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Männerchor sucht Nachwuchs

Das Ensemble besteht schon seit 1894. Aktuell stehen 24 Sänger auf der Bühne. Es könnten durchaus mehr sein.

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© Bernd Goldammer

Von Bernd Goldammer

Ottendorf-Okrilla. Na, wenn das kein starkes Stück Ottendorfer Kulturgeschichte ist?! Wobei damals 1894, als Ottendorfs Männerchor gegründet wurde, der Männergesang eine wirkliche Überraschung gewesen war. Die eigentliche musikalische Neuerung im 19. Jahrhundert war nämlich der Männerchorgesang, der im Zuge der Umgestaltung des Geisteslebens in der Zeit der Aufklärung entstand, schwärmt die einschlägige Musikliteratur. Carl Maria von Webers Jägerchor aus dem „Freischütz“ zum Beispiel, Carl Friedrich Zelters „Meister und Gesell“ oder Johannes Brahms „Postillions Morgenlied“ – all diese Chor-Werke sind aus schierer Begeisterung für Männergesang geschrieben worden.

Die meisten Männerchöre standen damals für volkstümlich-humanistische Werte in ihrem besten Sinne. Die Kleinstaaterei war überwunden, die Folge: Deutschland stieg wirtschaftlich auf. Repressionen wurden zurückgefahren. Das Sozialistengesetz galt nicht mehr. Neue patriotische Identitäten konnten sich herausbilden. Und auch die Freude am geselligen Männerkreis war ein kultureller Aspekt dieser Jahre. In der Zeit der Romantik, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Kunstformen prägte, wurden die alten Volkslieder wiederentdeckt. Wobei der Ottendorfer Männerchor heute einer der wenigen „Überlebenden“ ist, denn Männerchöre sind in Sachsens Kulturlandschaft selten geworden. Es fehlt einfach an Mitstreitern, die sich auf ein solches Musikerlebnis einlassen wollen.

Mit großer Aura

Auch am Männerchor Ottendorf-Okrilla ist dieser bittere Kelch nicht vorübergegangen. In Glanzzeiten standen bei den Konzerten bis zu 37 Sänger auf der Bühne. Jetzt sind es noch 24. Jeden Donnerstag ab 19.30 Uhr proben die Herren in Ottendorfs Grundschule. In diesen Proben ist die große Aura dieses Chores sofort spürbar. Die Sänger sind sich bewusst, dass sie die großartige Chorgeschichte von über zwölf Jahrzehnten bewahren. Otto Albert, Hans Schäfer, die Liste der Chorleiter ist lang. Im Ottendorfer Männerchor wurden die künstlerischen Leiter Liedmeister genannt. Am 1. Oktober 1984 übernahm Joachim Reppe – ein leidenschaftlicher Musiklehrer im Ruhestand – den Dirigentenstab. Mit 31 Jahren brachte er es auf die längste ehrenamtliche Dienstzeit als Liedmeister des Ottendorfer Männerchores. Seine Zeit ist von enormen gesellschaftlichen Veränderungen geprägt. Ein System verschwand, doch die Freude am Singen blieb unberührt.

2004 bekam der Männerchor für sein über hundertjähriges Bestehen und wegen seiner aktuellen Verdienste die Zelter-Plakette. Als sich der 84-jährige Joachim Reppe im vergangenen Jahr zurückzog, hatte er seinen Nachfolger bereits aufgebaut. 2015 wurde Thomas Rademacher der nunmehr achte Liedmeister der Ottendorfer Männerchor-Geschichte. Auch ihm gelingt es, das Wir-Gefühl der Sänger zu erhalten. Gegenwärtig proben die Männer für den nächsten Auftritt im Barocksaal des Hermsdorfer Schlosses. Aber die größere Herausforderung ist wohl eine andere, wie Bernd Küppers klarstellt, der Vereinschef des Männerchors. „Wir brauchen Männer jeden Alters, die sich für unsere Gesangsform begeistern“, sagt er. Deshalb sind Interessierte bei den Proben wirklich gern gesehen, fügt er an.