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Niedercunnersdorfer bezwingt mit Mountainbike das Atlas-Gebirge in Marokko

Martin Berndt bewältigt eine Offroad-Mammut-Tour: 1.350 Kilometer, 25.000 Höhenmeter. Nicht bloß Sport, sondern ein im Wortsinn steiniger Weg voll Dankbarkeit und Demut.

Von Markus van Appeldorn
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Martin Berndt ist gerade von einer Mammut-Radtour durch das marokkanische Atlas-Gebirge zurückgekehrt.
Martin Berndt ist gerade von einer Mammut-Radtour durch das marokkanische Atlas-Gebirge zurückgekehrt. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Wenn Martin Berndt (40) aufs Rad steigt, geht's meistens nicht nur rund ums Dorf - jedenfalls nicht in seinem Urlaub. Den verbringt der selbstständige Handwerker nämlich kategorisch auf zwei Rädern - und mag's dann auf die harte Tour. Denn was er Urlaub nennt, wäre für andere der blanke Horror. Martin Berndt sucht nicht die Erholung, sondern die Strapazen. Von seiner bisher härtesten Tour ist er erst vor einigen Tagen zurückgekehrt: rund sieben Tage 1.350 Kilometer durch das marokkanische Atlas-Gebirge, unter den Rädern mehr Schotter und Geröll als befestigte Straße - und das über 25.000 Höhenmeter.

"Im letzten Jahr hab' ich etwa 16.000 Kilometer im Sattel gesessen", erzählt Martin Berndt. Am liebsten fährt er mehrtägige Amateurrennen - zuletzt im Herbst das "Transiberica-Rennen" 2.700 Kilometer von Malaga nach Bilbao quer durch Spanien. Beim Rückflug ging ihm am Flughafen München im Gepäckchaos sein Rennrad verloren. "Das liegt immer noch irgendwo zwischen Terminal 1 und 2", erzählt er fast lachend - wenn es nicht eigentlich zum Heulen wäre. 30.000 Gepäckstücke strandeten damals am Flughafen. Der riet Passagieren sogar, nicht mit schwarzen Koffern zu verreisen - weil von denen einer aussieht wie der andere und schwer zu finden ist. Gut, dass Berndt für das Rennen in Marokko etwas Geländegängiges brauchte - sein Mountainbike.

Schlammlawinen und Steinschlag

Damit meldete er sich nun zum "Atlas Mountain Race" in Marokko an. Bei dem, was einen da erwartet, würde mancher passionierte Hobby-Radler vielleicht eher die Teilnahme an der Tour de France in Erwägung ziehen. Denn: die Teilnehmer begleitet kein Tross aus Materialwagen, es gibt keine Unterkünfte, keine Verpflegungsstellen - die Teilnehmer müssen sich irgendwie selbst versorgen. Geschlafen wird auf Isomatte und im Schlafsack unter freiem Himmel. "Das Rennen gilt als eines der schwersten Offroad-Rennen der Welt. 80 Prozent der Strecke sind Offroad, Schotter, Geröll, Steine", erzählt Berndt.

Los ging's für die 320 Teilnehmer am Abend des 10. Februar in Marrakesch - mit 24 Stunden Verspätung. "Wir hatten das Pech, dass es erstmals seit 150 Tagen wieder geregnet hatte", erzählt er. Und das war nicht bloß ein bisschen Regen, sondern eine wahre Sintflut. Die sorgte auf der ersten vorgesehenen Passstrecke für Schlammlawinen und Steinschlag. "Die Behörden haben den Start daher zunächst untersagt", sagt er - was er durchaus nachvollziehen konnte: "Ich kann schon verstehen, dass die bei so einer Wetterlage nicht noch Lust haben, ein paar hundert europäische Radler womöglich aus Bergnot retten zu müssen." Denn die Bedingungen können im Atlasgebirge zu dieser Zeit eisig sein. "Wir hatten bis zu minus sechs Grad", erzählt Bernd.

