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Kinderwagen sind leichte Beute

Jeden Monat wird in Görlitz mindestens eine Baby-Kutsche gestohlen. In Hausfluren sind sie oft ungesichert.

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Von Ralph Schermann

Es mag ja Höfe geben, auf denen Kinderwagengaragen stehen. Doch das sind selbst in den großen Städten eher Ausnahmen. Im Winter sind Babykutschen dort auch viel zu kalt. Sie stehen also meistens in den Hausfluren. Und überhaupt: Klaut denn jemand Kinderwagen? Leider ja. Kinderwagen werden immer mehr zum begehrten Diebesgut. Angezeigt wurden in Görlitz 2013 insgesamt 15 Fälle. Im Schnitt wird jeden Monat ein Kinderwagen gestohlen, nur im März gab es eine Häufung. Elf Wagen wurden aus Hausfluren mitgenommen, vier aus verschlossenen Kellern. Da aus den Kellern auch andere Gegenstände „verschwanden“, scheinen die Wagen in diesen Fällen mehr als Transportmittel gedient zu haben.

Damit steht Görlitz nicht allein. Im Rhein-Main-Gebiet und in Berlin ist der Kinderwagen-Klau ein Schwerpunkt. 2013 „verschwanden“ in jedem Berliner Revierbereich zwischen 60 und 150. Bei der Berliner Polizei gibt es mit Hauptkommissar Werner Holzfuß bereits einen extra dafür zuständigen Sachbearbeiter. Der Beamte erläutert: „Gefragt sind vor allem teure Modelle, so um die tausend Euro.“ Im Gegensatz zu Berlin ist Görlitz aber noch weit entfernt von Luxus-Karrossen: Hier lagen die von den Bestohlenenen angegebenen Schadenssummen zwischen 50 und 400 Euro. Die Beute wird an Trödler verkauft oder ahnungslosen Nutzern über Internetseiten angeboten. Die geschädigten Eltern gäben zwar eine Menge Geld für die Babykutschen aus, bei der Sicherheit werde aber gespart, kritisiert Werner Holzfuß.

Der Leiter des Görlitzer Polizeireviers, Raik Schulze, geht noch weiter: „Meist sind Kinderwagen überhaupt nicht gesichert.“ Deshalb werde dann auch nicht jeder Diebstahl angezeigt, gibt es eine erhebliche Dunkelziffer, vermutet er. Mareen E., eine Betroffene von der Hotherstraße, bestätigt das: „Ich habe meinen Kinderwagen nachmittags im Hausflur abgestellt, am nächsten Morgen war er weg. Ich hatte ihn von einer Freundin gekauft, aber keine Quittung dafür. Angeschlossen war er auch nicht. Also gibt’s nix von der Versicherung, da habe ich das auch nicht angezeigt.“ Das wiederum ärgert Oberrat Schulze: „Ohne Anzeige können wir keine aufgefundenen Wagen und dem Erwischten keine Straftat zuordnen“, sagt er.

Kinderwagen in Hausfluren sind durchaus nicht leichtsinnig, erklärt Versicherungsfachmann Olaf Reinicke: „Sie dürfen im Treppenhaus geparkt werden. Allerdings dürfen Nachbarn nicht stark eingeschränkt werden. Bei einem sehr engen Flur kann der Vermieter entweder einen anderen Abstellplatz anbieten oder verlangen, dass das Gefährt aus Sicherheitsgründen abends in die Wohnung oder den Keller gebracht wird.“ Diebstähle sind innerhalb des Hauses meist über die Hausratversicherung geschützt. „Aber nur, wenn er angeschlossen ist. Sonst müssen sich die Geschädigten grobe Fahrlässigkeit vorwerfen lassen.“ Seitens der Polizeiberatungsstelle Görlitz ergänzt Hauptkommissar Wolfgang Trautmann: „Mieter sind immer gut beraten, sich anhand der Hausordnung über die Abstellung der Kinderwagen zu informieren und beim Versicherer konkret nachzufragen, wie das Gefährt geschützt ist.“ Überdies gibt es Gerichtsurteile wie dieses: „Ist weder im Mietvertrag noch in der Hausordnung eine Regelung getroffen, ist der Mieter grundsätzlich berechtigt, Kinderwagen im Hausflur abzustellen.“

Damit die Polizei nach gestohlenen Kinderwagen besser fahnden kann, bittet Raik Schulze: „Notieren Sie Fabrikat, Typennummer, Wert, Farbe, bringen Sie individuelle Merkmale an, machen Sie ein Foto.“ Ist ein Wagen erst einmal weg, sollte man selbst Internetportale wie eBay, Quoka oder hood durchforsten sowie nahe Trödelmärkte oder Second Hand Läden aufsuchen. Allerdings rät der Revierleiter: „Wenn Sie den Wagen dabei irgendwo entdecken, werden Sie nicht selbst aktiv, sondern rufen Sie die Polizei!“ Denn es ist nicht zu erwarten, dass ein Erwischter freiwillig etwas zurückgibt. Schon beim Diebstahl war ihm egal, welche Sorgen er den bestohlenen Eltern aufbürdet. Überhaupt haben manche Täter moralisch längst keine Hemmschwellen mehr: Im Januar stahlen sie einem Görlitzer Behinderten sogar seinen Rollstuhl.Auf ein Wort