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Massaker auf der Weide

Auf Weiden südlich von Grimma sterben 46 Rinder, weil ein Landwirt die Vorschriften des Veterinäramts nicht genau eingehalten hat. Nach dem rigorosen Töten auf Anordnung schlagen die Wellen hoch.

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© Bernhard Nathke

Von Thomas Schade

Ein schwarzes Kälbchen ist alles, was Arnd Viehweg von seinen Herden stattlicher Highland-Rinder geblieben ist. Der 66-Jährige hat das wenige Tage alte Tier am vorletzten Sonntag hilflos auf einer seiner Weiden gefunden. Nun päppelt er das Kalb mit der Flasche auf, das den Namen Gertrud bekommen soll. Aber noch ist unklar, ob Gertrud überhaupt weiterleben darf. Denn das Kalb ist das einzige schottische Hochlandrind, das einer Tier-Razzia entgangen ist, die ihresgleichen sucht in Sachsen.

Rinder-Razzia auf den Weiden südlich von Grimma: Mitarbeiter einer Spezialfirma treiben Viehwegs Hochlandrinder zusammen.
Rinder-Razzia auf den Weiden südlich von Grimma: Mitarbeiter einer Spezialfirma treiben Viehwegs Hochlandrinder zusammen. © Bernhard Nathke
Kälbchen Gertrud ist das einzige Rind, das Arnd Viehweg geblieben ist. Noch ist unklar, ob er es vor dem Veterinäramt retten kann.
Kälbchen Gertrud ist das einzige Rind, das Arnd Viehweg geblieben ist. Noch ist unklar, ob er es vor dem Veterinäramt retten kann. © Bernhard Nathke

Was der Amtsschimmel des Landkreises Leipzig auf den viehwegschen Weiden südlich von Grimma veranstaltet hat, wurde auch nach Ansicht von Fachleuten so bei deutschen Rinderzüchtern noch nicht beobachtet. Die Aktion kann mithalten mit dem, was in so mancher Folge Bonanza im Fernsehen geboten wurde. Quasi als Cowboys waren tagelang Dutzende Polizisten und ein professionelles Tiertötungskommando beteiligt.

Am Morgen des 20. Juni fuhren in Großbardau, am Geschäftssitz des Unternehmers, zahlreiche Einsatzwagen vor. In der Luft kreiste stundenlang ein Polizeihubschrauber. Auf den Weiden begann die auf Tierbeseitigung spezialisierte Firma, Viehwegs Herden zusammenzutreiben. Männer in grünen Overalls betäubten die Rinder mit langen Lanzen. Ohrmarken, die Personalausweise der Rinder, wurden kontrolliert.

Alle Tiere ohne Marke waren dem Tod geweiht. Mindestens 45 schottische Hochlandrinder starben in den folgenden Stunden, nur, weil sie sich nicht ausweisen konnten. Augenzeugen zufolge beendeten einzelne Tiere ihr Leben  qualvoll. Trotz Stress und Hitze hätten sie den Stromstoß überlebt, der sie töten sollte, und seien bei 30 Grad Celsius schmerzvoll verendet.

Das Landratsamt widerspricht solchen Darstellungen. Tierärzte hätten die Tötung begleitet, deshalb, so heißt es, „dürfte eine Todesqual ausgeschlossen sein.“ Sicher ist man offenbar nicht. Auf das Ausbluten der Tiere wurde verzichtet, um bei der Hitze ein regelrechtes Blutbad zu vermeiden. Dennoch beeindruckte das Massaker einen Teil der zehn Behördenmitarbeiter vor Ort so sehr, dass das Amt seelsorgerischen Beistand und psychologische Hilfe zur Verfügung stellen musste.

Nach vier Tagen beendete ein Verwaltungsrichter das Töten – vorerst. Er verschaffte 33 nicht identifizierten Rindern zumindest eine Gnadenfrist. Endgültig wollte das Gericht bis Ende vergangener Woche entscheiden. Doch der Termin verstrich. Der Fall liegt offenbar komplizierter als erwartet. Die Entscheidung dürfte der vorläufige Schlusspunkt sein in einem jahrelangen Zwist, in dem ein alteingesessener, mitunter recht eigenwilliger Landwirt und das zuständige Veterinäramt anscheinend unversöhnlich aneinandergeraten sind.