Augenblicke voll Dankbarkeit und Demut

Als es dann losging, waren die Bedingungen auf den ersten 150 Kilometer streckenmäßig noch komfortabel - Asphalt. "Nach 80 Kilometern ging's rauf ins Atlas-Gebirge. Über den ersten 2.260 Meter hohen Tizi n’Tichka-Pass führt eine gut ausgebaute Straße", erzählt er. Tatsächlich waren es aber diese ersten Kilometer, die Martin Berndt auf der Tour am meisten frusteten. "Nach 80 Kilometern habe ich mich gefragt: Martin, was machst Du hier wieder für einen Blödsinn? Das Rad zu schwer, es ist zu kalt. Da habe ich mich erst mal an den Straßenrand gesetzt, mich wärmer angezogen und mein erstes Snickers gegessen", erzählt er, und: "So ein Rennen, das ist mental wie eine Achterbahnfahrt. Und man will sich mit so etwas auch beweisen, dass man so etwas schafft. Es ist Selbstkasteiung."

Aber das Schöne überwiege eben. "Außer in diesem Moment hatte ich auf der gesamten Tour nur Spaß. Fahrradfahren ist für mich die schönste Art des Reisens und man kommt in Winkel, die man sonst nicht sehen würde", sagt er. So eine Tour, für Martin Berndt auch eine Gelegenheit für Dankbarkeit und Demut. "Die Menschen und wie sie leben, sind alle unglaublich freundlich, aber durch meine Trips komme ich auch immer wieder an Orte, die Touristen nicht oft sehen. Die Menschen sind im Hinterland sehr arm", erzählt er, und weiter: "Das erdet einen natürlich wieder, wie privilegiert wir in unserer westlich industrialisierten Welt mit allen Annehmlichkeiten sind. Wir müssen uns über die Sachen, welche der Großteil der Menschen in Marokko nicht hat, keine Gedanken machen. Strom, Wasser, Telefon, Fernsehen sind für uns ganz normal. Dort holt man das Wasser teils aus dem Brunnen und der Weg zum nächsten Arzt ist auch 80 Kilometer lang. Wir vergessen doch oft, wie viel Glück wir haben, in Deutschland geboren zu sein."

Geschafft. Martin Berndt im Ziel des "Atlas Mountain Race" am Atlantik.
Geschafft. Martin Berndt im Ziel des "Atlas Mountain Race" am Atlantik. © privat
Eine wüste Gebirgslandschaft. Dadurch kämpfte sich Martin Berndt sieben Tage lang mit seinem Mountainbike.
Eine wüste Gebirgslandschaft. Dadurch kämpfte sich Martin Berndt sieben Tage lang mit seinem Mountainbike. © privat

Das Rennen gegen die Schnecke

Nach genau sieben Tagen und acht Stunden kam Martin Berndt am Ziel an - in Essaouira am Atlantik. Das war im vorgegebenen Zeitrahmen von etwas mehr als acht Tagen. Aber auf einen Geschwindigkeits-Rekord kam es ihm auch gar nicht an. "Das einzige, wogegen ich gefahren bin, war die Schnecke", erzählt er. Auf dem für das Rennen eingerichteten Smartphone-Monitor bewegte sich eine kleine Schnecke mit konstant zehn Kilometer pro Stunde über die Route. "Die Schnecke war gewissermaßen der Besenwagen - man musste schneller als sie sein - aber die Schnecke macht keine Pause, muss nicht schlafen, sich nicht verpflegen, sie kriecht einfach immer weiter."

Mit der Zeit des Siegers konnte er sowieso nicht mithalten. "Der hat nur die Hälfte meiner Zeit gebraucht", erzählt er, und: "Das ist Wahnsinn. Der Zweitplatzierte etwa hatte innerhalb seiner vier Tage Fahrzeit nur sieben Stunden Standzeit." Ganz egal. Martin Berndt ist angekommen, mal wieder - als einer von 138 bei 320 Startern.