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Kippeln erlaubt

Das Stillsitzen fällt schwer auf den Stühlen von Schreiner Hubert Hipp – und das soll es auch.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Hubert Hipp stammt aus dem beschaulichen Allgäu. Hier, inmitten der saftigen grünen Wiesen, ist er als Sohn eines Rechenmachers aufgewachsen. Er war, sagen Weggefährten, immer schon ein kreativer Geist. Stillstand ist seine Sache nicht. Und so kam, was kommen musste. Hubert Hipp, der vorübergehend damit geliebäugelt hatte, Hutmacher zu werden, und schließlich doch eine Lehre in der Schreinerei begann, entwickelte Deutschlands ersten Kippelstuhl.

Wer im Liegen arbeitet, schont Rücken und Gelenke.
Wer im Liegen arbeitet, schont Rücken und Gelenke. © Thomas Kretschel

Er steht, wie ein Schlitten, auf zwei Kufen, die an ihren beiden Enden nach oben gebogen sind und damit ein Umfallen verhindern. Man kann auf dem Stuhl lässig nach vorn und hinten kippeln, dabei sein Becken bewegen und die Bandscheiben entlasten.

Die Krankenkassen sind begeistert. Für jede vierte Krankschreibung in Deutschland sind Rückenschmerzen der Auslöser. Die Kassen und Verbände schätzen den volkswirtschaftlichen Schaden durch Fehlzeiten und langwierige Therapien auf rund 49 Milliarden Euro. Jährlich. Einige Rentenversicherungen sind von den Stühlen aus dem Hause Hipp so begeistert, dass sie einen Teil der Anschaffungskosten übernehmen.

„Wir sitzen zu viel und vor allem, wir sitzen falsch“, ist Hubert Hipp (59) überzeugt. Auf ihn selbst trifft das allerdings nicht zu. Hubert Hipp sitzt selten, und wenn, dann nur, um eilig neue Entwürfe zu Papier zu bringen oder die Bestellungen abzuarbeiten. Am liebsten ist er in der Schreinerei.

Die ist in Löbau zu Hause.

Auf dem Gelände der ehemaligen Offiziershochschule hat er mittlerweile fünf Hallen gekauft. In der Halle, in der früher die NVA-Panzer für die Fahrschule geparkt wurden, stehen heute die Maschinen für den Zuschnitt. Es riecht nach frisch geschnittenem Holz. Hinter dem großen Tor liegt die Vorderseite eines Tresens zur Auslieferung bereit. Er wird in wenigen Wochen schon den Empfangsbereich eines Seniorenwohnheims zieren. Sieben verschiedene Hölzer, allesamt naturbelassen, hat Hubert Hipp verarbeitet. Er recycelt Holz, wo immer es geht, und setzt bei seinen Stühlen auf deutsche Zulieferer. Die Federn kommen aus Wuppertal, die Rollen aus dem thüringischen Altenburg.

Vor 25 Jahren hat Hubert Hipp noch schwere Bauernstühle gebaut. Er hatte viele Kunden in Sachsen, war oft in Dresden und Sebnitz unterwegs. Hier, in der Sächsischen Schweiz, sprach ihn eines Tages ein befreundeter Lehrer an und schimpfte über die Sitzmöbel in den Klassenzimmern. Der Satz: „Da kriegt ihr einfach nichts Ordentliches hin“, war Ansporn für Hubert Hipp, seinen Kippel-Hippel-Schulstuhl zu entwerfen. Es gibt ihn preiswert und etwas schwerer mit einem Metallunterbau, oder ganz aus Holz, so, wie er in der Evangelischen Grundschule in Radebeul steht und auch gerne in die Schweiz geliefert wird. Die Kinder lieben den Stuhl, und die meisten Lehrer mittlerweile auch. Denn statt unruhiger wird es plötzlich ruhiger in den Klassen. Fast unbemerkt schwingen die Kinder hin und her, stillen so ihren natürlichen Bewegungsdrang und entlasten auch gleich noch ihre Wirbelsäule. Der perfekte Stuhl also.

