Merken

Leipzigerin auf Forbes-Liste

Catherine Allié entwickelt besondere Ökokleidung. Dafür ehrte das berühmte amerikanische Wirtschaftsmagazin jetzt die Jungunternehmerin.

Teilen
Folgen
© Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp

Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes aus New York macht mehrmals im Jahr mit großen Listen von sich selbst Reden: Die reichsten Männer der Welt, die einflussreichsten Frauen der Welt, die erfolgreichsten Promis Amerikas. Oder 30 innovative Leute unter 30 Jahren. Auf dieser Liste taucht jetzt der Name einer jungen Frau aus Sachsen auf, der international und vielversprechend klingt: Catherine Allié, vor 27 Jahren geboren in Frankfurt am Main, vor zwei Jahren Firmengründerin in Leipzig, steht auf der aktuellen Forbes-Liste „30 under 30“ in der Rubrik Einzelhandel und E-Commerce.

Man könnte es banal so sagen: Catherine Allié verkauft handgemachte Wolle, Seide und Öko-Stoffe aus Indien. Doch damit allein stünde sie kaum auf der Forbes-Liste. Ihre Geschichte ist aufregender und hat mehr zu sagen: Ihr bisheriger Weg führte sie von Paris nach Neu Delhi, in nordindische Bergdörfer und mit dem Pferd über Hochgebirgspässe des Himalaja zurück. Jetzt sitzt sie in einem Fabrikgebäude mit roten Ziegelmauern in Leipzig und erzählt ihre Geschichte. In einer kleinen Schatzkiste hütet die junge Frau weiche, weiße Kokons für Eri-Seide, während sie am Aufbau ihres Unternehmens „We are KAL“ arbeitet – einem Netzwerk von 40 Bauern, Webern und Spinnern, Designern und Strickern zwischen Leipzig und Assam.

Aber der Reihe nach: Catherine wächst in einem kleinen Ort bei Frankfurt am Main auf, aber sie ist lieber in der Welt unterwegs. Schüleraustausch in Neuseeland, soziales Jahr in Peru. Sie studiert an Hochschulen in Paris Modedesign aus Leidenschaft und Betriebswirtschaft den Eltern zuliebe. Nach dem Bachelor of Business Administration geht sie 2012 für ein dreimonatiges Praktikum in einem sozial engagierten Start-up nach Neu Delhi, es geht um handgearbeitete Werbegeschenke für Unternehmen. Den Job hat sie auf einer Internetplattform für gesellschaftliche Engagements gefunden: idealist.org. „Das Praktikum hat mir erstmals die Chancen eines Start-ups gezeigt“, sagt sie.

„Die hat einen Knall“

2013 arbeitet sie eine Weile für einen deutsch-indischen Schmuckhändler in Neu Delhi. Sie wohnt und arbeitet mit der Holländerin Lisanne de Bakker zusammen, die heute zum Team von „We are KAL“ gehört. Bald spinnen sie erste Ideen für ihr heutiges Unternehmen, schreiben einen Businessplan. Catherine verdient damals mehr, als sie zum Leben braucht. Nach zwei Jahren in Neu Delhi bricht sie im Februar 2014 mit einem Rucksack und ihren Ersparnissen für neun Monate nach Assam in den Osten Indiens und die entlegenen Himalaja-Gegenden im Norden auf, um Kontakte für ihre Ideen zu suchen. Sie ist getrieben von ihrer Liebe zur Mode und von der Idee zu wirtschaftlich tragfähigen, aber sozialen und ökologischen Projekten.

