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Kiew: Eine Koalition mit Orange und Blau

Ukraine. Nach der Parlamentswahl müssen sich die verfeindeten Lager einigen.

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Von Ulrich Heyden,SZ-Korrespondent in Moskau

Die Wähler in der Ukraine hatten es nicht leicht. Mit einem ganzen Berg von Papier kamen sie gestern aus den Wahlkabinen. Allein der Wahlzettel für die Parlamentswahlen war 78 Zentimeter lang. Vor allem ältere Leute mühten sich, den Papierberg – gerollt oder gefaltet – in den gläsernen Urnen zu verstauen. 37 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, die Abgeordneten für das Parlament sowie die Dorf- und Stadtverwaltungen zu wählen.

Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko hatte seine gesamt Familie mit ins Wahllokal gebracht. Er lächelte, als er den langen Wahlzettel in die Urne schob. In den vergangenen Monaten hatte Juschtschenko meist ein ernstes Gesicht gemacht. Der Präsident hat viele Sorgen. Das orangene Lager hatte sich gespalten, das Wirtschaftswachstum war von zwölf auf drei Prozent gefallen. Immerhin: Die Wahlen seien eine Bestätigung „der ukrainischen Demokratie“, erklärte Juschtschenko.

Nach den Meinungsumfragen vor der Wahl schafft es weder Juschtschenkos Partei „Unsere Ukraine“ noch die „Partei der Regionen“ seines ostukrainischen Widersachers Viktor Janukowitsch, die neue Regierung zu bilden. Deshalb munkeln Beobachter seit Tagen von einer Koalition zwischen Orange (Juschtschenko) und Blau (Janukowitsch). Eigentlich möchte Juschtschenko eine Koalition mit der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Doch die verlangt, dass der Präsident sich von einigen ihrer Meinung nach korrupten Männern in der Präsidialverwaltung trennt. Außerdem soll das russisch-ukrainische Gas-Abkommen neu verhandelt werden – alles Bedingungen, auf die Juschtschenko nicht eingehen wird.

Völlig neu wäre ein Bündnis aus Blau und Orange nicht. Nachdem Juschtschenko im Herbst Timoschenko als Ministerpräsidentin entlassen hatte, versuchte er seinen Vertrauensmann Juri Jechanurow als Ministerpräsidenten durchzubringen. Erst nachdem Juschtschenko mit Janukowitsch ein „Memorandum zur Zusammenarbeit“ unterzeichnet hatte, bestätigte das Parlament Juschtschenkos Wunschkandidaten. In seiner Fernsehansprache vor der Wahl hatte der Präsident erklärt, eine Koalition müsse sich um „strategische Ziele, und nicht um egoistische Interessen“ bilden. Beobachter werteten dies als Seitenhieb auf Julia Timoschenko. Die Ikone der Revolution hatte behauptet, ein Bündnis von Juschtschenko und Janukowitsch sei, wie wenn sich al Qaida und die Republikaner in den USA zusammentun.

Ein Geschwisterkampf

Eines steht auf jeden Fall fest: Unter den Orangenen gibt es einen Geschwisterkampf. In den Umfragen lagen der Block von Julia Timoschenko und die Partei von Juschtschenko etwa gleich zwischen 12 und 20 Prozent. Andrej Jermolajew, Direktor des Kiewer Zentrums für soziale Forschungen, meinte, ein Bündnis zwischen Juschtschenko und Janukowitsch sei „wahrscheinlich ein zeitlich begrenztes Bündnis, das bis zum Herbst oder höchstens bis zum Frühling hält“.

Viktor Janukowitsch wünscht sich auf dem Posten des Ministerpräsidenten niemand geringeren als Rinat Achmetow, seinen Finanzier. Achmetow ist der reichste Mann der Ukraine. Ihm gehört ein großer Teil der Industrie im Osten des Landes. Ein Hauptziel einer blau-orangenen Koalition ist nach Meinung von Beobachtern eine Neuverhandlung des russisch-ukrainischen Gas-Abkommens, welches die Ertragslage der ukrainischen Großbetriebe belastet. Außenpolitisch würde eine ukrainische „große Koalition“ keinen grundlegenden Wechsel bringen. Viktor Janukowitsch legte zwar besonderen Wert auf gute Beziehungen zu Russland, aber er will auch zum Westen gute Kontakte.