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Knapp den Flammen entkommen

Eine Familie aus Reichenbach musste den Verlust ihres Hauses hinnehmen. Und wagt einen Neuanfang.

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© Matthias Schumann

Von Nicole Preuß

Reichenbach. Die Reichenbacherin Katja Lowaschi hat einen einfachen Wunsch. Die 23-Jährige möchte mit ihrem Baby, ihrem Sohn und ihrem Lebensgefährten eine Runde mit dem Kinderwagen drehen. Einfach mal raus in den Park. Doch diese gemeinsame halbe Stunde hatten die Vier bisher noch nicht. Denn hinter ihnen liegen chaotische Wochen. Mitte Januar brannte ihr Zuhause in Reichenbach vollkommen aus. Die Familie und der Opa von Katja Lowaschi konnten sich geradeso aus dem brennenden Dreiseitenhof retten. Die kleine Nelli war da gerade erst zwölf Tage alt. Seitdem sind Katja Lowaschi und ihre Familie nur am Organisieren und Umherfahren.

Das Haus am Morgen nach dem Brand. Es darf nur noch in Begleitung betreten werden und muss abgerissen werden.
Das Haus am Morgen nach dem Brand. Es darf nur noch in Begleitung betreten werden und muss abgerissen werden. © Matthias Schumann
Das Haus während des Brandes. Innerhalb weniger Minuten fingen auch Obergeschoss und Dachstuhl Feuer.
Das Haus während des Brandes. Innerhalb weniger Minuten fingen auch Obergeschoss und Dachstuhl Feuer. © Jonny Linke

Die wichtigste Aufgabe dabei: Sie müssen sich ein neues Zuhause schaffen. „Die Kinder brauchen das schließlich“, sagt die junge Mutter. Die Reichenbacherin und ihr Freund Karim Fawas haben sich im Eiltempo eine Wohnung in Kamenz gesucht. Der Vermieter wollte sie erst noch grundhaft renovieren. Doch dafür war keine Zeit. Nun leben die Vier auf einer Baustelle. Sie haben den Fußboden ausgetauscht, die Wände gestrichen, Kleidung gekauft und Möbel besorgt. Denn aus ihrem Haus in Reichenbach ist ihnen fast nichts geblieben. Der Versicherungsvertreter war nur Sekunden im ausgebrannten Gebäude, bis er feststellte: „Da brauchen wir gar nicht weiterzugehen, das ist ein Totalschaden.“

Der Retter ist vier Jahre alt

Trotzdem: Sie sind froh, dass alle das Haus wenigstens rechtzeitig verlassen konnten. Einen großen Anteil daran trägt der vierjährige Mikos. „Er hat uns gerettet“, sagt Katja Lowaschi fast ein bisschen stolz. Das Feuer brach in der Wohnung des Opas im vorderen Teil des Hauses aus. Der hatte wohl eine Ofentür des Kachelofens offen gelassen. Berichten kann er davon aber nicht, denn er ist noch immer im Krankenhaus und erinnert sich an die Nacht nicht.

Das Zimmer von Mikos grenzte an die Wohnung des Opas. Der Kleine wachte auf und lief zu Karim Fawas. Er klagte über Halsschmerzen. „Trink doch etwas und leg dich wieder hin“, sagte Karim Fawas zunächst und nahm dann den merkwürdigen Geruch wahr. Er ging nach unten in das Zimmer des Jungen und sah schon den Rauch unter der Tür hervor quellen. „Das Zimmer war ganz vernebelt“, sagt er. „Ich hab nur noch nach oben gerufen: Katja, nimm die Kinder, es brennt.“ In dem Moment ging der Strom aus. Katja Lowaschi zog Mikos noch ein Paar ihrer Kuschelsocken über die nackten Füße, schlug die Bettdecke um das Baby und rannte mit den beiden und ihrem Freund nach draußen.

