Merken

Lügen Stasi-Akten?

Was der Begriff IM anrichten kann: Betroffene Pfarrer klärten beim Ost-West-Forum auf, wie sie zur Stasi standen.

Teilen
Folgen
NEU!
© Dietmar Thomas

Benjamin Schuke

Der ehemalige evangelische Pfarrer Sigurd Fröhner aus Nossen hatte als Umweltaktivist den Unmut der DDR-Führung erregt, war aber als Mitglied der Prager Friedenskonferenz kein DDR-Oppositioneller. Ein Mitarbeiter der Staatssicherheit schlug ihm daher vor, kircheninterne Dinge weiterzuleiten. Ansonsten seien Österreichreisen tabu. Er lehnte das und Geheimniskrämerei generell ab. In den Akten findet sich sein Name dennoch in der Liste der inoffiziellen Mitarbeiter (IM). Beim Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz ging es am Sonnabend um die Frage: Wie glaubwürdig sind Stasi-Akten?

Der ehemalige Dresdner Hofkirchenpriester Günter Hanisch erfuhr 1993 aus dem Fernsehen, dass er IM gewesen sein soll. Sämtliche Versuche der Stasi, ihn für konspirativen Informationsaustausch zu gewinnen, seien jedoch gescheitert, weil er alle Anwerbeversuche pflichtgemäß seinem Bischoff mitgeteilt hatte. „In meiner Akte, die ein IM John führte, steht für den 8. Mai 1981, ich hätte berichtet, wer zum eucharistischen Weltkongress fahren darf. Ich kannte die Namen gar nicht. Es wird so getan, als hätte ich die genannt“, sagte der 84-Jährige. Die Gauck-Behörde habe das Dogma verbreitet, Stasiakten lügen nicht. Was in den Akten auftaucht, entspreche aber nicht der Wahrheit.

Zwei weitere Gäste auf dem Podium versuchten, die Anschuldigungen einer Stasitätigkeit von Fröhner und Hanisch durch persönliche Berichte zu entkräften. Frank Richter – ehemaliger Kaplan in Dresden und Mitglied der Bürgerbewegung – hatte seit jeher Kontakt zu den Betroffenen und kannte deren DDR-kritische Positionen. Der 72-jährige Ulfrid Kleinert war früher Professor für Diakoniewissenschaft an der Evangelischen Hochschule für soziale Arbeit in Dresden. Er erzählte als Beispiel für die Absurdität des Spitzelvorwurfs von einer Diplomarbeit, in der die Krippenspiele von Sigurd Fröhner analysiert wurden. Die Dramaturgie dieser Aufführungen habe klar Ungehorsam und Mut gefördert. Kontrollversuche der Staatsmacht und mögliche Reaktionen darauf kamen im Stück vor. In der Gemeindearbeit sei eine Distanz zum Regime zum Ausdruck gekommen.

Anlass der Aufruhr um diese und andere Personen ist ein Buch des ehemaligen Oschatzer Superintendenten Martin Kupke, das sich ausschließlich auf Stasiakten als Quelle beruft. In betroffenen Kreisen ist jedoch bekannt, dass diese aufgrund des Belohnungssystems und der Beförderungswünsche in der Stasi unglaubwürdig sind. Im Buch würden damit Unschuldige diffamiert. „Wir sprachen letzten Dezember mit Kupke, doch der wies unsere Gespräche als sinnlos zurück“, sagte Ulfrid Kleinert. „Er interpretiert auch die Akteneinsichtsgewährung des Hannah-Arendt-Instituts als inhaltliche Zustimmung.“ Eine ausgewogene Beurteilung erfordere aber eine Vielfalt an Quellen. „An einem Unfallort vernimmt die Polizei auch nicht nur einen Zeugen“, sagte Frank Richter, der seit 2009 die Landeszentrale für politische Bildung leitet.

Antje Gründig war gemeinsam mit fünf Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde Nossen zur Veranstaltung auf Gut Gödelitz gekommen, um ihre Solidarität mit dem ehemaligen Pfarrer auszudrücken. „Ich war die Maria damals in dem Krippenspiel. Das Buch stellt unseren Pfarrer falsch dar. Er war immer verantwortungsbewusst“, sagte sie. Der Landesbischof habe schon einen Brief über den entstandenen Schaden bekommen.

„Wir müssen Gespräche ermöglichen, in denen Verständigung gelingt“, sagte Frank Richter. Die Begegnung unter vier Augen zwischen einem ehemaligen Leipziger Einsatzleiter bei den Montagsdemonstrationen im Jahr 1989, der „das jetzt abgeschlossen“ hat und dem Nossener Pfarrer war ein erster Anfang.