Seit Generationen leben die Viehwegs in Großbardau. Arnd Viehweg, Senior der Familie, leitete in der DDR jahrelang das agrochemische Zentrum, zuständig für die Düngung und den Pflanzenschutz in der sozialistischen Landwirtschaft – bis er sich mit der zuständigen SED-Kreisleitung überwarf, wie er erzählt. Seit der Wende ist er ein umtriebiger Unternehmer, war als Getränkegroßhändler tätig, ist Geschäftsführer eines Hotels und betreibt eine beachtliche Solarstromanlage auf Teilen seiner Felder.

Vor sieben Jahren hatte er begonnen, schottische Hochlandrinder zu halten. Zwei Herden, je 25 Tiere, sagt er. Schlachtreifes Vieh tötete er mit einem Kugelschuss, für veterinärmedizinische Untersuchungen betäubte er die Tiere mit einem Betäubungsgewehr. „Für all das hatte ich die Erlaubnis der Behörden“, versichert Arnd Viehweg. Was der Vater schoss, verarbeitete einer seiner Söhne vorzugsweise zu einer Gourmet-Salami, die auch auf der Grünen Woche in Berlin angeboten wurde.

Produktionsstätte ist ein Schlachthaus mit Kühlraum. Das habe er vor drei Jahren mit allen Genehmigungen gebaut und in Betrieb genommen, sagt Viehweg. Nachdem es einige Wochen genutzt worden sei, habe die Behörde festgestellt, dass die Räume nicht hoch genug waren. Es begann ein Streit, dem von Zeit zu Zeit immer neue Kapitel hinzugefügt wurden. Bereits seit 2012, so das Leipziger Landratsamt, versäume es der Tierhalter in Großbardau, „seine Tiere regelmäßig zu kennzeichnen“.

Arnd Viehweg sagt von seinen Rindern, dass sie naturnah gehalten werden und dass seine Herden auch natürlich zusammengesetzt seien. 42 Kälber, 85 Kühe und 22 Bullen lebten zuletzt in den Koppeln zusammen – ganzjährig. Ställe kennen sie nicht, auch keine Futtergänge oder Klemmeinrichtungen, in denen sie fixiert werden, nur einfache Schutzmöglichkeiten zum Unterstellen. „Auch die Vermehrung erfolgt auf natürliche Weise über längere Zeiträume, Kälber kommen fast das gesamte Jahr über zur Welt“, erklärt Viehweg und spricht selbst von Wildrindern. Andere Fachleute zählen Highländer zu so genannten Robustrassen.

Im Veterinäramt des Landkreises Leipzig sah man das seit dem Jahr 2013 offenbar anders. Dort habe man seine Herden zu Mutterkuhherden umklassifiziert, sagt Viehweg. Zu Kühen, die gesteuert vermehrt werden und die ihre Kälber im Winter im Stall bekommen, wo diese sofort ihre Ohrmarken erhielten. Die amtliche Anordnung hatte fatale Folgen. Ihm seien die Genehmigung zum Abschuss der Tiere und der Einsatz des Betäubungsgewehrs verboten worden, sagt Viehweg und spricht von einer „katastrophalen Entscheidung.“ All das habe zu „unüberbrückbaren Schwierigkeiten“ geführt.

Mit der Zeit entglitten die Herden dem Halter. Immer öfter kam es vor, dass seine Tiere nicht in die Rinderfallen liefen, mit denen er sie nun fangen musste. Beim Treiben in die Triftgänge hätten Bullen mit ihren langen Hörnern andere Tiere verletzt. „Der Stress artete in Tierquälerei aus“, sagt Viehweg. Seine Herden wurden immer größer und verwilderten zusehends, weil sich kaum noch ein Mensch in die Nähe der Tiere wagte, erst recht nicht nachdem ein Bulle im Dezember 2015 den Fahrer eines Gabelstaplers angegriffen hatte.

Thomas Piotrowsky kennt dieses Szenario. Auch er hält Hochlandrinder und ist Sprecher des Verbandes Deutscher Highland-Cattle Züchter und Halter für Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Bei robusten, naturnah gehaltenen Rinderrassen sei es besonders wichtig, dass der Mensch den Kontakt zu seinen Tieren nicht verliert. Mindestens ein- bis zweimal versuche er als Halter, täglich bei seiner Herde zu sein. Dass Ohrmarken verloren gehen, komme bei solchen Tieren vor. Im täglichen Kontakt lasse sich das schnell feststellen und korrigieren. In Großbardau, so vermutet Piotrowsky, habe es diesen Kontakt nicht mehr gegeben.