Dass er noch nicht in allen Klassenzimmern steht, sei dem Preis geschuldet. Der variiert je nach Bestellumfang zwischen 70 und 90 Euro. Es gab schon mehr als eine Kommune, die sich in der Ausschreibung wegen 7,50 Euro pro Stuhl für die Fabrikvariante entschieden hat. Für Hipp, der selbst mit einer Lehrerin verheiratet ist, eine nur schwer nachzuvollziehende Entscheidung. Er entwickelte den Stuhl weiter, es gibt ihn mittlerweile in einem guten Dutzend verschiedener Designs auch für den Wohn- und Essbereich. Die Materialien mögen variieren, das Prinzip ist immer gleich, genauso wie der Kussmund, der die Lehne ziert.

Hubert Hipp entwickelte weiter: Federstühle für das Büro. Hier dürfen auch die Großen kippeln, nicht nur nach vorn und hinten, sondern auch nach rechts und links. Das entlastet das Becken, sagt Hubert Hipp. Er verkauft seine Stühle über das Internet und durch persönliche Empfehlung. „Mir ist es am liebsten, der künftige Nutzer des Stuhls sucht ihn selbst aus“, sagt der Schreinermeister. Dafür fährt Hubert Hipp auch gern zum Kunden und berät vor Ort. Denn nicht jeder Stuhl passt zu jedem Menschen. Er zeigt auf ein Modell in Schwarz-Silber. „Das ist etwas für einen sportlichen Typ“, so Hipp. Straff gefedert lassen sich Sitzfläche und Lehne in alle Himmelsrichtungen biegen. Da trainiert man im Sitzen noch die Bauchmuskulatur. Der Hochlehner in knalligem Rot sieht dagegen sportlicher aus als er ist. Ein Allrounder für den eher behäbigen Nutzer.

„Stühle kann man nicht nach dem Aussehen kaufen, man muss die ausprobieren“, ist Hubert Hipp, der mit dem gleichnamigen Babykosthersteller weder verwandt noch verschwägert ist, überzeugt. Und so kann sich ein Verkaufsgespräch schon einmal über mehrere Stunden hinziehen, und nicht selten geht der Kunde mit einem ganz anderen Möbel nach Hause, als er eigentlich wollte. Mit einem Homeofficetisch zum Beispiel, der sich vom Minischreibtisch problemlos in ein Stehpult verwandeln lässt, extrem platzsparend ist und noch dazu höhenverstellbar. Letzteres Kriterium ist für Hubert Hipp ohnehin das A und O bei Büromöbeln.

Mitarbeiter in den Unternehmen sind unterschiedlich groß und schwer. Das sollte bei der Einrichtung der Büros berücksichtigt werden, wird es aber bis heute sehr selten. Was Hubert Hipp bei seinen Rundgängen antrifft, ist oft Standard. „Da wird schon der höhenverstellbare Schreibtisch als Innovation gefeiert“, sagt der Sachsenbayer.

Das Büro der Zukunft wird aber ganz anders aussehen. Einen ersten Eindruck konnte gewinnen, wer die neu konzipierte Cebit Mitte Juni in Hannover besucht hat. Unter dem Motto „Work smarter, not harder“ drehte sich auf der Cebit alles um die Arbeitswelt von morgen mit multifunktionalen Büromöbeln, speziellen Teppichen oder Sportgeräten. Hubert Hipp war einer der Hauptaussteller. Einige Firmen wie BASF oder Union Investment haben das Bürokonzept bereits übernommen und damit auch Ideen von Hubert Hipp.

Sein jüngster Clou: ein Schreibtisch, an dem man auch im Liegen arbeiten kann. Ideal, vor allem für Leute, die Probleme mit den Beinen und Knien haben. Die lassen sich auf einer Ablage unterhalb des Tisches positionieren, während die Lehne des Schreibtischstuhls nach hinten geklappt wird. Über 40 Prozent des Körpergewichtes werden so in den Stuhl gebracht. Das entlastet die Bandscheiben, ist sich Hubert Hipp sicher, der Tisch und Stuhl gemeinsam mit einem Orthopäden designt hat. Erste Käufer gibt es bereits, zumeist Workaholics, die 60 Stunden und mehr pro Woche im Büro zubringen. Sie investieren gern die rund 1900 Euro für den Schreibtisch, der Stuhl kostet extra. Er wird aber bereits in Löbau fertig montiert und auf die Größe sowie das Gewicht des künftigen Nutzers eingestellt. Für diesen Service hat auch schon manche Topmanagerin ihre Maße bereitwillig kundgetan.

Informationen zu den Stühlen und Schreibtischen sowie den kompletten Webshop finden Sie im Netz unter www.hipp-md.de.