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Letzte Schnipsel eines Arbeitslebens

Stadtwerkechef Reinhard Zerge geht sehr zufrieden in den Ruhestand. Ein bisschen mitmachen will er noch.

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© Dietmar Thomas

Von Jens Hoyer

Döbeln. Nein, Reinhard Zerge ist keiner von denen, die nicht loslassen können. Ab 1. April ist der Geschäftsführer der Stadtwerke Rentner und er hat sich in den vergangenen Monaten zurückgenommen. Die Arbeitstage sind schon kürzer geworden und er hat auch nicht mehr alles gelesen, was erst für die Zeit nach seinem letzten Arbeitstag relevant wird. „Ich bin in der Endphase der Entschleunigung“, meint er. Das Maßband für die letzten 150 Tage, dessen Schnipsel auf einer Magnumflasche Sekt in seinem Büro kleben, ist schon sehr kurz geworden. „Man hat seine Zeit, die sollte man nutzen – und sie geht auch mal zu Ende. Auf dem Höhepunkt muss man aufhören können.“

Mehr als 43 Jahre hatte Zerge gearbeitet. „Ich bis sehr zufrieden. 97 Prozent dessen, was ich erreichen wollte, habe ich geschafft“, sagte er. Dabei hatte es durchaus Brüche im Leben des 65-Jährigen gegeben. Mit 23 Jahren hatte er als Technischer Kybernetiker das erste Havarieschutzprotokoll im neu gebauten VEB Kernkraftwerk Bruno Leuschner in Greifswald unterschrieben. „Die Sachsen haben mich da hingeschickt, damit sie ruhig schlafen können“, witzelte er. Ein paar Jahre später zog es ihn zurück in die Heimat nach Freiberg, wo er am Brennstoffinstitut maßgeblich an einem Verfahren zur Kohlevergasung mitarbeitete. Kernkraft wird abgeschafft und Kohle ist ein Auslaufmodell, sagte Zerge. Aber die Stadtwerke haben Zukunft. Auch wenn es keine einfache ist. Zerges Nachfolger werden sich auf den Erfolgen der vergangenen 25 Jahre nicht ausruhen können.

Ein schwieriges Geschäft

Die Digitalisierung wird ganz neue Herausforderungen stellen, meint Zerge. Ab 2017 werden die sogenannten intelligenten Stromzähler eingeführt. „Das wird völlig neue Möglichkeiten mit sich bringen.“ Elektrogeräte in den Haushalten werden über Schnittstellen gesteuert und dem Stromaufkommen angepasst, das immer mehr von erneuerbaren Energien bestimmt wird. Der Kunde wird „gläsern“, das Kundenverhalten beeinflussbar – eine Herausforderung für alle Energieunternehmen. „Die EDV wird eine Menge Geld kosten. Das kann nur in größeren Verbänden organisiert werden“, meint Zerge. Die Energiewirtschaft wird in extremen Maße von der Politik beeinflusst. Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder verändert und so wird es bleiben. „Die regulatorischen Eingriffe haben stark zugenommen. Das macht das Geschäft schwierig. “

Zerge will im Ruhestand seinem Nachfolger den Rücken freihalten und sich weiter um die Dinge kümmern, die außerhalb des normalen Geschäftsbetriebes bei den Stadtwerken laufen – um die Zusammenarbeit mit der Kommune, mit Verbänden und Vereinen, um das Heimatfest samt Umzug, die Feier zu 25 Jahren Stadtwerken. „Viele Dinge, die unseren kommunalen Markenkern ausmachen, müssen erhalten bleiben. Dazu hatten wir in den 90er Jahren keine Zeit und jetzt wird es ähnlich“, sagte Zerge.

Am Freitag ist der Geschäftsführer bei einer Feier im Theater offiziell verabschiedet worden. Der als Dampfplauderer bekannte gebürtige Roßweiner fand die geeignete Form, auf die 23 Jahre seiner Arbeit zurückzuschauen. Er hielt mit Ex-Bürgermeister Matthias Girbig auf der Bühne ein amüsantes Zwiegespräch, das durch allerlei Anekdoten angereichert war. Girbig als Chef des Aufsichtsrates hatte Zerge 1993 nach Döbeln geholt. Zerge hatte die erste Bewerbung seines Lebens geschrieben, wie er erzählte. „Meine Frau hat mir geholfen.“

Nachfolger steht schon fest

Die Stadtwerke standen damals ganz am Anfang. Eine 18 Kilometer lange Gashochdruckleitung von Eichhardt nach Döbeln war schon gebaut und die Stadt auf Erdgas umgestellt. 1995 übernahmen die Stadtwerke auch noch das Stromnetz von der WESAG. „Die standen ständig vor der Tür und wollten einen Konzessionsvertrag abschließen. Das wäre schnelles Geld gewesen. Gut, dass wir es nicht gemacht haben“, erzählte Girbig. Für Zerge war die Übernahme einer der Momente, die er im Rückblick besonders beeindruckend findet.

„Ich habe einen Stromliefervertrag für 20 Jahre abgeschlossen. Der Umfang betrug 220 Millionen D-Mark. Da habe ich gewusst, so einen Vertrag unterschreibe ich nicht noch mal.“ Der Umbau des Stadtbades samt zweier Hochwassersanierungen haben Zerge vom Anfang bis zum Ende begleitet. Obwohl, wie er zugibt, ihn eine Hassliebe mit dem flüssigen Element verbindet, seit seine Mutter ihn als Kind zum Schwimmen im Roßweiner Stadtbad genötigt hat. Handball war ihm immer viel lieber gewesen.

Zerges Nachfolger steht schon seit über einem Jahr fest. Gunnar Fehnle, seit zwölf Jahren im Unternehmen, hatte die Geschäftsführung schon vor einigen Monaten mit übernommen. Geschäftspartner, Freunde, die Kollegen haben Zerge liebevoll mit kleinen Filmen in seinen Ruhestand verabschiedet. Natürlich auch mit Vorschlägen für die Freizeitgestaltung. Ausarbeitung findet er seinem Garten: „Ich habe fast 250 Rosenstöcke. Dazu noch Rhododendren und andere Pflanzen. Das ist richtig in Blühfolgen gestaffelt“, erzählt er. Genau durchgeplant eben.