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Marketing-Experte: Stadt Zittau schöpft ihr Potenzial nicht aus

Hochschul-Professor Clemens Renker hat einen provozierenden Vortrag gehalten und erklärt der SZ, warum.

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© Matthias Weber

Von Thomas Mielke

Zittau. Die Gesichter von Stadträten, Firmenchefs und Verantwortlichen der Verwaltung sind lang gewesen, als Clemens Renker losgelegt hat. Der Marketing-Professor der Hochschule Zittau/Görlitz hat ihnen und allen interessierten Zittauer kürzlich bei einem Vortrag sinngemäß gesagt, dass die Stadt die letzten 25 Jahre bei der Entwicklung und dem Marketing verschlafen hat – und damit heftige Kritik provoziert. In Anspielung auf Studien wie die erst kürzlich heiß diskutierte Empirica-Studie, die den Politikern für die meisten Oberlausitzer Gemeinden eine Art „Sterbebegleitung“ empfiehlt, und der aktuellen Prognos-Studie, die Zittau ganz hinten im deutschlandweiten Vergleich der Städte sieht, teilt er jetzt auf SZ-.Anfrage mit: „Das stimmt sehr traurig für eine historisch, kulturell und landschaftlich sehr reichhaltige Region. Aber die Verhältnisse schön reden, verleugnen oder anderen die Schuld zuschieben, sind keine tauglichen Antworten.“ Kompetenz und Kreativität könnten sich auch in der Provinz entwickeln, willige und fähige Menschen Wohlstand und Werte aufbauen. Das sei kein Privileg von Metropolen oder „Schwarmstädten“, so Renker. Zittau und das Umland könnten punkten, in dem sie das Bedürfnis nach Heimat mit Geborgenheit, Familie und lebenswerter Umgebung nutzen. „Wir leben in der größten Welle zur Urbanisierung in der Menschheitsgeschichte“, so der Professor. „Gerade dabei entwickelt sich aber still der Gegentrend und der Antitrend dazu: Die Regionalisierung in Kleinstädten und eine neue Form von gelebten Dörfern.“ Das sollten Verantwortliche in Kommunen aufgreifen.

Clemens Renker ist Professor für Marketing, Handels- und Banklehre bei den Wirtschaftswissenschaftlern der Hochschule.
Clemens Renker ist Professor für Marketing, Handels- und Banklehre bei den Wirtschaftswissenschaftlern der Hochschule. © Hochschule

Wenn es nach Renker ginge, sollte die Stadt schnellstens sagen: So geht es nicht noch einmal 25 Jahre weiter. „Die obigen Prognosen der Institute lese ich als Warnsignal in der Weise, dass sie nicht eintreffen sollen. Dazu muss aber in einer Welt der steigenden Geschwindigkeit der Veränderung von hiesigen Akteuren sehr rasch und wirkungsvoll dagegen gehandelt werden“, so der Professor, der sich in den laufenden Semesterferien fernab von Zittau um Firmen kümmert. Er empfiehlt, dass sich die Stadt schnellstens ihre Entscheider aus den Bereichen wie Wirtschaft, Hochschulen, Schulen, Kultur, Sport, Generationen oder Soziales an einen Tisch holt, ein einzigartiges Stadtkonzept entwickelt und im Markt positioniert.

Dass ein Aufsteigen von Mittelstädten wie Zittau möglich ist, zeigt unter anderem die Prognos-Studie. Einige „sehr strukturschwache Regionen konnten teils mehr als 100 Rangplätze gut machen“, so Renker. „In anderen Städten, Gemeinden und Landkreisen hatte ich in der Vergangenheit auf Anfrage die Mitübernahme von Verantwortung für Stadt-, Regional- und Bezirksmarketing in schwierigen Lagen übernommen. Alle diese Kommunen werden heute nach konsequenter Umsetzung der Konzepte in der neuen Prognos-Studie als Aufsteigergemeinden mit hoher positiver Zukunftsperspektive hervorgehoben.“ Zittau hätte nie gefragt, ob er helfen könne.

Der gebürtige Franke Renker ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Das hat er 2007 unter anderem dafür erhalten, dass er nach der Wende die Neuausrichtung von 900 klein- und mittelständischen Unternehmen in Ostdeutschland begleitet, als Gründungsvorstand das erste deutsche Stadtmarketing in Schweinfurt erfolgreich mitentwickelt hat und Vorsitzender eines deutschen Industrieverbandes war. Renker lehrt seit 1994 in Zittau.