Merken

Macht Milch wirklich krank?

Früher galt Milch als gesund. Heute ist das anders. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung erklärt, was richtig ist.

Teilen
Folgen
NEU!
Milch ist kein Durstlöscher, sondern ein sehr nahrhaftes Lebensmittel.
Milch ist kein Durstlöscher, sondern ein sehr nahrhaftes Lebensmittel. © dpa/Roland Weihrauch

Die einen schwören auf ein Glas Milch pro Tag. Andere verteufeln sie als Dick- und Krankmacher. Das verunsichert. Was ist dran an der Kritik? Die Sächsische Zeitung sprach darüber mit Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Frau Gahl, ein Kollege trinkt täglich ein Liter Milch, und eine vegane Kollegin gibt ihrer kleinen Tochter gar keine Milch. Wer hat recht?

Wenn der Mann keine Gewichtsprobleme hat und die Mutter darauf achtet, dass das Kind genug Kalzium aus anderen Produkten erhält, muss beides nicht krank machen. Dennoch rate ich von Extremen ab.

Warum beim Mann?

Weil Milch kein Durstlöscher ist, sondern ein sehr nahrhaftes Lebensmittel. Ein Liter Vollmilch enthält 650 Kalorien, so viele, wie in einer Tafel Schokolade stecken. Hinzu kommt, dass bei einem sehr hohen Milchverzehr von mehr als 1,2 Liter pro Tag ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Prostatakrebs beobachtet wurde.

Wie viel Milch pro Tag empfehlen Sie Erwachsenen?

Etwa 200 bis 250 Gramm Milch oder Milchprodukte sowie 30 bis 60 Gramm Käse sind bei Erwachsenen ok. Das wären etwa ein Glas Milch oder ein großer Kaffee Latte oder ein Becher Joghurt sowie zwei Scheiben Käse. Kinder brauchen etwas mehr, sie sind noch im Wachstum und können 350 bis 400 Gramm Milch und Milchprodukte verzehren. Grob bedeutet das: ein Glas Milch, eine Scheibe Käse und einen Becher Joghurt am Tag - am besten in drei Portionen über den Tag verteilt.

Milchkritiker warnen aber vor Milch jenseits des Kindesalters.

Milch und Milchprodukte sind in jedem Alter gute Kalziumlieferanten. Erwachsene wachsen nicht mehr, bei ihnen geht es aber um den Erhalt der Knochenmasse sowie den Schutz vor Osteoporose und Hüftfrakturen. Eine unzureichende Knochenstruktur im Alter erhöht die Wahrscheinlichkeit von Brüchen. Senioren sollten etwa 57 bis 67 Gramm Eiweiß am Tag zu sich nehmen; ein Glas Milch bringt 6 Gramm. Wer sich vegan ernährt, kann Proteine, Vitamin B12 und Kalzium über Spinat, Brokkoli, Beeren, Hülsenfrüchte oder Nüsse aufnehmen. Oder er trinkt Mineralwasser mit mindestens 150 mg Kalzium pro Liter.

Im Handel gibt es auch angereicherte Milch. Braucht es die?

Nein. In den USA wird Milch mit Vitamin A und D angereichert. Dabei enthält Milch sowieso beide Vitamine. Ein weiteres Beispiel ist Kindermilch. Sie wird oft aromatisiert, enthält weniger Protein als Kuhmilch, dafür aber mehr Fett und Zucker. Abgesehen von den Kalorien ist das auch für die Geschmacksbildung ungünstig: Kinder werden auf süß geeicht.

Sie empfehlen Milch, obwohl Studien belegt haben, dass Milch Krebs befördern kann?

Eine Analyse des Max-Rubner-Instituts, des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel, ergab, dass der Verzehr von Milchprodukten das Risiko eines Schlaganfalls reduziert. Zum Thema Krebs: Der Verzehr von Milch und Milchprodukten geht mit einem leicht verringerten Risiko für Dickdarmkrebs einher. Für Prostatakrebs gilt das zum Mann Gesagte.

Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, Milch sei für Kälber gedacht - und damit für Menschen ungeeignet?

Ich entgegne ihnen, dass "artfremde" Milch bereits seit 8000 Jahren als Lebensmittel genutzt wird, weit verbreitet und ein wertvoller Nährstofflieferant ist und wir uns im Laufe der Evolution an den Milchkonsum auch im Erwachsenenalter angepasst haben.

Aber weltweit kann nur eine Minderheit artfremde Milch verdauen.

Das stimmt. Ausnahmen gibt es natürlich, denn nicht jeder Mensch verträgt jedes Lebensmittel. Etwa 70 bis 90 Prozent der Menschen - vor allem in Südeuropa, Asien und Afrika - fehlt das Enzym Lactase. Es spaltet im Körper die Lactose, den Milchzucker, in Einzelzucker, damit diese durch die Darmwand ins Blut übergehen können. Die Menschen auf der Nordhalbkugel haben über genetische Mutation "gelernt", körpereigene Lactase zu produzieren, um Lactose verwerten und verdauen zu können. Doch auch bei uns bildet jeder Fünfte nicht genügend von dem Enzym und verträgt daher den Milchzucker nicht!

Wie äußert sich das?

Die Beschwerden sind individuell sehr unterschiedlich. Betroffenen wird gleich oder auch erst Stunden nach dem Verzehr von Milch, Joghurt, Quark, Sahne oder Käse unwohl, sie bekommen davon Blähungen, Bauchkrämpfe oder sogar Durchfall. Gelangt unverdaute Lactose in den Dickdarm, wird sie von dortigen Bakterien genutzt und abgebaut. Dabei entstehen kurzkettige Fettsäuren und Gase wie Wasserstoff und Kohlendioxid, also Bauchkrämpfe.

Laut Max-Rubner-Institut haben Bauchschmerzen nach dem Milchkonsum bei jedem Dritten andere Ursachen. Wie erfahre ich, ob ich an einer Laktoseintoleranz leide?

Das kann ein Arzt oder Allergologe per Wasserstoff-Atemtest abklären. Das Ergebnis ist auch wichtig, weil Milchzucker oft in verschiedensten Produkten wie Suppen, Eis, Desserts, Back- und Wurstwaren, Kaffeemischgetränken und Fertigprodukten versteckt ist. Auf der Zutatenliste steht dann häufig Trockenmilch, Magermilch- oder Molkepulver. Von Allround-Tests aus der Apotheke oder Bluttests raten wir ab.

Fällt der Test positiv aus, ist dann Milch für den Betroffenen auf ewig ein Tabu?

Ja und nein. Eine Lactoseintoleranz verwächst sich nicht. In den meisten Fällen tritt sie erst im Erwachsenenalter auf. Die Produktion des Enzyms nimmt im Laufe des Lebens ab, sodass es mit den Jahren oftmals schlimmer wird. Ein völliger Verzicht auf Milchprodukte ist aber nur selten nötig. Die meisten vertragen ohne Probleme bis zu zwölf Gramm Lactose - das entspricht etwa einem Glas Milch oder 100 Gramm Milch- oder Joghurteis. Wichtig ist, dass Patienten ihre Toleranzgrenze herausfinden. Sie können zudem zu lactosefreier Milch greifen: Hier wird das Laktase-Enzym schon während der Herstellung zugesetzt, die Lactose also direkt gespalten, sodass sie nicht mehr als Milchzucker vorliegt.

Und Käse?

Viele Lactoseintolerante vertragen gereiften Käse wie Gouda, Edamer, Bergkäse, Parmesan oder Emmentaler. Je reifer der Käse, desto weniger Milchzucker enthält er. Betroffene können - nach Absprache mit ihrem Arzt - vor oder zum Essen auch Laktase-Tabletten einnehmen, die den Milchzucker spalten.

Interview: Martina Hahn