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Per Oltimer ins Uranzeitalter

In Kowary fährt Krzysztof Malawski Gäste mit einem kultigen Auto durch die Gegend und die Geschichte.

Von Irmela Hennig & Maria Marciniak
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Krzysztof Malawski bietet Touristen Rundfahrten in seinem Żuk an – durch Kowary und Umgebung.
Krzysztof Malawski bietet Touristen Rundfahrten in seinem Żuk an – durch Kowary und Umgebung. © Irmela Hennig

Der Motor schreit. Mit 6, 7 km/h müht sich der Żuk den Berg hinauf. Links und rechts säumen Fichten den Weg, hier am Rande des polnischen Ortes Kowary (Schmiedeberg). Das nahe Riesengebirge ist hier schon deutlich mit seinen bergigen Ausläufern zu spüren. Doch der „Käfer“, so der deutsche Name des Pkws von 1995, schafft den Anstieg, der zum Besucherbergwerk Kolpalnia Podgorze führt. Hier erfahren Interessierte in einem 800 Meter langen Stollen ein bisschen etwas über den Eisenerzabbau und ganz viel über die Uranerzgewinnung, die von 1950 bis 1958 in diesem und weiteren Schächten des Systems gelaufen ist.

Krzysztof Malawski lenkt den Żuk auf den kleinen Parkplatz neben dem Kassenhäuschen. Der 40-Jährige nutzt das Fahrzeug für besondere Touren mit Touristen – einheimischen wie ausländischen. Umgerechnet fünf Euro pro Person kostet eine etwa 40-minütige Fahrt. „Keine Klimaanlage, Fenster öffnen geht nur per Kurbel und Hand, hinten gibt es keine Gurte“, so Malawski. Doch er liebt das Auto, das einst beim polnischen Hersteller Fabryka Samochodów Ciężarowych in Lublin produziert wurde. Es ist – auf Basis eines Opel Kapitän – ein echtes Stück Kraftfahrzeug-Historie, das Menschen begeistert.

An wem auch immer Krzysztof Malawski vorbeikommt, die Leute winken, lächeln. Am Sentimentalitäten-Museum in der ehemaligen Teppichfabrik startet der Gäste- und Bergführer seine Runde. Er hat sich eigens ein Haltestellenschild gebaut, dass er bei Bedarf aufstellt. Er trägt eine Schiebermütze, eine dezent karierte Hose und eine blaue Fahrerjacke. Alles der Zeit angepasst. Von 1959 bis 1997/98 wurde der Żuk hergestellt. Er fährt in der Ebene etwa 20 Kilometer pro Stunde. Braucht zehn bis 17 Liter Benzin auf 100 Kilometer und ist top gepflegt. Sein Besitzer kommt damit sogar bis nach Breslau. „Aber nicht über die Autobahn. Da fahre ich Landstraße“, sagt er.

Malawski stammt aus Jelenia Góra (Hirschberg), hat dort auch studiert. Lebt aber seit zehn Jahren in Szklarska Porêba (Schreiberhau). Ist dort verheiratet und vermietet mit seiner Frau Ferienzimmer. Er mag die Heimat sehr. Die Großeltern aber kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Ostgebieten, sie wurden zwangsweise umgesiedelt, wie so viele von dort. „Das ist jetzt Polen, ihr lebt jetzt hier“, wurde ihnen gesagt, erzählt der Gästeführer, der sehr gut Deutsch spricht. Getraut hätten sie dem nie. „Sie haben lange mit gepackten Koffern darauf gewartet, dass die Deutschen zurückkommen“, so Malawski. Erst in den 1970ern, als sich das Verhältnis zum Westen und zur Bundesrepublik, entspannte, habe sich das geändert. Und dann noch einmal 1990 mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die BRD.

Extra-Ration für Bergleute

Im Kulturhaus erinnern Kunstwerke an die Bergbauzeit.
Im Kulturhaus erinnern Kunstwerke an die Bergbauzeit. © Irmela Hennig

Krzysztof Malawski gibt zu, dass er seine Großeltern zu wenig über früher gefragt hat. Es habe ihn lange nicht interessiert. Das hat sich allerdings geändert. So wie bei vielen jungen Polen. „Uns ist Wilhelm IV., König von Preußen, näher als die alten polnischen Könige“, sagt der junge Pole. Die Geschichte hier sein nun mal auch eine deutsche. Polen, Deutsche und Tschechen hätten lange gut zusammengelebt, auch wenn seine Landsleute lange in der Minderheit gewesen sind. Die junge Generation sieht sich hier mitten in Europa, da gehe es nicht mehr um Nationalismen. Doch – in der Vergangenheit stöbern, die Herkunft von Gebäuden, Erzählungen, Denkmalen und eben auch Bergwerken erforschen, aufarbeiten und weitergeben, dafür engagieren sich durchaus junge Menschen.

