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Lernen in Kamenz – frei und alternativ

Initiatoren einer besonderen Privatschule wollen mehr Reformpädagogik, Demokratie und Kreativität in der Stadt.

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© Matthias Schumann

Von Julemarie Vollhardt

Kamenz. Kürzlich fanden sich etwa 20 Bürgerinnen und Bürger in der Kamenzer Stadtwerkstatt ein. Es ging um eine Präsentation einer ganz neuen Idee für die Stadt. Frank Döderlein – Vater, Initiator und Vortragender – stellte in eineinhalb Stunden das Konzept für eine „Freie Alternativschule“ vor. Warum er bei dem Standort sofort an Kamenz dachte und wie eine kleine Gruppe von Menschen eine solche Bildungsstätte aus dem Nichts aufbauen möchte, fasst die SZ in Thesen zusammen:

Den Kamenzern fehlt noch eine reformpädagogische Schule

Frank Döderlein wohnt seit drei Jahren mit seiner Frau und zwei Töchtern im Haselbachtal. Die ursprüngliche Idee für eine Gründung rührt von der Frage her, wo die Töchter mal zur Schule gehen werden - der 38-Jährige und seine Frau sind Anhänger der Reformpädagogik. Sie wollen keinen Frontalunterricht, also kommt kaum eine staatliche Schule infrage. Doch erst in Bautzen, Dresden oder Moritzburg gibt es die nächsten Alternativschulen. Rund um Kamenz herrscht ein großes Loch. Also warum dann nicht einfach eine neue Schule gründen? Gesetzlich gesehen ist das jedem erlaubt. Man muss sich zwar an den sächsischen Lehrplan halten und vollständig ausgebildete Lehrer einstellen, doch bieten die bundeslandabhängigen Gesetze recht viel Freiraum. Die Gründungsinitiative für eine „Freie Alternativschule“ in Kamenz besteht aus etwa zehn Engagierten. Darunter Pädagogen, Erzieher, Lehrer, Eltern und BWLer. Es gibt bisher noch keine finanzkräftigen Träger oder Sponsoren. Und niemand bekommt für den Aufwand in der Initiative Geld. Der Antrieb zum Mitmachen, baut lediglich auf einem gemeinsamen Ziel auf.

These 2: Die Gründung von freien Alternativschulen boomt

Freie Alternativschulen verfolgen andere Konzepte als staatliche Regelschulen. In Deutschland existieren mittlerweile, etwa 100 private Schulen dieser Art. Alle sind im Bundesverband der Freien Alternativschulen vereint. Der Träger der Schule in Kamenz wird also ein gemeinnütziger Schulträgerverein sein. Die Gründungen von freien Alternativschulen und Initiativen boomen. Jede Alternativschule ist einzigartig. Das liegt daran, dass sie zu großen Teilen von Schülern, Eltern und Lehrern mitbestimmt werden. Es werde keinen Schulleiter geben, so Frank Döderlein. Der wäre ja dann über alle anderen gestellt, was vom demokratischen Grundgedanken abweichen würde. „Ich könnte mich aber als Geschäftsführer anbieten. Die Schüler sollen über die Schulinhalte aber selbst bestimmen können.“.

Es gibt keine eindeutig vorgeschriebene Reformpädagogik
Das Ziel der Reformpädagogik sei es, ein Erziehungskonzept vom Kind aus zu schaffen, also auf seine Bedürfnisse einzugehen. Kinder sollten von sich aus lernen wollen. Frank Döderlein: „Das übergeordnete Ziel ist es, dass die Schüler glücklich sind, sich geborgen und frei fühlen und früh lernen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.“ Die Freie Alternativschule Kamenz solle allerdings keine bloße Waldorfschule oder Montessorischule werden. Man wolle die Bestandteile aus vielen Schulformen zusammensetzen, um beste Lernbedingungen zu schaffen. Eine eindeutig vorgeschriebene Reformpädagogik gäbe es schließlich nicht.

Noten gibt es erst beim Abschluss, dafür mehr Freiheit und Aktivität

Die pädagogischen Grundelemente könne man in etwa sechs Themenbereiche zusammenfassen. Zuerst einmal wären das Kreativität, Handwerk, Kunst und Musik. Der zweite Kernpunkt würde Nachhaltigkeit, Natur und umweltbewusstes Leben sein. Es würde keine erste und zweite Klasse geben. Nur eine Lerngruppe, die Kinder im Alter der ersten und zweiten Klasse umfasst. Eine weitere Besonderheit wäre ganz fundamental: der Raum. Den Schülern reiche an sich eine Umgebung, die weitläufig ist, in der sie sich bewegen könnten, mit viel natürlichem Licht. Das letzte Element sei, die Ziele des sächsischen Lehrplans zu erreichen. Ein weiterer außergewöhnlicher Faktor wäre die bewusst weggelassene Notengebung. Die Lehrer würden stattdessen das Verhalten und die Leistungen mit den Schülern auswerten, damit diese Verbesserungspotenziale erschließen können. Nur beim Schulabschluss bekommen die Schüler Noten, mit denen sie sich dann im Berufsleben bewerben können.

