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Kung-Fu küsst Klassik

Wenn zwei Powertänzer aufeinandertreffen, entsteht nicht nur Kunst. Es fliegt auch mal ein Verlobungsring durch den Raum.

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© Norbert Millauer

Von Dominique Bielmeier

Es begann mit einer Hebefigur, die bei der Probe einfach nicht klappen wollte. Damals, 2010, waren Norbert Kegel und Mu-Yi Chen beide als Tänzer an den Landesbühnen Sachsen engagiert. Für ihn war klar: Es liegt an ihr. Sie wusste: Er ist schuld. Aus einer Meinungsverschiedenheit wurde ein handfester Streit, eine Tür knallte, ein Rucksack flog über die Bühne. Es folgte ein Jahr kompletter Funkstille. An den Landesbühnen hatte man sich schon arrangiert, dass diese beiden besser nicht mehr miteinander tanzen sollten.

„Künstler eben“, sagt Norbert Kegel heute selbstironisch und lächelt die Frau an, die neben ihm vor dem Gasthaus Schwarze Seele in Kötzschenbroda sitzt. Lächelt ein bisschen länger als zwischen Kollegen normal ist. Mu-Yi Chen strahlt zurück. Nach einem Jahr des Anschweigens hatte sie genug und wollte sich aussprechen. Da hatte sie schon ihre Anstellung an den Landesbühnen gekündigt, wollte nach Berlin umziehen, auch wegen des Streits.

Sie trafen sich an einem Abend im Dresdner Citybeach. Chen wollte ihn endgültig davon überzeugen, dass sie recht hatte. „Aber dann kam so eine weiche Atmosphäre auf“, sagt sie, und auch ihre Stimme wird weich. Die schöne Nacht. Das gute Getränk. Und eigentlich, so Kegel, denken beide ja total ähnlich. Aus der Feindschaft wurde das Gegenteil. Der Grundstein für „Muno-Productions“ war gelegt. Der Name setzt sich zusammen aus den ersten Silben der Vornamen Mu-Yi und Norbert. Dahinter steckt das Baby der beiden, eine Fusion aus Theater, Event und Unterhaltung, aber auch eine Fusion aus zwei Welten: der von Mu-Yi Chen, 38, geboren in Taipeh und seit zehn Jahren in Deutschland, und der von Norbert Kegel, 35 und waschechter Dresdner. Sie, die Tochter eines berühmten Kalligrafiekünstlers, die als Kind keine Popmusik hören durfte, aber täglich die Schreibkunst üben musste, er, der in seiner Jugend auch Street- und Jazzdance am Tanzhaus Friedrichstadt lernte und später die Palucca Schule besuchte.

Heute sind sie nicht nur ein Liebes-, sondern auch ein Tanzpaar und seit vergangenem Jahr Geschäftspartner: Bei Muno-Productions verwirklichen sie ihre Ideen als Choreografen und Tänzer, verbinden Kung-Fu oder Tai-Chi mit modernen Tanzformen, lassen Spitzenschuhe bedrohlich wie Waffen wirken, geben Tanzunterricht und bei Hochzeiten auch mal den DJ mit eigenem Equipment.

Das Arbeitsamt hat die Existenzgründung unterstützt, dafür mussten die beiden einen knallharten Businessplan schreiben – für einen Künstler, der vom Zufall und der Eingebung lebt, keine leichte Aufgabe. Doch mittlerweile läuft das Geschäft, die Tänzer finanzieren sich fast vollständig über ihre Aufträge, und das eigene Studio, das erst für 2018 im Plan stand, könnte schon jetzt kommen. Doch warum sich überhaupt selbstständig machen, gerade als Künstler, wenn man feste Engagements an den Landesbühnen oder dem Ballett der Chemnitzer Oper hat? Kurze Antwort: das Alter. Nicht nur weil der Körper die Belastungen als Profitänzer nicht ewig aushält – beide wollen noch bis etwa 40 ihre Choreografien selbst tanzen – sondern auch „weil man nicht mehr so naiv jung ist“, wie Norbert Kegel sagt. „Man hat langsam eine eigene Meinung“, ergänzt Mu-Yi Chen.

Ohne einander geht heute nichts mehr. Wie funktioniert das – sich ständig sehen, zusammenleben, zusammenarbeiten? „Ich weiß auch nicht, wie das geht“, gibt Norbert Kegel zu. „Aber es ist super.“

Im Studio weicht diese Harmonie dem Geschäftssinn, der Leidenschaft für die gemeinsame Kunst. „Weil wir beide Perfektionisten sind, kommt bei der Arbeit ein bisschen knallharte Energie dazu“, sagt Kegel. Dann müssen sie schon einmal eine halbe Stunde Pause machen, bis sie sich wieder verstehen. Und manchmal reicht auch das nicht. Dann nimmt Mu-Yi den silbernen Verlobungsring vom Finger und wirft ihn quer durch den Raum. Später suchen sie ihn dann wieder. Gemeinsam.

Am Mittwoch geben Norbert Kegel und Mu-Yi Chen zum Dresdner Palais-Sommer eine kostenlose Tai-Chi-Stunde vor dem Japanischen Palais. Beginn ist 18 Uhr. Im Anschluss führen sie ihre neueste Choreografie auf.