Auch Arnd Viehweg spricht von verwilderten Rindern, die nicht mehr beherrschbar waren. Im Herbst 2015 beantragte er, das Abschussverbot aufzuheben und den Erwerb eines Betäubungsmittels. „Es wurde verwehrt“, sagt er. Im November vergangenen Jahres, so erzählt Viehweg, sei er beim Versuch, einem Kalb die Ohrmarke einzuziehen fast von einer Kuh zertrampelt worden.

Im Veterinäramt sprach man längst von unzureichendem Herdenmanagement. Beanstandete Mängel seien nicht beseitigt worden, sagt Landkreissprecherin Brigitte Laux. „Man hat immer wieder versucht, dem Halter Lösungen für die Probleme mit den Herden anzubieten.“ Aber der Landwirt habe Anordnungen ignoriert und schließlich jede Kooperation abgelehnt. Im Frühjahr 2016 sollte es zu einer gemeinsamen Kontrolle der Herden in Großbardau kommen.

Nun geben sich der Halter und das Veterinäramt gegenseitig die Schuld daran, dass ein Termin nicht zustande kam. Zu dieser Zeit drohte das Amt längst schon mit Zwangs- und Bußgeldern. Viehweg verlor die EU-Subventionen für seine Weiden und wehrte sich seinerseits mit Strafanzeigen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Briefen an die zuständigen Minister in Dresden und Berlin.

Anfang Mai ist die Situation für den 66-Jährigen offenbar ausweglos. Er ist inzwischen auch gesundheitlich gehandicapt und dreht den Spieß quasi um. Anfang Juni treibt er die Herden seinen Widersachern direkt in die Arme. Schriftlich teilt er dem Landratsamt mit, dass er seine Tiere nicht mehr betreuen könne, und fordert die Behörde auf, ab dem 20. Juni 2016 das Management seiner Herden fortan selbst zu übernehmen. Falls notwendig, stünde er „zur fachlichen Beratung gern zur Verfügung“, schreibt er süffisant hinzu.

Doch nun verzichtete das Amt auf seine Kooperation und rückt am 20. Juni mit einem Großaufgebot an, um die Herden aufzulösen und nicht gekennzeichnete Tiere zu töten. Alternativen stehen offenbar nie zur Diskussion. Mittlerweile versucht das Landratsamt wortreich, das Vorgehen zu erklären. Die Aktion sei anfangs „katastrophal“ kommuniziert worden, heißt es zu der Aktion, die mit der Spitze des Hauses und sogar mit der Fachaufsicht abgestimmt war.

Dennoch sind die Reaktionen heftig. Keiner habe bisher eine solche Massentötung erlebt, nur weil Tiere nicht markiert gewesen seien, heißt es in einer Stellungnahme des Regionalbauernverbandes Muldental. Der Berufsstand sei „entsetzt und fassungslos“, zumal kein Hinweis auf eine Tierseuche vorgelegen habe. „Unverhältnismäßig und nicht nachvollziehbar“ nennt der Verband das Vorgehen.

Der Verein Europäischer Tier- und Naturschutz weist in einem offenen Brief darauf hin, dass die Situation den Behörden seit Langem bekannt war. Ein frühzeitiges Verbot zur Haltung der Tiere hätte „die sinnlose Tötung“ verhindern können. Inzwischen will sich auch der zuständige Kreistag mit dem Fall befassen und der Grünen-Abgeordnete Wolfram Günter verlangt von der Landesregierung Auskunft über die behördeninternen Vorgänge, die zu der Aktion geführt haben. Es gelte zu prüfen, ob die Tötung der Tiere verhältnismäßig und alternativlos war, sagt er.

In Großbardau ist nach der todbringenden Rinder-Razzia wieder Ruhe eingekehrt. Arnd Viehweg hofft, dass er wenigstens Kalb Gertrud retten kann. Bei der zuständigen EU-Generaldirektion habe er um Ohrmarken und einen Rinderpass für Gertrud gebeten – in einem „Gnadengesuch“, wie er sagt. Denn die Mutterkuh sei offenbar dem Massaker zum Opfer gefallen. Über den Fortgang der Dinge will er nun auf einer Internetseite informieren. Sie trägt seinen Namen, nur in etwas abgewandelter Form: „www.vieh-weg.de“.