Die Alternativschule könnte im Schuljahr 2019/20 starten
Frank Döderlein: „Am Anfang gibt es vielleicht nur eine Etage, zwei Pädagogen und 20 Kinder.“ Insgesamt wird von maximal 200 Schülern ausgegangen, um den familiären Charakter der freien Schule zu sichern. Das Schuljahr 2019/2020 soll eine Lerngruppe mit Schülern im Alter von der ersten und zweiten Klasse beginnen. Das Ziel wäre es, innerhalb von zehn Jahren eine vollständige Grund- und Oberstufe mit einem Hort aufzubauen. Die Finanzierung ist komplex. Denn staatlich würden nicht die vollen Kosten für die Bildung der Kinder übernommen. Und so müsse unter anderem mit Schulgeld gehaushaltet werden. Erfahrungsgemäß werde dieses jedoch mit einer Vergrößerung der Schule immer geringer. Das Risiko wäre anfangs hoch. „Doch läuft eine Alternativschule erst einmal, so wird sie laut Erfahrungsberichten anderer Gründungsinitiativen auch gut angenommen.“ Denn die Schulen würden als Angebotserweiterung verstanden, nicht als Konkurrenz zu den staatlichen Bildungseinrichtungen. „Und so ziehen sie zusätzliche Menschen in die Stadt.“

Die Stadt Kamenz passt in jeder Hinsicht perfekt als Standort
Dass es hierzulande einen weißen Fleck gäbe, was freie Alternativschulen betrifft, ist nicht der einzige Grund für Frank Döderlein, sich für die Schule in Kamenz einzusetzen. „Die Stadt ist innovativ und hat viel Potenzial. Gerade durch die geballte Technik, die mit Daimler und der Akkumotive in die Stadt eingezogen ist, wird hier viel passieren in nächster Zeit. Es kommen neue Familien nach Kamenz. Mit einer Angebotserweiterung durch die Alternativschule hat Kamenz einen Wettbewerbsvorteil anderen Städten gegenüber. “Auch die Familienfreundlichkeit sei ein wichtiger Anreiz. Kamenz liege mitten im Grünen, sei also attraktiv für Menschen aus der Stadt. Um ihren Kindern diese Bildung zu ermöglichen, würden Einige sogar zurückziehen oder generell nach Kamenz kommen. Und das Image der Stadt würde aufgebessert werden. Dem Aussterben des historischen Stadtkerns würde durch die Kreativität entgegengewirkt. „Lessing stand seinerzeit für Aufklärung und Toleranz, eine freie Alternativschule steht ebenfalls genau dafür. Wo würde sie also besser hinpassen als nach Kamenz?“ Der 38-Jährige hat sein Publikum in der Stadtwerkstatt überzeugt.

Ein mögliches Schulhaus könnte die alte Schule in Bernbruch sein
Zunächst müsse das Konzept abgegeben werden. Wenn dieses dann vom Landesamt für Schule und Bildung abgesegnet wäre, könnten weitere Schritte gemacht werden. Als Erststandort könne zum Beispiel die alte Schule Bernbruch infrage kommen. Als nächstes würde die Initiative auf dem 1. Kamenzer Wurstmarkt anzutreffen sein. „Wir freuen uns über jede hilfreiche Unterstützung und sind gespannt auf das, was kommt“, so Frank Döderlein, der für seinen Vortrag wohlwollenden Beifall erhielt. Ein Kamenzer Sympathisant der Stadtwerkstatt meldete sich spontan zu Wort: „Ich finde die Idee genial. Eine solche Schule wird der Zukunft unserer Stadt entgegenkommen. Denn, um mithalten zu können, muss sich ganz viel tun. Und dafür brauchen wir genau das kreative, vernetzte und kooperative Denken, das in der Freien Alternativschule vermittelt wird.“ Sein Fazit: Kamenz kann die Schule für sein neues Leitbild, an dem gerade verstärkt gearbeitet wird, durchaus gebrauchen ...