Auch Krzysztof Malawski gibt seinen Gästen Einblicke – ein wenig in die deutsche und polnische Geschichte der Stadt. Vor allem aber bekommen sie auf den Żuk-Fahrten Auskunft über die Uranzeit Kowarys. Entdeckt wurde das Erz hier in den 1920er Jahren. Bis 1939 wurden vor allem für militärische Zwecke über 73 Tonnen Erz gefördert. Die Sowjets haben bei ihrem ersten Einmarsch zum Ende des Krieges davon aber nichts gewusst, seien durch Schmiedeberg nur durchgezogen. „Dann haben sie in Berlin-Oranienburg Uranerz-Fässer entdeckt, unter anderem mit dem Verweis auf Schmiedeberg und das nahe Kupferberg.“

1947 gab es dann die Pläne für eine geheime Förderung und am 1. Januar 1948 soll die gestartet sein. Wer Geld verdienen wollte, sei hier nicht schlecht aufgehoben gewesen. Fünfmal mehr als im Kohleabbau haben sie hier verdient. „Dazu gab es Extra-Rationen Kohl, Fleisch, Brot und ein 13. Monatsgehalt“, erzählt Julia. Sie ist Gästeführerin im Uranbergwerk Podgorze. Außerdem bauten die Sowjets eine moderne Siedlung mit 670 Wohnungen, Schulen, Straßen und Kulturhaus für die vielen Neuankömmlinge, die der Bergbau lockte oder die über die Armee oder auf anderem Weg quasi zwangsverpflichtet wurden.

Siedlung und Kulturhaus stehen noch. Vor letzterem erinnern Denkmale an die Bergbauvergangenheit. Im Gebäude sind unter anderem die Bibliothek, ein Kino für Privatvorstellungen und ein großer Saal untergebracht. Hier probt auch Krzysztof Malawski mit der freien Schauspielgruppe „Ucieczkowy“, zu Deutsch „Fluchttheater“. Die Mitglieder seien vor allem Bergführer wie er, die Abwechslung suchen. „Denn das normale Leben ist zu normal“, begründet Malawski. Leiter ist der ehemalige Chef der Bühne von Jelenia Góra. Der habe vor einiger Zeit seinen Platz räumen müssen, weil er ein Stück über Kupferberg, heute Miedzianka aufführen wollte.

Der Ort wurde wegen des Uranabbaus einst fast völlig abgerissen. Dem Staat sei das Schauspiel nicht „polnisch“ genug gewesen, so Malawski. Deswegen durfte es nicht auf die Stadtbühne. Die Fluchttheater-Leute haben es in abgewandelter Form im fast völlig verschwundenen Miedzianka präsentiert. Sie bieten außerdem szenische Führungen durch den einstigen Ort an, auch nachts. Sind mit einer Inszenierung „Radioaktives Paradies“ zu erleben, machen Lesungen zu „Galileo Galilei“ und planen für den Juni 2021 ein Rübezahl-Stück.

Auf dem Weg zum Stollen Podgorze bringt Malawski seine Mitfahrer vorbei an einer treppenförmig angelegten früheren Uranerzfabrik. Wie im erzgebirgischen Johanngeorgenstadt wurde dort das Erz oben angeliefert und stufenweise nach unten zu zerkleinert – auf 0,02 Millimeter. Dann kam es per Lkw nach Legnica (Liegnitz) und schließlich in die Sowjetunion. Inzwischen sei der Komplex verkauft – betreten verboten. Was damit wird, sei offen. Die Sanierung alter Uran-Hinterlassenschaften laufe in Polen vor allem durch Privatleute. Auch einen Teil des 33 Kilometer lange Stollensystems von Podgorze hat ein Unternehmen gepachtet, betreibt und sichert es.Konstante acht Grad herrschen im für Gäste zugänglichen Stollen, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, wie Julia informiert. Sie spricht rasant auf Polnisch. Deutschsprachige Führungen gibt es, wenn überhaupt, dann nur nach Voranmeldung.

Rostende Radon-Kuren

Im Gang haben die Besucherbergwerksbetreiber Schaustationen aufgebaut. Zu sehen sind Werkzeuge, gefördertes Material, Uranglas, die Heilige Barbara. „Unter den Russen war es verboten, sie zu verehren. Darum haben die Bergleute kleine Figuren in den Stollen versteckt“, erzählt Julia. Insgesamt sollen 21.000 Bergleute hier zu Uran-Zeiten gearbeitet haben. Viele unter schlechten Bedingungen. Vorschriften wurden nicht eingehalten, um die Akkordleistung zu schaffen. Schutzmasken waren da hinderlich – viele seien an Staublunge erkrankt.

Das sind die Überreste einer Uranfabrik. Hier wurde das Erz zerkleinert.
Das sind die Überreste einer Uranfabrik. Hier wurde das Erz zerkleinert. © Irmela Hennig

Bohrer mit 17 bis 40 Kilogramm Gewicht waren zu halten. Rauchen, essen und trinken während der Schicht sei verboten gewesen. Vor allem junge Männer, die über die Armee in die Schächte abkommandiert worden seien, hätten dem Druck teils nicht standgehalten. „Es gab Selbstmorde“, so Julia. Ein Kuriosum rostet fast am Ende des Ganges vor sich hin – Liegestühle. Eine Weile gab es hier Radon-Kuren. Nun sei das umstritten. Wieder draußen, geht es im Żuk zurück – ins Heute.Kontakt: 0048 660431423, [email protected]

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