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Löbau in Monsterhand

Pokémon erobern Löbau und tummeln sich überall. Mit bloßem Auge sind sie aber nicht zu entdecken.

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© Bernd Gärtner

Von Marcus Scholz

Löbau. Habitak breitet vor der Löbauer Nikolaikirche seine Flügel aus. Das vogelähnliche Pokémon wittert Gefahr und will sich aus dem Staub machen. Für eingefleischte Pokémon-Trainer ist es nun an der Zeit, einen rot-weißen Pokéball zu zücken und ihn mit einem Fingerwisch über das Handydisplay in Richtung des flügelschlagenden Habitaks zu werfen. Schließlich soll das kleine Pokémon nicht entkommen.

Wer dieser Tage Menschen – vor allem Jugendliche – im Stadtgebiet beobachtet, die völlig geistesabwesend auf ihre Handys starren, der sieht wohl eben jene Pokémon-Trainer vor sich. Vor rund 20 Jahren haben die kleinen bunten Monster schon einmal die Herzen von Kindern und Jugendlichen erobert. Damals flimmerten die Pokémon (englische Abkürzung für pocket monster, zu Deutsch „Taschenmonster“) in einer täglichen Serie über die Mattscheiben. Es gab sie als Sammelkarten, Kuscheltiere oder Spiel für den Gameboy. Seit ein paar Wochen sind die Kreaturen, von denen es mehrere Hundert gibt und die auf Namen, wie Glurak, Bisasam oder Schiggy hören, wieder auf der Bildfläche aufgetaucht. Oder genauer gesagt: Als Spiel für das Handy. „Pokémon Go“ heißt der neueste Trend, der nicht nur Löbau, sondern auch den Landkreis Görlitz, Deutschland und die Welt im Sturm erobert hat.

Wer das Spiel auf seinem Handy installiert hat, bekommt über ein Satellitensignal Pokémon und andere Spieler auf einer Karte auf seinem Telefon angezeigt. Und das in Echtzeit in realer Umgebung. Ziel ist es, mit den rot-weißen Pokébällen so viele kleine Monster wie möglich zu fangen, sie gegen Kreaturen anderer Spieler kämpfen zu lassen und sie damit weiterzuentwickeln. Kein Pokémon gleicht dem Anderen und jedes Monster besitzt verschiedene Stärken und Schwächen.

„Ich würde dieses Spiel nie spielen“

Andreas Schurig, Sachsens Datenschutzbeauftragter, warnt vor Pokémon Go.

Herr Schurig, haben Sie sich schon mit Pokémon Go befasst?

Andreas Schurig: Ja, meine Behörde insgesamt. Und ich muss sagen, das ist keine empfehlenswerte App. Die Datenschutzampel ist tiefrot. Ich würde es nie spielen, ein ganz klares Nein.

Was ist das Gefährliche daran?

Schurig: Das Spiel ist nur ein Mittel zur Gewinnung personenbezogener Daten. Haben Sie sich je gefragt, warum es kostenlos ist? Es verlangt Geburtsdatum, Standortdaten, IP-Adresse, Daten zu Browser und Betriebssystem, die zuvor besuchten Internetseiten, Suchbegriffe, Nutzereinstellungen. Ziel ist es, so viel wie möglich über den einzelnen Spieler herauszubekommen, um individualisierte Werbung anzuzeigen. Man muss wissen, dass das Unternehmen Niantic, das Pokemon Go entwickelte, aus dem Google-Konzern entstanden ist.

Das läuft doch bei anderen Diensten auch. Beispiel Facebook: Ich bekomme Werbung angezeigt von Dingen, die ich zuvor im Internet gesucht habe.

Schurig: Ja, das beruht auf denselben Mechanismen. In Zukunft geht es noch ein Stück weiter. Mit all diesen Daten werden Sie als Person erkenntlich. Suchbegriffe, die Sie bei Pokémon Go eingeben, lassen Ihren Bildungsgrad erkennen. Die Art des benutzten Geräts verrät etwas über die finanziellen Möglichkeiten. Wann Sie mit wem telefoniert haben, lässt Rückschlüsse auf Ihre Bekanntschaften zu. Und, und, und. Mit diesen Daten wird ein Profil Ihrer Person angefertigt und gespeichert. Dritte, zum Beispiel Google, greifen dann darauf zu.

Haben Sie schon Anfragen von besorgten Eltern zu Pokémon Go erreicht?

