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Leser schreiben zur Debatte um Ministerpräsident Tillich

Zwischen Verurteilung und Verständnis – das Spektrum der Meinungen bleibt breit.

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Ich stehe zu meinem

Leben in der DDR

Tillichs Vergangenheit können und dürfen wir nicht beurteilen. Schon gar nicht, wenn wichtige Fakten unausgesprochen bleiben. Aber wer sich mit der Bürde dieses Amtes nach so kurzer Zeit für seine Vergangenheit schämt, ja sie regelrecht verleugnet, dem traue ich bei viel wichtigeren Entscheidungen nicht den Mumm und den Charakter zu, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Ich bin auch Anfang 50 und stehe zu jedem Wort und zu jeder Handlung bis zum Ende der DDR. Das war doch mein Leben, mit Eltern, Familie, Kindern, Beruf und den täglichen Problemen. Aber dafür schämen oder mich entschuldigen, nie. Das wäre eine Beleidigung für jeden Einzelnen, der in der damaligen Gesellschaft seinen Platz gefunden hat.

Frank Eichhorn, Reichstädt

Dem Ministerpräsidenten den Rücken stärken

Wieso um alles in der Welt stärken die Medien nicht denen den Rücken, die ihre Biografie offenlegen? Herr Tillich gehört unterstützt, und zwar auf der ganzen Linie! Nur nicht von solchen Leuten wie Biedenkopf, bei dem ehrliche Menschen keine Chance hatten, auch wenn ihnen die Stasi vor und vor allem nach der sogenannten Wende mehr als nur geschadet hat (für die Stasi-Leute und Co. war es nämlich nur eine Wende). Ich für meinen Teil weiß sehr wohl, was es heißt, mit seiner Biografie ehrlich umzugehen. Und die Medien lassen einen im Stich. Wird Tillich weggeputscht, ist die Bahn frei für die Külows und Co.

Dr. Henrike Dietze, Leipzig

Die Vergangenheit mit der Gegenwart aufrechnen?

Hätten fähige Leute wie Tillich und andere solche Positionen damals nicht besetzt, wäre die DDR dann schneller zu Ende gegangen oder wäre es uns vielleicht noch schlechter gegangen? Kann der SPD-Westgenosse Nolle die Vergangenheit einiger CDU-Blockflöten der DDR mit der Gegenwart der Koalitionsgelüste der SPD mit den Kommunisten der Linken im vereinten Deutschland aufrechnen?

Roger Stephan, Dresden

Warum den Dienst nicht

als Bausoldat absolviert?

Wie stand Tillich grundsätzlich zur DDR, da er doch seine persönliche Zukunft in einer Tätigkeit im Staatsapparat mit Entwicklungsmöglichkeiten gesehen hat, die seiner Intelligenz entsprachen? Er sagt, dass er in die CDU eingetreten ist, um vor der SED Ruhe zu haben. Entsprach aber die Verbindung mit der CDU nicht mehr seiner religiösen Verbundenheit, die ihm gleichzeitig auch einen Aufstieg im Staatsapparat sicherte? Stanislaw Tillich sagt, dass er sich den Wehrdienst bei den Grenztruppen nicht aussuchen konnte. Warum hat er nicht die Möglichkeit des Dienstes als Bausoldat wahrgenommen? Eine ehrliche Antwort auf diese (und sicher auch andere) Fragen würden sein wirkliches Verhältnis zur DDR deutlicher machen und bisher halbseidene Erklärungen ersetzen.

Eberhard Haueis, Dresden

Denunziantentum bringt unser Land nicht voran

Für den Ministerpräsidenten Herrn Tillich ist nun auch die Vergangenheit eingezogen. Es wird nie Ruhe geben in diesem Staat, weil jeder gegen jeden etwas zu berichten hat. Aber es ist auch erstaunlich, wie der Regierungssprecher das Problem um seinen Ministerpräsidenten entschuldigt, dass er 30 von seinen 50 Jahren in der DDR gelebt und gearbeitet hat – prima Meinung! Aber viele andere Menschen müssen sich entschuldigen, weil sie in der DDR gelebt und gearbeitet haben, keiner tritt für diese Menschen ein! Sie werden gedemütigt und verunglimpft. Was für eine Demokratie!

Ingeburg Lawryk, Pirna

Alles normale Lebensstufen einer DDR-Biografie

Nun hat die Neiddebatte auch Herrn Tillich erreicht. Ich finde das empörend! Menschen, die nicht in der DDR lebten, auch die Journalisten, die die DDR nicht wirklich erlebten, haben nicht das Recht, über Befindlichkeiten zu urteilen. Herr Tillich ist aufgrund seines Könnens, seiner Ausstrahlung und Bescheidenheit zum anerkannten Ministerpräsidenten von Sachsen gewählt worden. Frau Merkel war FDJ-Mitglied, hatte Funktionen: alles normal, genauso normal, wie Herr Tillich Staats- und Rechts-Kurse besuchte, die für die Funktion Handel und Versorgung notwendig waren.

