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Liebe genügt aber nicht

Der Pädagoge Ralf Hickethier plädiert bei der Erziehung für klare, einfache Regeln mit Eltern und Lehrern als Gesetzgeber.

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© Anne Hübschmann

Von Manfred Müller

Großenhain. Im Januar lasen die Horterzieher in der SZ ein Interview mit dem Pädagogen und Psychologen Ralf Hickethier. „Mehr Respekt, Kinder!“ war es überschrieben. Hickethier legte dort dar, dass „Erziehung auf Augenhöhe“ nicht funktioniert. Die Probleme, die er beschrieb, waren den Großenhainerinnen bestens bekannt. Deshalb luden sie den langjährigen Ratgeber-Verfasser der SZ zu einem Vortrag in die Grundschule Schubertallee ein. Das Interesse war riesig – an die 100 Mütter und Väter, aber auch Pädagogen anderer Einrichtungen kamen.

Eigentlich stehen ja Eltern, Lehrer und Erzieher auf der gleichen Seite. Alle wollen, dass aus den Kindern kluge, lebenstüchtige Menschen werden. In der Praxis jedoch knirscht es im Erziehungsgetriebe. Erboste Mütter und Väter kreuzen in den Bildungseinrichtungen auf, kritisieren die Bewertung der schulischen Arbeit, und wenn sich ihr Liebling mal daneben benommen hat, sind selbstverständlich die Pädagogen schuld. Den Kindern bleibt das natürlich nicht verborgen. Wenn die Eltern – ganz gleich, ob zu Recht oder zu Unrecht – stets auf ihrer Seite stehen, müssen sie an ihrem Verhalten nichts ändern.

Auch vor dem Schulhort macht diese Praxis nicht halt. „Wer zu Hause der Boss ist, versucht das natürlich auch bei uns“, sagt Sabine Schmidt. „Und wenn es nicht klappt, wird der Erzieherin über den Mund gefahren und bockig reagiert.“ Die Leiterin des Hortvereins „Miteinander“ betreut mit ihrem Team 130 Kinder. „Wenn jeder denkt, dass er keine Regeln einhalten muss, landen wir direkt im Chaos“, so die Erzieherin.

Gewisse Regeln einhalten

Gerade Ralf Hickethier steht im Ruf, eher traditionelle Erziehungstheorien zu propagieren. Chef in der Familie sind die Eltern und nicht die Kinder, ist eine seiner zentralen Thesen. Da Menschen generell zu Stärkeren aufblicken, von ihnen Rat und Rückhalt erhoffen, müssten die Eltern diese Rolle auch in der Familie annehmen. „Wer sich stark fühlt, kann auch großzügig sein“, sagt der Erziehungswissenschaftler, der durch langjährige Tätigkeit im Lehrerberuf über einen großen Erfahrungsschatz verfügt. Eigentlich sei er ja eher ein weicher Typ, erzählt Hickethier und gibt eine Geschichte aus seiner pädagogischen Praxis zum Besten.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen habe er seinen Schülern das Kaugummikauen im Unterricht nicht verboten. Sie sollten nur gewisse Regeln einhalten – nicht lauthals schmatzen und keine Blasen aus Mund pusten. Aber die Kinder hielten sich leider nicht daran, wenn er einen erwischte, gab es endlose Diskussionen, die zu nichts führten. Schließlich habe er begriffen, dass eine klare einfache Regel die Bessere sei. Kein Kaugummi im Unterricht, basta. Alle hätten sich daran gehalten. Wenn das in der Kita und Schule klappen soll, muss es zunächst einmal in der Familie praktiziert werden.

Loben und belohnen ist zwar wichtig, erklärt Hickethier, aber es behalte seinen Wert nur, wenn es auch Tadel und Strafe gibt. Wer mit seinen Kindern jeden Schritt verhandelt wie unter Kumpels im Sandkasten, der müsse das Rad immer wieder neu erfinden und bleibe am Ende erschöpft und psychisch ausgebrannt zurück. Viele der Probleme, mit denen sich deutsche Eltern herumschlagen, seien in vietnamesischen Zuwandererfamilien unbekannt. Da spielten familiäre Ordnungen noch eine große Rolle, das Ergebnis sei eindeutig: Nahezu jeder Gymnasiast aus den Familien schafft auch das Abitur.