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„Man weiß nie, was kommt“

Kanzler. Wer’s wird oder ob noch alles schief geht, wollen die Spitzen der großen Parteien nicht vor Sonntag offenbaren.

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Von Peter HeimannundSven Siebert,Berlin

Angela Merkel und Edmund Stoiber betraten die Parlamentarische Gesellschaft schon kurz vor 19 Uhr. Gerhard Schröder und Franz Müntefering folgten ihnen wenige Minuten später über die Brücken-Verbindung zwischen dem Bundestagsbürogebäude und dem Abgeordneten-Club. Zu diesem Zeitpunkt kannte noch keiner die Antwort. Als sie auseinander gingen, blieb sie zumindest noch der Öffentlichkeit verborgen. Wer wird der nächste Bundeskanzler? Der amtierende Regierungschef und die drei Vorsitzenden von SPD, CDU und CSU wollen es mindestens bis Sonntagabend, wahrscheinlich bis Montagfrüh für sich behalten.

Angela Merkel hatte sich am Vormittag in Präsidium und Vorstand ihrer Partei ein weiteres Mal Rückendeckung geholt. Die Spitzengremien der CDU schlossen sich der Chefin in der Ansicht an, es sei „eine ausreichende Basis“ für Koalitionsverhandlungen mit der SPD vorhanden. Über den einsamen Merkel-Kritiker Friedrich Merz wurde dem Vernehmen nach nur am Rande gesprochen. Geschlossenheit sei das Erfolgsgeheimnis der Union, hieß es.

Merkel betonte, nachdem man in der Lageanalyse und der Zielformulierung mit den Sozialdemokraten übereinstimme, gehe es nur noch um die „Vertrauensgrundlage“. Zur Herstellung derselben war das „Acht-Augen-Gespräch“ für den Abend angesetzt worden. Und damit dessen Ergebnisse nicht übers Wochenende zerredet werden, hat man für Sonntag eine weitere Runde verabredet – und Stillschweigen noch dazu.

Den Gerüchten wachsen Beine

Was braucht man noch zur Vertrauensbildung? „Ein ganz klares Bekenntnis, dass man keine anderen Optionen mehr verfolgt“, sagte Merkel. Dies sicherte SPD-Chef Müntefering schon nach der Sitzung seiner Parteispitze zu.

Aber was ist mit der Kanzlerfrage? Hat es etwas zu bedeuten, dass Merkel gestern nicht von ihren persönlichen Ansprüchen sprach? Und was heißt es, dass der niedersächsische CDU-Ministerpräsident Christian Wulff nur auf Nachfrage mitteilt, Merkel werde Kanzlerin, „weil sie die Kandidatin der Union ist“?

In Berlin hört man die Flöhe husten, und den Gerüchten wachsen Beine. Gerade wenn man eines abgeschüttelt zu haben glaubt, läuft es einem schon wieder hinterher. „Schreiben Sie Ihre Kommentare nicht zu früh“, riet daher Müntefering. „Man weiß nie, was kommt.“ Manchmal hätten „wir uns alle schon gewundert“.

In den Morgennachrichten wollte Edmund Stoiber laut einer niederbayerischen Zeitung noch Finanzminister werden. Im Mittagsmagazin wurde das genaue Gegenteil behauptet. Ein niedersächsisches Blatt hatte SPD-Kreise aufgetan, um die allbekannte Gewissheit, dass Hans Eichel nicht Finanzminister bleibe, als beinahe sensationelle Neuigkeit zu verkaufen.

Müntefering nahm die Spekulationen, in denen er auch schon als Vizekanzler auftauchte, gelassen. „Die Tatsache, dass man nicht alles dementiert, heißt nicht, dass alles stimmt.“ Ob denn stimme, dass der Bundeskanzler seine politische Karriere auch als Vizekanzler fortsetzen könne, wurde Familienministerin Renate Schmidt gefragt. Er habe im Parteivorstand gesagt, „als Staatssekretär steht er nicht zur Verfügung“, grinste sie: „Tschüss, Ihr Lieben.“ Ein SPD-Fraktionsvize ergänzte, das Vizekanzler-Gerücht sei „völliger Mumpitz“.

Sigmar Gabriel, eine der wenigen SPD-Nachwuchshoffnungen und für so gut wie alles gehandelt, warnte seine Genossen im Vorstand: „Wir müssen von den Bäumen runter.“ Diejenigen, die gar nicht erst raufgeklettert waren, sahen das Ergebnis nüchtern voraus: „Die anderen sind die stärkere Fraktion. Merkel wird Kanzlerin.“ Alles andere müssen wir erhandeln: „Da kann es noch Überraschungen geben.“

Merkel gibt sich entspannt

Angela Merkel jedenfalls wirkte gestern entspannt wie lange nicht mehr. Es gilt zwar als sicher, dass auch sie nicht wusste, mit welchem Angebot Müntefering und Schröder in das Gespräch gehen würden. Doch die CDU-Vorsitzende machte den Eindruck, sie habe auf jede denkbare Variante eine Antwort. Im Umgang mit Männern, die ihr das politische Leben schwer machen wollen, ist sie sehr erfahren.S.4