SZ + Zittau
Merken

Besuch von der "Enterprise" - Hochschule macht die Oberlausitz fit für die Zukunft

Mit dem Projekt "Scotti" erforscht die Hochschule in Zittau, wie Unternehmen KI nutzen können, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei geht's auch darum, was Ärzte hier für Patienten leisten können.

Von Markus van Appeldorn
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Professorin Sophia Keil und Doktorand Fabian Lindner gehören zum KI-Forschungsteam "Scotti" an der Hochschule Zittau/Görlitz.
Professorin Sophia Keil und Doktorand Fabian Lindner gehören zum KI-Forschungsteam "Scotti" an der Hochschule Zittau/Görlitz. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Das "Raumschiff Enterprise" schwebt über Zittau - und hat seinen genialen Bordingenieur "Scotty" in die Räume der Hochschule Zittau an der Schliebenstraße hinuntergebeamt. Ok, das ist natürlich nur Fiktion und Zukunftsmusik. Künstliche Intelligenz (KI) aber ist es an der Hochschule nicht. Mit dem Projekt "Science Center Oberlausitz Technologie Transformation Innovativ" ("Scotti") wird hier geforscht, wie Unternehmen in der Oberlausitz KI-Technologie nutzen können. "Der Name lehnt sich natürlich an Raumschiff Enterprise an", sagt Professorin Sophia Keil, Projektleiterin und Pro-Rektorin der Hochschule und hofft, dass "Scotti" genauso geniale Ergebnisse liefert wie "Enterprise"-Ingenieur "Scotty".

"Die Zukunft der Arbeit beginnt mit KI, Künstliche Intelligenz greift überall in die Produktion ein", sagt Keil und nennt Beispiele, wie KI die Arbeits- und Lebenswelt sichtbar verändern wird: "Roboter werden alte Menschen pflegen, mit unseren Kindern und Enkeln spielen und wer weiß, möglicherweise werden sie auch eines Tages mit uns kuscheln." Eine Vorstellung, die auch Ängste schüren kann. Denn wo bleibt bei der KI der Mensch - und wo am Ende sein Arbeitsplatz? Dabei ist Keil überzeugt, dass der Einsatz von KI schon in den nächsten Jahren auch für die heimischen Unternehmen unumgänglich sein wird - schlicht deswegen, weil Fachkräfte fehlen werden, die viele Aufgaben erledigen könnten. Der Einsatz von KI werde so zu einer Existenz- und Standortfrage.

"Der Mensch im Mittelpunkt"

"Was bedeutet KI für die Produktion? Dass die Lichter ausgehen und die Menschen nach Hause geschickt werden, weil Roboter jetzt ihre Arbeit erledigen?", fragt Professorin Keil. Nein, genauso soll es eben nicht aussehen. "Wir wollen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht", sagt sie - und eben, dass heimische Produktionsbetriebe mit diesen Menschen wettbewerbsfähig bleiben. Das Projekt "Scotti" bezeichne KI daher auch nicht als "Industrie 4.0", sondern als "Industrie 4.M" - "M" wie Mensch.

Die Entwicklung der Industrialisierung wird in vier Schritte unterteilt. Die "Industrie 1.0" - und damit die Industrialisierung an sich - setzte Ende des 18. Jahrhunderts mit der Erfindung der Dampfmaschine und maschineller Webstühle ein. Wahrscheinlich hat nichts die Arbeitswelt jemals so umgekrempelt wie dieser erste Schritt. Als "Industrie 2.0" bezeichnet man die Einführung der Massenfertigung zu Beginn des 20. Jahrhunderts - möglich geworden durch das Fließband und die Nutzung elektrischer Energie. Einsetzende Automatisierung und zunehmende Einführung von Computern und Elektronik kennzeichnen die "Industrie 3.0" etwa ab den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Internet läutete schließlich die heutige "Industrie 4.0" ein.

