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Marihuana-Großhändler aus Zittau muss nicht in Haft

Vor dem Landgericht Görlitz hat ein 30-Jähriger gestanden, in knapp drei Jahren über 30 Kilo Drogen aus Tschechien eingeführt zu haben. Nun ging er mit dem Gericht einen Deal ein.

Von Frank Thümmler
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Der Angeklagte mit seinem Verteidiger vor Gericht.
Der Angeklagte mit seinem Verteidiger vor Gericht. © Danilo Dittrich

Das Landgericht Görlitz hat am Mittwoch einen 30-jährigen Verfahrensmechaniker aus Zittau wegen unerlaubter Einfuhr und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in insgesamt 43 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Außerdem muss er Wertersatz in Höhe von rund 90.000 Euro leisten.

Verurteilte Tat - der Mann hat die Einfuhr und den Verkauf von knapp 40 Kilogramm Marihuana zwischen Januar 2017 und September 2019 organisiert und davon maßgeblich seinen Lebensunterhalt bestritten - und Höhe der Strafe passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Schließlich wäre bereits jede der 43 Einzeltaten mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren bedroht gewesen. Eher sogar höher, weil die Grenze für "geringe Menge" jeweils um ein Vielfaches überschritten war. Aber der Angeklagte und sein Verteidiger machten von einem Paragrafen Gebrauch, der den Strafrahmen so drückte, dass Staatsanwalt Christopher Gerhardi und das Gericht unter Vorsitz von Theo Dahm schon zu Beginn der Verhandlung einem "Deal" zustimmten: vollumfängliches Geständnis gegen eine Bewährungsstrafe. Zwei Jahre Freiheitszug ist die maximal mögliche Strafe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Playstation-Chat verrät fast alles

Der Paragraf 31 des Betäubungsmittelgesetzes - auch Kronzeugenregelung oder "Judas-Paragraph" genannt - ermöglicht es dem Gericht, die Strafe stark zu mildern. Voraussetzung ist allerdings, dass der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beiträgt, dass eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden kann. Sein Beitrag zur Aufklärung muss weit über den eigenen Tatbeitrag hinausgehen - er muss Mittäter und Hintermänner nennen und belasten. Das hat der Zittauer getan. Staatsanwalt Gerhardi bestätigt das: Nachdem einer seiner Kuriere bei einer Kontrolle aufgeflogen und der Angeklagte verhaftet wurde, entdeckten die Ermittler zwar einen Chat in einem Playstation-Spiel, mit dem sich auf die letztlich angeklagten Fälle schließen ließ, aber der allein hätte ohne die Aussagen des Angeklagten nicht gereicht, um mehrere Mittäter zu identifizieren und anzuklagen. "Der Angeklagte ist der Schlüssel eines größeren Ermittlungskomplexes. Nach zweieinhalb Monaten Untersuchungshaft hat er ein Geständnis abgelegt, das über seine eigene Tatbeteiligung hinaus auch andere belastet und weitere Strafverfahren ermöglicht", sagt Gerhardi. Er stimmte deshalb dem Deal zu. Zugute kam dem Angeklagten dabei aber auch, dass er bisher nicht vorbestraft war und seit seiner Entlassung aus der U-Haft vor fast zwei Jahren ein nahezu mustergültiges Leben zu führen scheint.

Das Gericht schloss sich dem an, trotz der Befürchtung, dass der Zittauer in anstehenden Verfahren gegen Tatbeteiligte einen "plötzlichen Gedächtnisverlust" erleiden könnte. Der Angeklagte wirkte im Moment der Verkündung des Deals sichtlich erleichtert, schüttelte daraufhin kräftig mit dem Kopf und legte dann los mit seinem Geständnis:

