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Liebevolle Gesten

Pfarrerin Christiane Mantschew über deren Wirkung auf die menschliche Seele

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Ich bin meinem Bruder sehr dankbar, dass er sich um unseren alten Vater kümmert. Mein Bruder ist von uns Geschwistern derjenige, der in der Nähe des Vaters geblieben ist. Das Laufen fällt meinem Vater sehr schwer, auch die Sehkraft hat stark nachgelassen. Er verlässt nur noch selten das Haus: um sonntags in die Kirche zu gehen, die zum Glück ganz in der Nähe ist, oder wenn er zum Arzt muss. Geistig ist unser Vater noch fit! Seine Stimme am Telefon ist klar, klingt wie „im besten Alter“. Er ist zufrieden mit seinem Leben, wie es ist. Er ist froh und dankbar, dass er zu Hause seinen gewohnten Rhythmus leben kann.

Die Lasten trägt mein Bruder. Beide wohnen im selben Haus zur Miete. Jeder in seiner Wohnung. Das sind dann kurze Wege zwischen den beiden. Trotzdem kommt da einiges an nötigen Schritten und Verpflichtungen für meinen Bruder zusammen: für Vater Einkäufe erledigen und Wäsche waschen, die Wohnung sauber machen. Mein Bruder ist berufstätig. Von Montag bis Freitag fährt er frühzeitig mit dem Bus zur Arbeit und kommt am späten Nachmittag müde nach Hause. Sein erster Weg geht zu unserem Vater: „Hallo, Papa, wie schaut’s?“ Beide erzählen sich von ihrem Tag, was gewesen ist. An den Wochenenden kocht mein Bruder, beide essen gemeinsam, und Vater freut sich über das gute Essen.

Sich selber verschenken

Mein Bruder lebt auch sein eigenes Leben. Er ist froh, wenn er sich am Abend in seine Wohnung zurückziehen kann. Doch vor dem Schlafengehen ruft er immer noch mal bei Vater an und wünscht ihm eine gute Nacht. So ist er dann beruhigt, dass Vater gut ins Bett gekommen ist. Sonst würde er sich Sorgen machen.

So geht das schon seit fast sechs Jahren – seit unsere Mutter tot ist. Aber bei meinem letzten Besuch ist mir etwas ganz Besonderes aufgefallen: Vater war schon im Bett. Wir anderen saßen vorm Fernseher meines Bruders, um den sonntäglichen „Tatort“ zu sehen, da stand mein Bruder auf, nahm ein kleines Parfumfläschchen aus dem Schrank, sprach: „Ich gehe noch mal zu Papa!“ Und kam nach wenigen Minuten mit seinem Parfumfläschchen wieder. „Was hast du mit dem Parfum bei Papa gemacht?“, fragte ich verwundert. Da sagte er: „Das machen wir jetzt jeden Abend. Ich gehe noch mal zu ihm ans Bett und mache etwas Duft auf seine Stirn. Das tut ihm gut.“ Ich nahm das Fläschchen und roch an dem Duft. Ein zarter, blumiger Duft entströmte dem Fläschchen. Zu anderen Zeiten hätte sich unser Vater wohl kaum mit diesem Duft „geschmückt“. Aber jetzt genoss er es wohl einfach, wenn sein Sohn noch einmal zu ihm kam und ihn zur Nacht mit dem Duft beschenkte.

Das kleine Duft-Ritual hat mich tief bewegt. Ich spürte noch mehr Dankbarkeit: Unser Vater bekommt mehr als die nötige Hilfe. Er bekommt auch etwas für sein Herz, für seine Seele. Die Berührung mit dem Duft schenkt Nähe und Geborgenheit. Es ist nur ein flüchtiger Duft, eine winzige Geste, ein letzter Gruß vor der Nacht. Eigentlich nicht nötig. Und doch sind es gerade solche liebevollen Gesten, die einen „Duft“ der Freude verströmen; für den, der beschenkt wird, und auch für den, der damit sich selber verschenkt.