Wie KI Effizienz schaffen kann

Jene von Professorin Keil angestrebte "Industrie 4.M" soll den Menschen hier am Standort der Hochschule nutzen. "Unsere Forschung und Kooperation mit Unternehmen soll Wissen schaffen und Kompetenzen entwickeln, um menschenzentrierte Arbeit und Wertschöpfung in der Dreiländerregion zu ermöglichen", sagt sie, und: "Uns ist als Hochschule hier ganz wichtig, nicht im Elfenbeinturm und für die Schublade zu forschen, sondern zum direkten Nutzen der hier ansässigen Unternehmen." Und "Scotti"-Forscher Fabian Lindner ergänzt zum Sinn des Projekts: "Die Mitarbeiter in den Unternehmen dürfen nicht zu Knöpfchendrückern für die KI werden - sie müssen im Mittelpunkt stehen."

Was aber bedeutet das konkret für die Produktion in heimischen Unternehmen? "KI kann viel mehr Daten erfassen und darin Muster erkennen als das menschliche Gehirn", sagt Lindner. So etwa könne eine KI viel schneller erkennen, wo es etwa in einem Produktionsprozess zu einem ineffizienten und teuren Stau kommen könnte - und gegensteuern. "Das menschliche Gehirn kann zu ähnlich guten Ergebnissen kommen - was unter Umständen ausreichen kann", erklärt er, aber: "Menschen entscheiden oft nicht rational, sondern lassen Emotionen einfließen." Für Entscheidungen in Produktionsprozessen sei das unter Umständen ökonomisch nicht sinnvoll. Teil der "Scotti"-Forschung sei es daher auch, herauszufinden, in welchen Situationen man KI nutzen und ihren Entscheidungen folgen sollte - und wann man eben doch eher der menschlichen Erfahrung und Intuition vertrauen sollte.

KI kann den Faktor Mensch nicht ausschließen

"Die KI ist nur so gut wie die Daten, aus denen sie sich nährt", sagt Lindner. KI funktioniere aufgrund unzähliger Parameter und Algorithmen. "Wir testen daher auch verschiedene Algorithmen nach ihrer höchsten Vorhersagegenauigkeit", sagt er. Denn letztlich ist KI hochpräzise Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgrund des Abgleichs unzähliger Daten - ein bisschen vergleichbar mit einem Schachspiel. Wenn etwa ein Großmeister 60 seiner möglichen Züge und der seines Gegners im Kopf durchrechnen kann, so schafft eine KI 120 oder mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine KI jeden Schach-Großmeister dieser Welt schlägt, ist daher enorm.

Wegweisend könne KI auch in der Medizin sein - etwa beim aktuellen Hautarzt-Projekt in der Oberlausitz. Wegen fehlender Hautärzte in der Region fotografieren dabei Hausärzte verdächtige und auffällige Hautstellen ihrer Patienten und leiten diese Fotos weiter. "Durch den Abgleich tausender solcher Fotos weltweit unter Nutzung von KI könnten Ärzte eine noch zuverlässigere Diagnose stellen", so Keil. Das gleiche gelte etwa für viele Tumor-Erkrankungen.

Und dennoch darf die KI den Faktor Mensch nicht ausschließen oder überstimmen. Etwa bei unvorhersehbaren Ereignissen wie der weltweiten Corona-Pandemie sei eine KI mit ihren Vorhersagen weniger verlässlich. Fragen des Forschungsprojekts "Scotti" sind daher auch: "Was mache ich mit den Informationen und wie viel darf die KI diktieren und wie viel Freiheit bleibt dem Mitarbeiter?", sagt Fabian Lindner. Intransparente KI-Entscheidungen würden bei Mitarbeitern von Unternehmen Misstrauen schüren, transparente dagegen akzeptiert. Die Frage müsse daher sein, wie KI den Mitarbeitern helfen könne. "Wer mehr Entscheidungsfreiheit an seinem Arbeitsplatz hat, kann sein Erfahrungswissen einbringen, ist motiviert", sagt er.

"Es ist wichtig zu betonen, dass die Arbeit der Zukunft sich verändern wird - aber nicht weniger wird", sagt Professorin Sophia Keil, und: "Scotti forscht bereits an zugänglichen Weiterbildungen, um die Menschen für die Arbeit der Zukunft fit zu machen" - in der Oberlausitz.