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Koka als Exportschlager?

Boliviens Präsident Evo Morales würde gern Kokablatt-Produkte zum Exportschlager machen. Der Preis ist aber derzeit im Keller - ein Vorteil für die Kokainmafia.

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Von Georg Ismar und Mario Roque

Arapata. Seit 65 Jahren pflückt sie diese Blätter. In sengender Hitze, von neun Uhr morgens bis mindestens 17 Uhr nachmittags. Acht Stunden, fast ohne Pause: Immer nur Koka. Franziska Berra hat nichts anderes gelernt.

Die 80 Jahre alte Franziska Berra arbeitet bei der Kokaernte.
Die 80 Jahre alte Franziska Berra arbeitet bei der Kokaernte. © dpa

„Gerade ist der Preis im Keller“, klagt die 80-Jährige, die den ganzen Tag gebückt die grünen Blätter pflückt, den Kopf mit einem Tuch bedeckt, damit sie keinen Sonnenstich bekommt. Es ist Erntezeit - und Bolivien hat eine Überproduktion an Koka. Für die Libra (etwa ein Pfund) bekomme sie derzeit nur vier Bolivianos (0,50 Euro) Lohn.

„Das Koka-Blatt sichert mein Überleben“, sagt Berra. Pro Tag verdient sie momentan aber oft nur 5 bis 7 Euro - es fehlen neue Absatzmärkte, um den Preis zu steigern. Wie kein anderes Land versucht Bolivien, gegen das Koka-Stigma anzukämpfen - und die Blätter international zu vermarkten. Heute hängen fast 150 000 Jobs an dem Agrarzweig. Arapata in den sogenannten Yungas, dem tropischen Bergregenwald, ist ein Zentrum des legalen Koka-Anbaus.

Entlang der staubigen Schotterstraßen sind überall die in Terrassen angelegten Plantagen mit den grünen, alkaloidhaltigen Blättern zu sehen. Sogar am Fußballplatz des Ortes blühen die Sträucher. „Die beste Koka Boliviens“, meint der Taxifahrer Julio Mamani. „Aber klar, der niedrige Preis kann ein Anreiz sein, lieber an die Drogenhändler zu verkaufen“, sagt er. Das ist das Dilemma der Koka-Wirtschaft.

Präsident Evo Morales würde gerne Koka-Tee, Koka-Zahnpasta, Koka-Wein und Koka-Cremes in aller Welt verkaufen. So wie die Quinoa, die als „Inka-Korn“ in Bio-Supermärkten etwa in Berlin Karriere macht, da sie viele Proteine enthält und bei Vegetariern beliebt ist. 2009 holte Morales bei einer UN-Konferenz in Wien demonstrativ Koka-Blätter aus der Tasche und kaute sie. Auch Coca-Cola hat lange Koka-Extrakte benutzt und dabei von einer Sonder-Einfuhrgenehmigung profitiert.

Der gesamte Sektor macht nach Angaben der UN in Bolivien einen Umsatz von 251 Millionen Euro im Jahr (2014), was immerhin 0,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts entspricht und 8,8 Prozent der Umsätze des gesamten Agrarsektors - aber keiner weiß genau, wie groß die Kokain-Schattenwirtschaft ist. Kritiker werfen Präsident Morales vor, unter dem Deckmantel seiner Koka-Offensive viel zu wenig zur Bekämpfung der Kokainherstellung im Land zu tun.

Doch der Staatschef, früher selbst Koka-Bauer, predigt wie ein Mantra: „Das Koka-Blatt ist nicht gleich Kokain.“ Mehr Koka-Absatzmärkte gleich weniger Kokainproduktion, lautet seine Theorie. In seinem Werbefeldzug für eine Legalisierung von Koka-Produkten hing er Papst Franziskus bei dessen Besuch im Juli 2015 in Bolivien nach der Ankunft einen Beutel mit Koka-Blättern um.

Franziskus hatte sich zuvor mit einem Koka-Tee im Flugzeug auf die Höhe Boliviens vorbereitet. Das Koka-Blatt hat in dem Andenstaat eine lange Tradition, die „Indigenas“ nutzen es für ihre Kult-Zeremonien - und der Konsum ist legal. Er dämpft Erschöpfungserscheinungen, gilt als gesund und hilft Touristen, etwa in der rund 3600 Meter hoch gelegenen Metropole La Paz eine Höhenkrankheit zu vermeiden. Der Konsum ist nicht berauschend, Koka-Tee hat Ähnlichkeiten mit grünem Tee. Erst durch die Beigabe von Chemikalien entsteht in einem langwierigen Prozess die Droge Kokain - neben Bolivien sind Peru und Kolumbien die Hauptproduzenten des Rauschgiftes.

Für den legalen Sektor wurden 2014 laut UN 19 797 Tonnen Blätter produziert - auf dem Markt betrug der Durchschnittspreis für ein Kilogramm 58 Bolivianos (7,30 Euro). Das Gesetz erlaubt in Bolivien einen legalen Anbau auf 12 000 Hektar. Nach Angaben der Anti-Drogen-Behörde der Vereinten Nationen wurde die Koka-Anbaufläche 2014 zwar von 23 000 Hektar auf 20 400 Hektar verringert. Aber: Das bedeutet, dass weiterhin rund 40 Prozent der Blätter in den illegalen Markt wandern, in die Kokainproduktion. Für ein Kilo Kokain-Paste sind 120 Kilo der Koka-Blätter nötig.

Es gibt zwei Koka-Hauptanbaugebiete, das traditionelle in den Yungas, diese Blätter werden primär zum Kauen und für Koka-Tee verwendet. Und das größere, erst in den 1980er Jahren entstandene Anbaugebiet im tropischen Chapare bei Cochabamba, wo die Blätter alkaloidhaltiger und damit besser geeignet für die Kokainproduktion sind. Dort allein arbeiten rund 100 000 Koka-Bauern. Versuche der EU, den alternativen Anbau von Ananas und Bananen zu fördern, scheiterten wiederholt daran, dass mit Koka viel höhere Verdienste zu erzielen sind. Und pro Jahr sind bis zu vier Ernten der schnell wachsenden Blätter möglich.

Der Haken bei Boliviens Koka-Expansion ist die UN-Drogenkonvention. Vor vier Jahren kündigte Bolivien die Unterstützung der Konvention, weil sie die Koka-Pflanze ächtet, daher dürfen Koka-Tee und -Bonbons nicht nach Europa eingeführt werden. Erst nach einer Sonderregelung, die Bolivien den Blatt-Konsum erlaubt, trat Morales der Konvention wieder bei. Doch bisher sieht es nicht danach aus, dass es bald zu einer Öffnung für Koka-Produkte „Made in Bolivia“ kommen könnte. (dpa)