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„Man sieht, woran der Mensch starb“

In Riesa sind diese Woche echte menschliche Präparate zu sehen. Ausstellungsmacher Thomas Müller über Tod, Körperspender und A-ha-Effekte.

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© Museum

Herr Müller, ist der Ansturm auf Körperausstellungen seit Gunther von Hagens Körperwelten nicht vorbei?

Sicher ist der Ansturm bei uns nicht so groß, wie bei der ersten großen Körperwelten-Ausstellung. Bei uns müssen Sie dafür in der Regel nicht ewig in der Schlange stehen. Ich würde die beiden Ausstellungen trotzdem nicht gleichsetzen.

Wieso?

Körperausstellung ist nicht gleich Körperausstellung. Bei uns liegt der Fokus auf dem Thema Medizin. Bei fast allen Plastinaten kann man erkennen, woran der Mensch gestorben ist. Während von Hagens eher einen künstlerischen Anspruch verfolgt und zum Teil auch ethisch fragwürdige Exponate ausstellt, geht es bei uns um Bildung. Es kommen Schulklassen, aber auch Menschen, die eine Operation vor sich haben und verstehen wollen, was da mit ihnen gemacht werden soll. Es ist doch kurios. Viele kennen sich heute mit ihrem Auto aus, aber, wenn es um den eigenen Körper geht, sind die Grenzen des Wissens schnell erreicht. Wenn man zum Arzt geht, bleibt einem nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen.

Gibt es eine Altersbegrenzung für die Ausstellung?

Nein. Das Ganze ist auch nicht besonders schauerlich. Bis zu der Vitrine, in der die Haut eines Menschen zu sehen ist, ist vielen gar nicht klar, dass es sich tatsächlich um echte menschliche Körperteile handelt.

Was ist in der Ausstellung zu sehen?

Wir zeigen rund 200 Exponate, die den gesamten Körper sichtbar machen. Wie gesagt geht es bei uns vor allem um medizinische Aspekte. Daher zeigen wir viele Krankheiten wie Speiseröhrenkrebs, Magenkrebs, eine Raucherlunge oder Föten in verschiedenen Entwicklungsstadien. Letzteres hat bei mir zu einem großen A-ha-Effekt geführt. Es ist wirklich Wahnsinn, wie schnell das Leben sprießt.

Woher kommen die Leichen?

Wir sprechen von Exponaten. Was wir zeigen, sind keine Leichen. Leichen sind etwas Verwesendes. Bestatter beschäftigen sich damit. Wir leihen unsere Exponate gegen Gebühr von der American Plastination Corporation. In den USA ist das der größte Anbieter von Plastinaten. Größtenteils beliefert er medizinische Fakultäten und andere Bildungseinrichtungen. Im englischsprachigen Ausland aber auch in Asien ist es wesentlich üblicher, an Palatinaten zu lernen als in Deutschland. Hergestellt werden diese nach dem gleichen Verfahren wie die Plastinate von Gunther von Hagens – aus Körperspenden. Zu Lebzeiten entscheiden sich die Menschen dafür und unterschreiben entsprechende Verträge.

Wie funktioniert das Verfahren?

Kurz gesagt, wird das Wasser aus den Zellen im Vakuum durch Kunststoff ersetzt.

Wie werden die Körper transportiert?

In temperaturbeständigen Alukisten, die man auch von Techniktransporten in Krisengebiete kennt. Jeder Körper hat seine Kiste. Unterwegs sind wir mit zwei Lkw und einem Transporter. Denn wir zeigen unsere Ausstellung ja in ganz Deutschland.

Können Sie es nachvollziehen, wenn Leute die Ausstellung als Störung der Totenruhe empfinden?

Ich kann das nachempfinden, aber der Begriff Totenruhe ist aus meiner Sicht nicht berechtigt. Die Leute haben sich freiwillig entschieden, sich plastinieren zu lassen. Sie wollten der Gesellschaft etwas Gutes tun. Die Eltern der Föten sind froh, dass ihr Kind nicht ganz umsonst gestorben ist.

Haben Sie aus einer Stadt schon mal eine Absage bekommen?

Ja, das ist schon vorgekommen. Die Städte möchte ich allerdings nicht nennen. Bei einer westdeutschen Großstadt ist es daran gescheitert, dass die Verwaltung eine Bestätigung aus den USA haben wollte, dass von jedem Toten eine Einverständniserklärung für die Plastination vorliegt. Die gibt es natürlich. Ein Jurist hat diese für uns eingesehen und das in einem offiziellen Schreiben bestätigt. Den meisten Städten genügt das.

Wie sind Sie in Ihren Beruf gekommen?

Ich habe beruflich überhaupt keinen medizinischen Hintergrund. Ich bin gelernter Messe- und Bühnenbauer. Ich habe damals geholfen, als die Exponate in Deutschland ankamen. Als wir die erste Kiste öffneten, musste ich erst mal zur Beruhigung eine Zigarette rauchen. Inzwischen ist das natürlich Routine.

Das Gespräch führte Britta Veltzke.

Die Ausstellung „Körper - die Lehre der Toten“ ist von Freitag, 24. November, bis Sonntag, 26. November, jeweils von 11 bis 18 Uhr in der Stadthalle Stern zu sehen. Der Eintritt kostet 15, ermäßigt zehn Euro. Thomas Müller wird täglich zwei bis drei Führungen anbieten.