Schurig: Noch nicht. Es liegt uns sehr am Herzen, zu beraten und wegen der vorliegenden Gefahren die Öffentlichkeit zu erreichen. Das Bewusstsein für die Selbstentblößung ist bei vielen nicht ausreichend. Sie meinen, Datensammeln ist nicht schlimm. Aber es stimmt nicht, dass man mit all den Daten nichts Böses tun kann. Über wen ich alles weiß, den kann ich beherrschen und lenken, ohne dass er es merkt. Und für Nachrichtendienste ist per se alles interessant.

Können Europas Datenschützer die Datensammler nicht verwarnen?

Schurig: Leider nicht. Die Firma Niantic sitzt in San Francisco, die Server stehen in den USA. Wir kommen als europäische Datenschützer nicht heran. Ein Verstoß gegen unser Recht ist dort nicht sanktionierbar, obwohl der Europäische Gerichtshof das Safe-Harbor-Abkommen, das die Weitergabe europäischer Daten an die USA regelte, im Oktober 2015 für ungültig erklärt hat. Zur Begründung wurde gesagt, dass in den USA der Wesensgehalt des Datenschutz-Grundrechtes verletzt werde. Das ist die schärfste Kritik, die ein Gericht aussprechen kann.

Also können wir alle nur zuschauen?

Schurig: Vorerst, leider. Ab Mai 2018 wird aber mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung der EU hoffentlich eine Handhabe gegen solche Geschäftspraktiken bestehen.

Das Gespräch führte Jenny Thümmler.

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Um Kämpfe auszutragen und Punkte zu sammeln, ist der Löbauer Bahnhof ein beliebter Platz für Pokémon-Trainer. Im Handyspiel ist das Areal als eine sogenannte „Pokémon-Arena“ ausgewiesen. Vor allem nach Schulschluss treffen sich dort Löbaus Jugendliche zum Spielen an der frischen Luft. Nur wird dabei heutzutage nicht mehr auf Bäume geklettert oder durch den Matsch gewatet. Zum Fangen von Pokémon wird sich allerdings woanders getroffen. Zum Beispiel auf dem Johannisplatz vor der Kreismusikschule. „Nach dem Unterricht belagern die Kiddies unsere Bänke“, sagt Musikschulleiter Sven Rössel, der zum Spaß sogar schon ein Plakat des Pokémons „Pikachu“ inmitten von Noten an die Eingangstür zur Musikschule geklebt hat. Er findet die große Begeisterung für das Spiel gut. Schade sei dabei nur, dass sich die Jugendlichen beim Spielen nicht in die Augen, sondern nur auf ihr Handy schauen. „Aber wenigstens sind sie dabei draußen“, so Rössel.

Die Begeisterung für das Spiel geht sogar so weit, dass Spieler mitten in der Nacht aufstehen, um auf Pokémonjagd zu gehen. Das ist im sozialen Netzwerk Facebook in einer Gruppe nur für Pokémon-Go-Spieler aus dem Raum Löbau-Zittau zu lesen. Stand Dienstag zählte die Gruppe 63 Mitglieder. Mit dabei sind nicht nur Jugendliche. In der Gruppe wird sich auch zum gemeinsamen Monstersuchen verabredet. Beliebt scheint dabei der Löbauer Messepark zu sein, wie einigen Kommentaren zu entnehmen ist. „Einzelne Spieler haben wir beobachtet. Viele sind es aber nicht“, teilt Sarah Weiß vom Messepark mit. Weitere Arenen und beliebte Plätze sind am Theaterplatz, vor dem Hotel „Stadt Löbau“ oder dem Promenadenring.

Die Faszination für Pokémon Go geht bei manchen Spielern so weit, dass sie rings um sich herum alles vergessen. Besonders im Straßenverkehr birgt das Risiken. Die Unfallgefahr ist groß. In Löbau ist aber noch nichts passiert. „Derartige Fälle sind nicht bekannt“, sagt Polizeisprecher Tobias Sprunk. Ausschließen möchte er aber nichts. Es sei schwer zu recherchieren, ob jemand wegen des Pokémon-Spiels vor ein Auto gelaufen ist, so Sprunk. Er appelliert dennoch an alle Pokémon-Trainer, dass Spielen nicht von der Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr entbindet. „Man sollte neben dem Handy auch die Straße im Blick haben“, so der Polizeisprecher.