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Großenhainer Mordkomplott: Ankläger fordert Höchststrafen

Im Landgericht Dresden haben nach der achtmonatigen Beweisaufnahme die Plädoyers begonnen. Zwei Angeklagte sollen mehr als 20 Jahre ins Gefängnis.

Von Alexander Schneider
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Andreas R. aus Großenhain ist der Angeklagte, für den die Staatsanwaltschaft neben der Hauptbeschuldigten Stefanie W. die Höchststrafe fordert: eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Andreas R. aus Großenhain ist der Angeklagte, für den die Staatsanwaltschaft neben der Hauptbeschuldigten Stefanie W. die Höchststrafe fordert: eine lebenslange Freiheitsstrafe. © Kristin Richter

Dresden. Ihre Tat sei Tage zuvor genau geplant gewesen, und es könne keinen Zweifel daran geben, dass sich alle vier Angeklagte wegen Mordes schuldig gemacht haben – das hat Staatsanwalt Till von Borries in seinem Plädoyer am Mittwoch gesagt. Seit Mai läuft der Prozess um das sogenannte Mordkomplott von Großenhain vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden.

Nach der Vernehmung Dutzender Zeugen und Sachverständiger sowie ungezählter Anträge der Verteidiger stellte von Borries knapp zwei Stunden ausführlich dar, wie es nach seiner Überzeugung zu dem grausamen Tod von Dirk W. gekommen war. Er begann emotional, sprach von einem „feigen Mord“ und einer „rohen, sinnlosen Tat“. Der lange Prozess, vor allem „die Flut von Anträgen“ seien eine Gefahr, das Opfer aus dem Blick zu verlieren.

Damit ihm das nicht passiere, so von Borries, schaue er sich hin und wieder ein Foto von Dirk W. an. Der 38-Jährige aus Großenhain sei ein „liebevoller Vater“ gewesen, aber weder gewalttätig noch sterbenskrank, wie es die 33-jährige Stefanie W., seine Noch-Ehefrau und nun Hauptbeschuldigte, vor der Tat immer wieder behauptet habe.

Am Sonnabend, 13. Juni 2020, hätten die Angeklagten Dirk W. in eine Falle gelockt: Sie bestellten ihn zum Rahmenplatz, er könne dort seinen Sohn sehen. Tatsächlich zerrten sie den Mann in ein Auto und das Quartett entführte ihn in ein Waldstück, wo die Mitangeklagten Stefan B. (30) und Andreas R. (52) massiv auf ihn einschlugen und auf ihn eintraten. W. habe schon da schwerste Verletzungen erlitten, mehrfache Brüche, ein Polytrauma.

Mehrere Male seien die Täter noch in jener Nacht und an den folgenden drei Tagen in den Wald zurückgekehrt, um sich vom Tod ihres Opfers zu vergewissern. Doch weil W. noch am Leben war, hätten sie weiter auf ihn eingewirkt. Sie hätten bis zu 32 Kilogramm schwere Steine auf den wehrlosen Mann geworfen, und auf ihn eingetreten. W.s Todeszeitpunkt ließ sich auch in dem Prozess nicht klären. Sein Todeskampf habe jedoch mindestens 24 Stunden gedauert, so von Borries.

Vielschichtige Motive

Die Motive seien vielfältig. 17.000 Euro aus einer Sterbegeldversicherung, eine schnelle Trennung vom Ehemann, kein Streit um den gemeinsamen Sohn – und Liebe. Stefan B. habe sich als neuer Partner von Stefanie W. gesehen. Tatsächlich sei sie von einem anderen Mann schwanger gewesen und hat Ende Dezember 2020 Zwillinge entbunden. Die Frau habe ihre Komplizen und ihr Umfeld geschickt manipuliert, so von Borries.

Das Plädoyer war ausführlich und dicht. "13 Säulen" zählt von Borries auf. Neben dem Geständnis von Stefan B. auch allerhand andere Aussagen der Mitangeklagten, die sie vor der Tat (Stefanie W.: "Der muss weg") gesagt haben. Auch ein Foto zählt dazu, das Stefanie W. oder B. am Tag nach der Entführung von Dirk W. gemacht und noch am selben Tag einer Tankstellen-Mitarbeiterin gezeigt hatten. Besonders kaltblütig sei es von Stefanie W. gewesen, am Dienstag, 15. Juni, mit ihrer Schwiegermutter zur Polizei zu gehen und Dirk W. als vermisst zu melden.

Von B. abgesehen haben sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen geäußert. Reue oder eine andere Form der Anteilnahme sei bei den Angeklagten nicht zu erkennen gewesen. "Jeder hat versucht, die Schuld auf die anderen abzuwälzen", sagte von Borries.

Erst vor zwei Wochen etwa hatte Stefanie W. einen Brief ans Gericht geschrieben, in dem sie sich als Opfer von Stefan B. darstellte. Er hätte sie zum Mitmachen gezwungen. Das jedoch entpuppte sich als völlig abwegig, was schon die Chats aus dem Tatzeitraum belegten, in denen die beiden immer wieder Liebesbotschaften austauschten.

Die Tat selbst schien die Angeklagten nicht sonderlich bewegt zu haben. Die vier Großenhainer hätten in jenen Tagen wie sonst auch gearbeitet, sich getroffen, zusammen gefeiert, Alkohol getrunken, Spiele gespielt und Sex gehabt. In der langen Hauptverhandlung, den Eindruck schilderten Beobachter, hätten Andreas R. und Anke F. mehr ihre Liebesbeziehung gepflegt, als sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen.

Zweimal lebenslange Freiheitsstrafen

Der Staatsanwalt fordert für Stefanie W. und Andreas R. jeweils lebenslange Freiheitsstrafen wegen Mordes und Menschenraubes und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das bedeutet für beide mehr als 20 Jahre Gefängnis, ehe eine vorzeitige Entlassung für sie überhaupt in Betracht kommt. Bei beiden sah von Borries drei Mordmerkmale: Heimtücke, Habgier und Grausamkeit. Bei Stefanie W. kämen noch niedrige Beweggründe als viertes Mordmerkmal hinzu.

Für Stefan B. wurden 14 Jahre und 10 Monate Haft gefordert, ebenfalls wegen Mordes und Menschenraubes. Die Milderung erklärte der Staatsanwalt mit der zeitnahen und wertvollen Aufklärungshilfe des 30-Jährigen. Ohne die wäre es nicht zu diesem schnellen Ermittlungsergebnis gekommen. Anke F. (52), die vierte Angeklagte, habe sich laut von Borries wegen Mordes durch Unterlassen und Menschenraubes schuldig gemacht. Sie habe „nur“ an W.s Entführung mitgewirkt, sei danach nicht wieder mit zum Tatort gefahren, doch sei von Anfang an bis zum Schluss voll informiert gewesen. Für sie wurden zehneinhalb Jahre Haft gefordert.

Angehörige von Dirk W. schlossen sich als Nebenkläger der Staatsanwaltschaft an. Sie dankten dem Gericht für die umfangreiche Aufklärung, auch wenn nicht alle ihre Fragen aufgrund des Schweigens der Angeklagten beantwortet seien.

Die Verteidiger plädieren am Montag, und dann wird das Schwurgericht auch den Termin der Urteilsverkündung bekannt geben.