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„Letztlich sind wir alle Fremde“

Pfarrer Michael Kleiner verlässt Kamenz. Es war eine gute Zeit, sagt er. Und schaut auch auf Heidenau, wo er vorher war.

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© René Plaul

Kamenz. Am Sonntag, 10 Uhr, zelebriert Pfarrer Michael Kleiner seinen letzten Gottesdienst in der Kirche der katholischen Pfarrgemeinde St. Maria Magdalena in Kamenz. Sein Abschied nach zehn Jahren seelsorgerischen Wirkens ist ein einschneidendes Ereignis in der Lessingstadt. Gemeinsam mit seinen Amtsbrüdern der evangelisch-lutherischen Kirch- und der Adventsgemeinde hat Dr. Kleiner ein Beispiel gegeben, was Ökumene bedeutet. Wenn Christen zusammenwirken, können sie der Gemeinschaft etwas Wichtiges geben, sagt der 69-Jährige. Mit Sorgen schaut er in diesen Tagen auch nach Heidenau, wo er vor Kamenz 15 Jahre lang als Pfarrer gedient hat. Die SZ sprach mit ihm auch darüber.

Herr Pfarrer Dr. Kleiner, Ihr Weggang aus Kamenz wird weithin bedauert. Musste er sein?

Die Ehrlichkeit gebietet, aus der Hand zu geben, was man nicht mehr bewältigen kann. Die Kirchgemeinde hat mich zehn Jahre lang voll und ganz beansprucht. Ich war gern hier. Ich konnte mithilfe der Gemeinschaft vieles Gute aussäen und manches Gute ernten. Zuletzt habe ich mehr und mehr gespürt, dass dieses Feld mit meinem Kräftepotenzial nicht mehr zu beackern ist. Es war eine gute Zeit in Kamenz. Aber jetzt ist die Zeit zu gehen.

Ihr Name steht für eine verwirklichte Vision, die Sie scherzhaft als„Kleine Katholische Republik“ am Kamenzer Spittel bezeichnet haben. Wird dieses Selbstbewusstsein weiter gelten?

Das hoffe ich sehr. Nach schwierigen Jahren und Verhandlungen ist es uns gelungen, neben der sanierten Kirche St. Maria Magdalena auch unser katholisches Kinderhaus neu erstehen zu lassen. Zusammen mit dem Gemeindezentrum und vor allem dem Pflegeheim St. Georg wird auf einem begrenzten Areal der Verbund des Lebens, das Gott stiftet und wieder empfängt, symbolisiert. Von hier aus hat die ganze Kirchgemeinde weitere Kreise gezogen und das wird sie auch weiter tun.

Sie haben sich von Beginn an in die Reihen jener begeben, die vor allem die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zum Beispiel im Herrental hoch halten. Warum?

Die Kirchen sind von der Gedenkstätten-Initiative angesprochen worden. Mir war es wichtig, das Gedenken an jene aufrecht zu halten, die Widerstand geleistet haben gegen Diktatur und Terror. Dabei ist es uns auch gelungen, auf das Schicksal des Pfarrers Dr. Bernhard Wensch hinzuweisen, der in den 30er Jahren Priester in der Kamenzer Pfarrei war und wegen seiner offen vertretenen Gegnerschaft zu den Nazis ins KZ Dachau kam und dort starb. Heute gibt es einen Dr.-Bernhard-Wensch-Weg und einen von Gunter Demnig verlegten Stolperstein unmittelbar am Eingang der Kirche. Das freut mich in besonderer Weise.

Die Stolpersteine sind nicht ganz unumstritten …

Ich halte sie für ein starkes Symbol. Wir stehen auf den Schultern jener, die ihr Leben vor uns hingegeben haben. Ich kann nicht erkennen, was gegen diesen Standpunkt auch im wörtlichen Sinne sprechen soll. Unmittelbar nachdem unser Stein verlegt war, hatte es eine Attacke auf dieses Denkmal gegeben. Leider wurden die Urheber nie gefasst.

Das Asylthema ist in Kamenz nicht erst seit Heidenau aktuell. Vielleicht ist es wieder mal Zeit für Lichterketten?

Ich war nach Waldheim und Stadtroda 15 Jahre Pfarrer in Heidenau. Ich schaue heute mit großer Sorge ins Elbtal. Ich weiß, dass auch bei Pegida viele mitlaufen, die christlichen Kirchen angehören, weil sie gegen Gemeinheiten nicht mehr immun sind. Wir müssen die menschlichen Abwehrkräfte der Gemeinschaft stärken. Da können auch Lichterketten durchaus helfen. Deshalb standen die christlichen Kirchen von Kamenz mit in der Reihe als es galt, das neue Asylheim am Flugplatz vor Fremdenhass und beginnenden Übergriffen zu bewahren.

Der Bürgermeister von Heidenau beklagt fehlenden Anstand bei den Asylgegnern vor der Erstaufnahmeeinrichtung in seiner Stadt. Kannten Sie ihn?

Natürlich. Gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister hatte Jürgen Opitz seit der Wende auch in meiner Kirchgemeinde eine wichtige Rolle gespielt. Er lebt seinen Glauben auch über die Funktion hinaus. Ich bin sicher, dass er auch daraus die Stärke nimmt, zu widerstehen, wenn der Fremdenhass vor seinem Haus marschiert. Das ist ein Rückhalt, der über den Amtseid eines Bürgermeisters weit hinaus geht.

Was schützt vor Fremdenfeindlichkeit, wenn sie derart um sich greift?

Zum Beispiel ein Blick in die Bibel. Schon im Alten Testament wurde ins Stammbuch der Menschheit geschrieben, dass der Fremde unter dem Schutz des Gottes der Israeliten steht, weil diese einst selbst Fremdlinge in Ägypten waren. Wir sind alle irgendwo Fremde, und diese Wahrheit darf nie in Vergessenheit geraten. Jedem, der anklopft, wird aufgemacht. Dass dies natürlich auch für den Gast mit Pflichten verbunden ist, kommt erst danach.

Sie stehen für den guten ökumenischen Geist in der Stadt Kamenz ...

Aber nicht allein. Superintendent Müller hatte sich stets dafür stark gemacht. Und auch mit meinen Amtskollegen, Pfarrer Naumann und Pastor Krause – beide weit im Herzen wie im Denken – habe ich ohne Einschränkungen an einem Strang ziehen können. Mit dem Höhepunkt im gemeinsamen Umzugsbild zum Tag der Sachsen. Die Einheit der Christen ist unumgänglich, wenn uns die Leute ernst nehmen sollen.

Herr Pfarrer, freuen Sie sich jetzt auf ihren Ruhesitz in Schmochtitz?

Ich bin 69, gehe aber ausdrücklich nicht in den Ruhestand. 20 Prozent meiner neuen Aufgabe füllt die pastorale Mitarbeit in der Dompfarrei in Bautzen aus, wo ich unter anderem fünf Altenheime zu betreuen habe. Und die meiste Zeit werde ich als Kirchenrektor im Bischof-Benno-Haus in Schmochtitz sein, wo ich nicht nur seelsorgerisch, sondern auch wieder theologisch arbeiten kann. Darauf freue ich mich sehr.

Gespräch: Frank Oehl