Auf ihrer Reise trifft sie auf entlegene Dorfgemeinschaften und Nomaden, sie wohnt bei Familien, die Schafe, Ziegen und Yaks halten, die Lammwolle spinnen, Stoffe weben und sie natürlich färben, alles in Handarbeit. „In Assam haben wir eine Gruppe von Weberinnen, die das Handwerk ihrer Kultur seit der Kindheit kennen und trotzdem gern Neues entdecken.“ Sie züchten, spinnen, weben und färben die seltene Eri-Seide – sie wird auch „Friedens-Seide“ genannt, weil die Raupen nicht getötet werden, um ihre Seide zu gewinnen. Catherine richtet in Ladakh im Himalaja eine Lieferkette für Wolle, Kaschmir und Stoffe von Pashmina-Ziegen, Schafen und Yaks ein, die Kontakte hat sie teils von Bekannten bekommen. „Heute spreche ich Hindi und Ladakhi“, erzählt sie. Irgendwann kehrt sie mit gut 100 Kilo Wolle in die Hauptstadt zurück. Statt mit dem Auto in vier Stunden über die Straßen reist sie mit einem Bergführer zwei Tage auf Pferden über den 5 300 Meter hohen Himalaja Pass. „Die Dorfgemeinschaft denkt zwar, ich hab einen Knall. Aber sie schätzen mich dafür, dass ich ihre Lebensweise annehme und ihren Stil mag.“

Ausschließlich per Hand

Dann kehrt sie nach Hause zurück. Eher zufällig fährt sie zu einem Google-Start-up-Wochenende nach Leipzig und stellt ihre Idee vor. Sie bleibt in der Stadt und gründet mit Lisanne de Bakker 2015 ihr Unternehmen. Sie bauen ihr Netzwerk, ihre Strukturen und ihre Internetpräsenz auf. Auch Irena Zrno stößt zum Team, eine Designerin und Modenäherin, die als Kind aus Kroatien nach Deutschland kam und heute die Kleidung von „We are KAL“ fertigt. Seit Jahresanfang hat Catherine ihren Standort vorerst im „Social Impact Lab“ in Leipzig – ein Gründerzentrum einer Schweizer Stiftung, die gemeinwohl-orientierten Start-ups an sechs Orten in Deutschland auf die Sprünge hilft. Catherine nutzt dort bis August die Arbeitsplätze, die Seminare, Workshops und den Austausch mit einem jungen Finanzberater für Start-ups. Freilich, Anbieter von Öko-Kleidung finden Enthusiasten überall. Aber das Besondere an ihren Produkten sei die hohe Qualität der feinen Wollen aus dem Himalaya und der Eri-Seide, das natürliche Färben ohne Chemie und die ausschließliche Handarbeit.

Zum Shirt gibts eine Geschichte

Wer aber kauft ein Top oder einen Schal für 149 Euro, ein Kurzarmhemd für 199 Euro oder eine Weste für 399 Euro? „Viele Kunden sind in den USA“, erzählt die Gründerin, „wir sind sehr international unterwegs, das Potenzial ist groß.“ Außerdem sei die Kleidung aus Naturfasern nicht nur hochwertig und ökologisch, sondern sehr klassisch designt. „Es kann über viele Jahre und Jahrzehnte getragen werden.“ Hinzu kommt: Menschen, die bereit seien, etwas mehr Geld auszugeben, wollten auch eine besondere Geschichte zu ihrem Kleidungsstück kennen. Und die liefert „We are KAL“. Auf ihrer Webseite, bei Facebook und Instagram wimmelt es von Porträts und Reportagefotos, die Catherine selbst macht, und von Geschichten zu ihren Produkten.

Ihre außergewöhnliche Story sei auch der Grund gewesen, dass sich eines Tages Forbes bei ihr meldete, aufmerksam gemacht durch eine Gekürte aus dem Vorjahr. Genau an ihrem 27. Geburtstag, dem 10. November, erhielt sie wie aus dem Nichts eine Mail von einem Forbes-Redakteur: „Du bist nominiert!“ Nach etlichen Fragebögen erreichte sie im Januar dieses Jahres in Assam eine weitere Mail aus New York: „Congratulations!“ Glückwunsch! Ein Preisgeld ist mit der Nennung auf der Forbes-Liste nicht verbunden. Aber weltweite Publicity und Kontakte in ein internationales Netzwerk. Nötig ist das. Bisher kann „We are KAL“ die Gründerinnen nicht ernähren. Aber KAL heißt auf Hindi sowohl „gestern“ als auch „morgen“. Der Name des Labels soll als Synonym für die Kleidung stehen – und wohl auch für das junge Unternehmen.