Die Familie setzte sich ins Auto und wartete auf die Rettungskräfte. Von dort sah sie auch, wie das Obergeschoss und schließlich der Dachstuhl innerhalb kürzester Zeit Feuer fing. Der Opa hatte beim Versuch, selbst zu löschen, wohl die Tür aufgelassen. Der Zugwind fachte das Feuer zusätzlich an. Und das Haus brannte innerhalb einer halben Stunde lichterloh. Die Feuerwehr versuchte, zu löschen. Doch sie musste erst einmal eine lange Löschstrecke aufbauen. Das Haus liegt auf einer Anhöhe. Autos oder gar große Feuerwehrfahrzeuge kommen den schmalen Weg nicht hinauf. Deshalb legten sich die Feuerwehrleute eine Leitung und pumpten Wasser aus der Pulsnitz nach oben. Katja Lowaschi und ihre Kinder kamen zur Beobachtung ins Krankenhaus. Der Opa wurde ebenfalls mit einem Krankenwagen abgeholt. Der 35-jährige Karim Fawas konnte bleiben und irgendwann, nachdem das letzte Glutnest gelöscht war, auch kurz ins Haus, um ein paar Habseligkeiten zu suchen. Doch viel fand er nicht. Im Zimmer von Mikos war nur noch das rote Feuerwehrauto-Bett zu erkennen. Die Bettdecke, das Spielzeug, die Kleidung – alles war verkohlt oder zumindest angesengt. Die Decke des Schlafzimmers war eingebrochen. Hosen, Pullover und andere Sachen waren nicht mehr zu gebrauchen. Selbst mehrmalige Wäschen haben den penetranten Gestank nicht herausbekommen.

Wenige Tage später holte Katja Lowaschi noch ihre Haustiere aus der Wohnung. Sie hat zwei Axolotl. Die Lurche überlebten das Feuer in ihrem Aquarium und werden jetzt bei einer Züchterin aufgepäppelt. Die Reichenbacherin holte auch die Fotos der Familie. Doch die Bilder riechen ebenfalls nach Qualm. Das Haus ist nicht zu retten und einsturzgefährdet. In der Wohnung des Opas ist gar nichts mehr zu erkennen. Noch nicht mal, welches Zimmer mal welches war. Es stehen nur noch die Wände, der Putz ist teilweise abgefallen.

Gespendete Einrichtung

Die Reichenbacher zeigen Fotos von früher. Katja Lowaschi hat das Haus vor einigen Jahren von ihrem Opa übernommen und sich die alte Einliegerwohnung im Hof ausgebaut. Ihr Opa blieb in seiner Wohnung im vorderen Teil des Hauses. Vieles machten sie und ihre Familie damals selbst. Das ging so weit, dass sie auch die Wände verputzten. Im vergangenen Jahr bauten sie dann noch einmal den Boden aus. Sie machten aus den Dachluken große Fenster, setzten Trockenbauwände und schufen sich so ein Schlafzimmer. Die Kinder sollten beide Zimmer im Obergeschoss der Wohnung bekommen. So wollten sie schon mal vorsorgen. Mitte Dezember bezogen sie den neuen Raum. Einen Monat später wurde er durchs Feuer zerstört.

Die Familie ist geschafft, traurig, aber auch dankbar. Denn nach dem Brand meldeten sich viele, die ihnen helfen wollten. Die Bürgermeisterin der Gemeinde Haselbachtal Margit Boden ließ eine Liste erstellen und stellte das Gemeindekonto zur Verfügung, um finanzielle Hilfen zu überweisen. „Die Bürgermeisterin ist wirklich klasse“, sagt Katja Lowaschi. Die 23-Jährige hat die Liste bekommen und abtelefoniert. Die Einrichtung des Schlafzimmers wurde gespendet, das Kinderzimmer ebenfalls. Die Essecke hat die Familie geschenkt bekommen und den Kinderwagen. Sie kaufte sich eine gebrauchte Küche von dem gespendeten Geld und ein Sofa. Spielzeug und Kindersachen bekam sie ebenfalls. Ohne diese Spenden wäre alles noch viel schwerer gewesen. „Dafür wollen wir uns ganz herzlich bedanken“, sagt Katja Lowaschi.

Sie wollen ihr Haus in Reichenbach auf alle Fälle wieder aufbauen. „Wir vermissen die Weite, das Grün und dann im Sommer sicher auch die Grillabende“, sagt Katja Lowaschi. „Sobald das mit der Versicherung klar ist, legen wir los.“ Obwohl das auch bedeutet, dass ihre Mutter sie bei der Betreuung von Nelli unterstützen muss. Und ihr Lebensgefährte Karim Fawas als Selbstständiger noch mehr arbeitet. Katja Lowaschi hatte eigentlich andere Pläne: „Ich dachte, ich hab mal Zeit für Babyschwimmen und Babymassage. Doch das wird wohl nichts.“ Nun geht das Haus vor. Und der Wunsch, bald wieder in Reichenbach zu wohnen.