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Lokführer hinterm Werkzaun

Auf sechs Schienenkilometern fährt Peter Baas Schwefelsäure und andere gefährliche Stoffe durch das Gelände von Wacker Chemie. Für ihn ein Traumjob.

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© Wacker Chemie Nünchritz

Von Antje Steglich

Nünchritz. Nur mit dem Daumen bewegt Peter Baas die etwa 50  Tonnen schwere Lokomotive. Genau genommen mit dem Daumen und einem kleinen schwarzen Joystick auf der gelben Fernbedienung, die er sich tagtäglich bei Arbeitsantritt vor die Brust schnallt. Peter Baas ist Zugführer bei der Wacker Chemie AG in Nünchritz.

Mit den Männern und Frauen, die im Führerstand eines Regional- oder Fernzugs Hunderte Kilometer am Tag über die Gleise gleiten, ist sein Alltag allerdings nicht zu vergleichen. Denn Zugführer bei Wacker zu sein, bedeutet, kurze Wege zu haben. Insgesamt 5,7 Kilometer an Gleisen liegen im Werk, jede Fahrt dauert hier höchstens wenige Minuten. Denn ab dem Werktor für Züge in Richtung Zschaiten ist die Deutsche Bahn verantwortlich.

Über ihr Netz bringen die Güterzüge in der Regel Kesselwagen voll mit Gefahrgut – vor allem Methanol, aber auch Schwefelsäure oder Natronlauge – aus ganz Deutschland nach Nünchritz oder auch leere Kesselwagen für den Abtransport zum Beispiel der Wacker-Silane. Das letzte Stück geht es über die Gleise der Strecke Leipzig-Riesa-Dresden, und vom Bahnhof Weißig aus gibt es dann einen Privatanschluss für das Chemiewerk. „Die Deutsche Bahn fährt bis zum Werktor, ab hier übernehme ich“, erklärt Peter Baas. Seine Hauptaufgabe ist es, die Kesselwagen im Werk zu verteilen – und dafür muss er viel rangieren.

Weichen stellen mit Muskelkraft

Denn an so einem eingehenden Zug hängen um die 20 Kesselwagen dran, die oftmals auch erst einmal einzeln gewogen werden müssen. Für den 32-Jährigen bedeutet das, immer wieder die schwere Schraubenkupplung und den Luftschlauch für die Bremse zwischen den Wagen zu lösen und einzeln an die blaue Wacker-Lok anzukoppeln. Oft muss dann noch eine Weiche mit viel Muskelkraft gestellt werden, bevor sich Peter Baas auf das Trittbrett vor dem Führerhaus schwingt und die Rangierlok mit der Fernbedienung in Gang setzt. – „Wir bewegen uns draußen an der frischen Luft. Immer. Bei Wind und Wetter“, sagt der Zugführer. Denn sein Platz sei immer an der Spitze des Zuges, wenn er mit maximal 20 Stundenkilometern durchs Werk fährt oder auch nur mit Schrittgeschwindigkeit über die unbeschrankten Bahnübergänge oder durch die Anlagen. Zur Sicherheit drückt er dabei wiederholt einen kleinen silbernen Hebel auf der Fernbedienung, damit ein lauter Pfiff ertönt. Nur selten den roten Knopf für den Nothalt. Etwa 1 000 Kesselwagen kommen jeden Monat auf diese Weise ins Werk rein oder gehen raus. Jeder volle Kesselwagen bringt etwa 80 Tonnen auf die Waage, erklärt der Zugführer. Für die Wacker-Lok ist das allerdings kein Problem – obwohl sie schon 1969 vom Band des damaligen Krauss-Maffei-Werkes bei München rollte. Für eine Rangierlok ist das aber kein Alter, sagt Peter Baas. Seit 2001 sei das 385-PS-Kraftpaket bei Wacker im Einsatz und würde nur alle vier Jahre aufgrund der großen Wartung für ein paar Wochen ausfallen. Dann komme normalerweise eine etwa ebenso alte Leihlok der Baureihe V 22 zum Einsatz. Denn „länger stehen darf es hier nicht“, erklärt der 32-Jährige. Weil die Lagermöglichkeiten begrenzt sind, müssen die Kesselwagen ständig rollen.

Nachts wird nicht rangiert

Dafür sorgt in der Früh- und in der Spätschicht jeweils einer von insgesamt fünf Lokführern im Werk. Für Notfälle gibt es aber selbst zwischen 22 und 6  Uhr einen Bereitschaftsdienst. Normalerweise ist dann aber Rangierruhe, und die Wacker-Lok darf sich in ihrem erst wenige Jahre alten Lokschuppen ausruhen. – Der Job ist kräftezehrend und verantwortungsvoll, findet Peter Baas. Und es ist sein Traumjob.

Gelernt hat er zunächst Kfz-Mechaniker, bevor er sich zum Triebfahrzeugführer für Diesellokomotiven weiterbilden ließ. Für eine Berliner Gleisbaufirma war er danach deutschlandweit unterwegs, bevor er vor acht Jahren beim sogenannten Innerwerktransport von Wacker Nünchritz landete. Dessen Mitarbeiter beliefern alle Anlagen und Einrichtungen im Werk – mit Lkw, Staplern oder eben mit dem Zug. „Die Lok ist mir aber am liebsten, das ist die größte Maschine“, sagt Peter Baas. Und bei seinen zwei kleinen Söhnen hat er damit sowieso einen Stein im Brett. Vom Tor aus durften sich die Knirpse schon mal die blaue Wacker-Lok anschauen – und waren davon mindestens genauso begeistert wie der Papa.