An der Spitze der Dealer-Pyramide

Angefangen hatte alles, weil er selbst Drogenkonsument war und er sich seinen Konsum finanzieren wollte, sagte der Zittauer. Er lernte damals jemanden kennen, der größere Mengen Marihuana kaufen und weiterverkaufen konnte. Schnell verstand man sich gut, es bildete sich eine kleine Gruppe aus fünf Leuten, die fortan Marihuana aus Tschechien einschmuggelte und hierzulande weiterverkaufte. Einer fuhr mit dem Fahrrad über die Grenze bei Jonsdorf. Drei der Gruppe stiegen bald aus, der Angeklagte und der ursprüngliche Marihuana-Händler blieben übrig. Der stellte dem Angeklagten alsbald den tschechischen Lieferanten aus Liberec vor. Das Drogengeschäft wurde gemeinsam geführt, bis es zum Streit kam. Dabei ging es um Geld und darum, dass der Mittäter auch mit Crystal handeln wollte, der Angeklagte aber nicht.

Fortan organisierte der Zittauer, ein offensichtlich intelligenter, umtriebiger junger Mann, das Drogengeschäft selbst. Die Geschäfte, so schildert er es vor Gericht, liefen nach dem immer gleichen Muster ab. Er nahm über den Playstation-Chat Kontakt zum Liberecer Lieferanten auf. Dann wurden 5.500 Euro in Tschechische Kronen getauscht, entweder durch einen Strohmann im Globus in Liberec oder anonym bei einem Chinesen in Großschönau. Schließlich wurde nach Tschechien gefahren, mit drei Fahrzeugen, anfangs fuhr der Angeklagte mit. Das Geld wurde dem tschechischen Lieferanten gegeben, der eine halbe Stunde später mit dem Kilo Marihuana zurückkam. Dann ging es zurück über die Grenze. Ein Auto diente dabei als Vorausfahrzeug, um auszuspähen, ob Kontrollen drohten. In Deutschland wurden die Drogen an "Verteiler" weitergegeben, die sich als Provision einen Anteil Marihuana zum Eigenverbrauch oder Weiterverkauf behalten konnten, den Rest aber für 10 Euro pro Gramm verkauften. "Als das Signal kam, dass alles verkauft ist, habe ich das Geld eingesammelt. Davon habe ich 5.500 Euro für den nächsten Deal abgezogen und den Kurier bezahlt. Für mich blieben meistens so um die 2.000 Euro übrig", sagt der Angeklagte. Und dann ging es von vorn los.

Verhaftung brachte auch Erleichterung

Der Angeklagte selbst war also die Spitze des deutschen Teils der Marihuana-Dealer-Pyramide. Nur er hatte Kontakt zu dem tschechischen Lieferanten, er fand die Kuriere, die im Laufe der Zeit auch wechselten, und auch die "Verteiler". Selbst wurde er bei einer Fahrzeugkontrolle mit Cannabis im Blut entdeckt, die Fahrerlaubnis wurde entzogen. Für ihn war das der Zeitpunkt, sich vom Eigenkonsum zu verabschieden. Aber den Drogenhandel als bequeme Geldquelle betrieb er weiter.

Allerdings minimierte er das persönliche Risiko, fuhr selbst nicht mehr nach Tschechien mit, sah oft die Drogen gar nicht mehr. Dafür hatte er ja seine Leute. "Mir war schon klar, dass ich irgendwie aus der Nummer raus muss. Aber ich wusste nicht wie", sagte er vor Gericht. Die Verhaftung sei auch eine Erleichterung gewesen, die Untersuchungshaft habe ihm Zeit zum Nachdenken gegeben. Jetzt habe er ein neues Leben angefangen, kümmere sich um seine Kinder (eins lebt bei ihm), habe eine neue Partnerin und eine gute Arbeit, sei ganz weit weg von der Drogenszene. Das kann er nach dem Gerichtsurteil auch bleiben - mit einer Ausnahme: Es werden eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren gegen ehemalige Bestandteile seiner "Pyramide" laufen, in denen er als Kronzeuge aussagen muss.