Gudrun Grosse, Kurort Hartha

Eigentlich ein Akt

aus Absurdistan

Ich hielte diese Diskussion insgesamt für einen Akt aus Absurdistan, wären ... nicht in der Vergangenheit Bürger der „ehemaligen DDR“ wegen weit geringerer „Systemnähe“ aus weit weniger bedeutenden Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, in Universitäten, in Schulen... als „untragbar“ herausgeworfen worden. Nicht wenige dieser „Stützen des Unterdrückungsstaates“ sind dadurch ihrer Zukunft beraubt worden. Ich möchte dem Herrn Ministerpräsidenten hier nichts unterstellen, aber in Sachsen wurde das unter Führung einer CDU-Regierung mit besonderer Konsequenz betrieben.

Werner Schmidt, Dresden

Rechtzeitiges Bekenntnis wäre überzeugender

Als gesamtdeutscher Bürger halte ich die ganze Diskussion über Verstrickungen des jetzigen sächsischen Ministerpräsidenten in die Machtkonstellation der DDR für unangemessen. Dennoch meine ich, dass sich die CDU in Ost und West hier selbst in falschem Moralismus verfangen hat. Die indifferente Zuordnung von Mitgliedern PDS/Linken zum Kommunismus und damit zu undemokratischen Erblastträgern schlägt auf die CDU zurück. Amts- und Mandatsinhaber sollten grundsätzlich zu ihrer Vita und damit auch möglichen eigenen Fehleinschätzungen der Vergangenheit stehen. Nur mit rechtzeitigem, ehrlichem Bekenntnis zur eigenen Vergangenheit verstärkt sich die Glaubwürdigkeit. Jeder politische Systemwechsel hinterlässt Zweifel und bewirkt Fragen bei politischer Neuorientierung.

Manfred Remmer, Kurort Rathen

Leider nur Enthüllungen scheibchenweise

Wenn Herr Tillich jetzt eine „Lanze für den gelernten DDR-Bürger bricht“, ist dies anerkennenswert, gleichzeitig seine Pflicht für die Mehrzahl seiner Landeskinder und im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen sicher auch nicht uneigennützig. Störend dabei ist, dass alles aus Enthüllungen heraus geschieht – scheibchenweise. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier Parallelen zu anderer DDR-Vergangenheitsbewältigung praktiziert werden.

H.-Jürgen Großmann, per E-Mail

Leute von „drüben“ sind eben bessere Menschen

Was macht man, wenn man in der DDR gelebt, gearbeitet, gelernt, geträumt, gehofft, keinen Ausreiseantrag gestellt hat und nun vielleicht Minister werden soll? Das geht doch auf keinen Fall, irgend ein Nebensatz wird irgend einem nicht gefallen! Die Leute von „drüben“ (wir haben ja Erfahrungen gemacht mit ihnen) haben solche Probleme nicht, eben bessere Menschen. Wie lange noch?

Gerhard Schlegel, Hoyerswerda

Erfahrungen zum Wohle der Sachsen nutzen

Was man – sogar aus den eigenen CDU-Kreisen – jetzt gegen Herrn Tillich hervorkramt, ist mehr als schäbig. Ich bin ganz gewiss keine Anhängerin von ihm und seiner Partei, aber es empört mich, wie man so mit Menschen umgeht, die sich in der DDR qualifiziert haben, Verantwortung übernahmen und trugen. Ich bin davon überzeugt, dass Herr Tillich seine Arbeit als Stellvertreter des Rates des Kreises für Handel und Versorgung im Interesse der Bürger des Kreises Kamenz verrichtet hat, und das war Ende der 80er Jahre gewiss nicht leicht. Diese Erfahrungen kann und sollte er jetzt als Ministerpräsident zum Wohle der Sachsen nutzen.

Inge Kutschmar, Olbersdorf

Ein willfähriger

Helfer des Systems

In der Zeit zwei bis drei Jahre vor der Wende gibt es keine beschönigenden Worte für sein Verhalten. Die DDR ging schon viele Jahre vor der Wende am Bettelstab; missachtete die in der Verfassung der DDR festgeschriebenen Grundrechte.

Herr Tillich muss sich schon gefallen lassen, dort willfähriger Helfer gewesen zu sein. Speziell in christlich-demokratischen Kreisen war hinreichend bekannt, wie es in Wirklichkeit um die DDR steht. Gleich nach der Wende kamen aus diesen Kreisen reichlich „Blüten“, die das Allgemeinwesen erst einmal verdauen musste.

Frank Bleyl, Dresden

Man sollte zu seiner

Haltung stehen

Mit Herrn Nolle hat das nichts zu tun, wenn es um Ehrlichkeit gehen soll. Im Prinzip gefällt mir die Art und Weise der Debatte nicht. Wir „artigen“ DDR-Bürger blieben hier und müssen uns noch fragen lassen: warum? Jeder wollte vorwärtskommen. Man soll zu seiner Haltung stehen und sie nicht verdrehen..Kurt Wünsch, Dresden