht mehr aus, nur ihre Muskeln zu massieren und sich ihre Alltagssorgen anzuhören. „Menschen mit körperlichen Einschränkungen wollen mit ihrem Handicap am Leben teilhaben“, sagt er. Die Heilpädagogik will das ermöglichen.

Besonders sensibilisiert für die Anliegen von Rollstuhlfahrern wurde André Neutag durch eine Freundin. Katharina Kohnen leidet an einer angeborenen, generalisierten Muskeldysfunktion. Wie unter Freunden üblich, besuchte ihn die 23-Jährige auch jüngst in Görlitz. „Ich wollte mit ihr ins Ratscafé am Untermarkt gehen“, erzählt der Student. Der Kuchen dort sei lecker, davon habe er der Dresdener Studentin für Geoinformationstechnologie schon öfter vorgeschwärmt. Doch die hohe Stufe davor erwies sich als unüberwindbar. Eine mobile Rampe hätte helfen können. Doch davon keine Spur. Also zog das Paar weiter – zum Café 1900. Hier gestaltete sich die Problematik ähnlich. Vor dem Treppenabsatz musste die junge Frau im Elektrorollstuhl erneut passen.

Hinderlich ist auch das Görlitzer Kopfsteinpflaster. „Die Pflastersteine auf dem Untermarkt sind kein Vergleich zum Dresdener Altmarkt“, sagt sie. Teils ungeordnet aneinandergereiht, klaffen dazwischen größere Lücken. Beim Darüberfahren vibriere der ganze Körper. Problematisch: Durch die Erschütterungen habe sich sogar eine Schraube in der Rollstuhl-Mechanik gelöst. „Das haben wir aber rechtzeitig bemerkt“, sagt ihr Begleiter. Letztlich landeten beide wieder in ihrer Stammkneipe, dem Café Oriental in der Nikolaistraße. Wenigstens dort verschmelze der Eingangsbereich mit dem Gehweg.

Ein Projekt mit dem Schwerpunkt der Inklusion, das André Neutag im Studium durchführen muss, soll nun Abhilfe schaffen. Natürlich verstehe er, dass die denkmalgeschützte Bausubstanz der Stadt Görlitz nicht gänzlich asphaltiert werden kann. Doch Kompromisse müssten her. Seine Idee ist es, für Rolli-Fahrer mobile Rampen zugänglich zu machen. „Die könnten irgendwo zentral in der Altstadt lagern“, sagt er. Die Touristen-Information am Obermarkt könnte so ein Ort sein. Auch Mütter mit einem Kinderwagen oder ältere Herrschaften mit einem Rollator könnten von dem Projekt profitieren.

Eine Fertig-Rampe kostet je nach Größe und Material zwischen 500 und 1000 Euro. „Doch kaufen wäre zu einfach“, sagt André Neutag. Für sein Rampen-Projekt sucht er Handwerker, die ihm eine mobile Auffahrhilfe bauen. Wetterbeständig, leicht, aus Metall oder Holz – und universal einsetzbar. „Also ausklappbar oder ausziehbar, damit auch größere Höhenunterschiede ausgeglichen werden können“, erklärt er. Finanziert werden soll das Projekt über die Aktion Mensch. Dafür sucht André Neutag einen Träger, der gemeinsam mit ihm die Fördergelder beantragt und das Projekt verwaltet. Auf mehrere Vereine sei er bereits zugegangen. Zwar stieß seine Idee auf Anklang. Doch bislang bekam er nur Absagen. Denn wer verantwortlich ist, falls der Rollstuhlfahrer auf der Rampe verunfallt, ist noch unklar. Vom Berliner Verein Sozialhelden, die ein ähnliches Projekt bundesweit betreiben, möchte er sich nun zur Haftungsfrage beraten lassen.

André Neutag träumt davon, die Rampe mit seiner Freundin einzuweihen. Derweil sucht er noch Spenden. Der Eigenanteil neben der Zuschussfinanzierung der Aktion Mensch beträgt 20 Prozent.

Wer das Projekt unterstützen möchte, kann sich per E-Mail unter [email protected] sowie telefonisch unter 0176-80006116 melden.