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Wie Lawalde Glocken aus NS-Zeiten loswerden will

Zwei Stahlgussglocken haben eine schwierige Nazi-Vergangenheit. Auch wenn das nicht der Anstoß war, sie zu erneuern, hat die Geschichte Bewegung in die Sache gebracht.

Von Anja Beutler
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Pfarrerin Karin Baudach mit einer der beiden besonderen Spendenboxen für die Kirchenglocken.
Pfarrerin Karin Baudach mit einer der beiden besonderen Spendenboxen für die Kirchenglocken. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Es gibt einen Klang, auf den sich Karin Baudach in diesem Jahr besonders freut. "Wir gehen fest davon aus, dass noch in diesem Jahr die neuen Glocken der Lawalder Kirche erklingen werden", sagt die Lawalder Pfarrerin hoffnungsfroh. Der Auftrag für die zwei neuen Bronzeglocken ist schon nach Südwestdeutschland an die Glockengießerei Bachert in Neunkirchen erteilt. Sie wird den Ersatz für die beiden Stahlgussglocken liefern, die wegen ihrer politischen Brisanz der Gemeinde im vergangenen Jahr zwei Wochen vor Ostern erhebliche Aufregung beschert haben: Denn Lawalde zählt zu den fünf Kirchgemeinden der Sächsischen Landeskirche, in denen noch Glocken "mit nationalsozialistischem Bezug" erklingen, ermittelte die Kirchenzeitung "Der Sonntag".

Hintergründe und Ausführung der beiden Lawalder Stahlgussglocken sind in der Tat durchaus heikel. Bis 1917 hatte Lawalde drei Bronzeglocken. Dann wurden zwei für Kriegszwecke eingezogen, die große von 1698 blieb übrig. 1920 kaufte sich die Kirchgemeinde dann eine zweite Bronzeglocke, die sie 1938 mit der Aussicht auf zwei Stahlgussglocken an den Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation in Zahlung gab. Die kleinere Stahlgussglocke konnte die Gemeinde so finanzieren. Die andere, 286 Kilogramm schwer, stiftete Hans von Tschammer und Osten. Er war Reichssportführer, SA- und Sportfunktionär sowie ideologischer Strippenzieher bei der Olympiade in Berlin 1936 unter Hitler. Durch seine Heirat mit Sophie Margarethe von Zimmermann war er Besitzer des Kleindehsaer Rittergutes geworden.

NS-Ministerium verbietet Symbole in letzter Sekunde

Da nimmt es nicht Wunder, dass beide Stahlgussglocken Hakenkreuze und einschlägige Inschriften erhalten sollten. "Aus der Glockenakte geht hervor, dass auf der Glocke von Hans von Tschammer und Osten das Hakenkreuz vorhanden gewesen sein muss", rekapituliert die Pfarrerin, fügt aber gleich an: "Aber es ist tatsächlich nicht mehr vorhanden, auch keinerlei Spuren." Ob das Hakenkreuz ein Schmied abgeschlagen hat, ist nicht belegt. Lange herrschte zu der Geschichte ohnehin Schweigen. Auf der von der Kirchgemeinde bezahlten Glocke ist tatsächlich nie ein Hakenkreuz gewesen. Dabei hatte es sich die Kirchgemeinde nebst eindeutigen Inschriften gewünscht. "In der Zeit hatte es einen Erlass der NSDAP gegeben, der die Verwendung von staatlichen Symbolen durch Kirchen untersagte", erklärt Baudach. Das Reichskirchenministerium habe den Lawaldern daraufhin den Einguss von Hakenkreuz und Balkenkreuz verboten.

Was aber dennoch - abgesehen von Bibelpsalm und Namen der Stifter - auf der von den Rittergutsbesitzern gestifteten Glocke zu lesen ist, macht den Geist der damaligen Zeit deutlich: "Im Jahre der Gründung des Großdeutschen Reichs unter seinem Führer Adolf Hitler 1938". Diese Inschrift war am Ende auch der Stein des Anstoßes für die Kritik an der Nutzung dieser alten Glocken. Die Landeskirche hat gerade aus diesem Grund den Austausch der Glocken forciert und finanziell stärker angeschoben: "In Lawalde beträgt die außerordentliche Zuweisung der Landeskirche für den Neuguss 16.000 Euro bei 40.000 Euro Gesamtkosten", erklärt Pressesprecherin Tabea Köbsch auf SZ-Anfrage.

Landeskirche forciert Austausch der Glocken

Der Guss der beiden Glocken sei beauftragt, werde voraussichtlich erst im dritten Quartal erfolgen können. "Wir gehen aber davon aus, dass die Glocken bis zum Jahresende 2023 ersetzt werden", sagt die Sprecherin und betont zugleich, dass die Aufarbeitung der Lasten der Kirche aus der Zeit 1933 bis 1945 "mit dem Austausch der Glocken aus landeskirchlicher Sicht auch keineswegs beendet" ist.

Dieses Glockenturm-Modell ist ebenfalls eine Sammelbox für Spenden. Familie Schuster aus Lawalde hat es gebaut, Konfirmanden haben es bemalt.
Dieses Glockenturm-Modell ist ebenfalls eine Sammelbox für Spenden. Familie Schuster aus Lawalde hat es gebaut, Konfirmanden haben es bemalt. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Die beiden Stahlgussglocken aus der Nazizeit. Sie sollen bald durch neue Bronzeglocken ersetzt werden.
Die beiden Stahlgussglocken aus der Nazizeit. Sie sollen bald durch neue Bronzeglocken ersetzt werden. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
In diesem freistehenden Glockenturm - der Besonderheit Lawaldes - hängen die drei Kirchenglocken.
In diesem freistehenden Glockenturm - der Besonderheit Lawaldes - hängen die drei Kirchenglocken. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Der Gemeinde kam diese Finanzhilfe entgegen, denn sie hatte sich wegen des schlechten Zustands der Stahlgussglocken und dem Wunsch nach einem reinen Bronzegeläut ohnehin auf den Weg gemacht. Die Historie hatte dabei zunächst niemand auf der Rechnung. Immerhin gibt es noch die große alte Glocke von 1698, die 1942 zu Kriegszwecken beschlagnahmt, 1945 in Hamburg unversehrt wiederentdeckt und drei Jahre später nach Lawalde zurückgebracht worden ist. Sie sollte in ihrem berühmten frei stehenden Glockenturm wieder zwei Bronzeschwestern erhalten.

Das ist den Lawaldern viel wert - und zwar nicht nur Geld: Kerstin Scheibe aus Lauba hat eine Glocke als Spendenbox getöpfert, Familie Schubert aus Lauba ein Glockenturmmodell zum Spenden geschaffen, die Konfirmanden bemalt haben. Geklingelt hat es seither häufiger. Pfarrerin Baudach freut sich über das große Engagement und die Spendenbereitschaft der Lawalder. Das Geld ist nötig, denn allein mit dem Guss der neuen Glocken ist es nicht getan: Die Demontage der alten sowie Veränderungen der Befestigung für die neuen Glocken kosten. Hinzu kommt der Transport, sagt die Pfarrerin. Deshalb läuft die Sammlung nach wie vor.

So sehr sich Karin Baudach auf die neuen Töne aus dem Glockenturm freut, so sehr freut sie sich auch darauf, dass die kritischen Stimmen zu den alten Lawalder Glocken verstummen. "Wir haben inzwischen viel dazu aufgearbeitet und recherchiert", betont sie. Die Glockengeschichte ist kein blinder Fleck mehr. Eines aber bleibt: Geläutet werden sollen auch die neuen Glocken nach wie vor per Hand.