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Meissen bekennt Farbe

Die Manufaktur nimmt verschärfte Grenzwerte zu Blei nicht kampflos hin. Sachsens Glanz steht auf dem Spiel.

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© Matthias Rietschel

Von Peter Anderson

Meißen. Sauerbraten und Sauerkraut – das ist nichts für Meissener Teller. Bleiben solche Speisen zu lange auf dem Porzellan, können sie unter Umständen die giftigen Schwermetalle Cadmium und Blei aus den Aufglasurfarben lösen. Obwohl Omas Sonntagsgeschirr in der Praxis kaum als Krauttopf verwendet werden dürfte, will die EU-Kommission handeln. Sie plant nach Angaben der Keramikindustrie, den Grenzwert für Blei in Farben um den Faktor 400 auf zehn Mikrogramm pro Liter herabzusetzen, bei Cadmium um den Faktor 60 auf fünf Mikrogramm pro Liter. Hintergrund des Vorstoßes ist der ohnehin hohe Schadstoffgehalt einiger Lebensmittel. Dieser soll nicht weiter gesteigert werden.

Die Sprecherin der Meissener Manufaktur Sandra Jäschke sieht die Brüsseler Pläne nicht als „existenzgefährdend“ für das Unternehmen an. Trotzdem sei ein wichtiger Bereich des Geschäfts bedroht. Wie hoch der Umsatzanteil ausfällt und wie viele Arbeitsplätze auf der Kippe stehen, lasse sich erst sagen, wenn es konkreter wird.

Geteilt werden die Meissener Probleme von anderen europäischen Manufakturen wie Nymphenburg in München, KPM in Berlin oder Augarten in Wien. Das Absenken der Grenzwerte „würde dahingehen, dass wir unser Geschäftsmodell, wie wir es die letzten 300 Jahre gemacht haben, aufgeben müssen“, schätzt der Geschäftsführer von Augarten Thomas König in einem Beitrag für den ÖRF ein. Ähnlich äußert sich der Verband der keramischen Industrie in einem der SZ vorliegenden Positionspapier. Einzigartige deutsche Kulturgüter, die weltweit hoch geschätzt sind, würden schlussendlich nicht mehr produziert, schreiben die Verfasser. Tendenziell weniger betroffen sind dagegen Hersteller industriell gefertigter Keramik wie Kahla in Thüringen oder BHS Tabletop in Franken.

Einer der Fürsprecher für Meissen in Brüssel ist der sächsische EU-Abgeordnete Hermann Winkler (CDU). „Wir haben erreicht, dass erst 2018 über neue Grenzwerte entschieden werden soll“, sagte der Christdemokrat am Donnerstag der SZ. Er habe den Eindruck gewonnen, dass zumindest EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die problematischen Folgen der verschärften Richtlinie verstehe.

Hoffen lässt zudem ein Antwortschreiben des Vizepräsidenten Frans Timmermans auf eine Anfrage Winklers. Darin heißt es, die Kommission werde alles dafür tun, dass neue Rechtsvorschriften „für alle betroffenen Branchen machbar sind, insbesondere für diejenigen, die regionale Waren in kleiner Auflage herstellen.“ Diese Worte deuten auf eine mögliche Ausnahmeregel für Manufakturen wie Meissen hin.

Mehr Metall in Babynahrung

Trotzdem rät Winkler dazu, weiter Druck zu machen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) habe sich bereits für Meißen in Brüssel eingesetzt. Er hoffe zudem auf die europäischen Branchenverbände der Hersteller von Haushaltskeramik und Porzellan, so der CDU-Europaparlamentarier. SZ-Informationen zufolge sind auch Politiker anderer Parteien auf das Thema aufmerksam geworden. So heißt es aus dem Büro der Linken-Abgeordneten Cornelie Ernst, eine Anfrage an die Kommission sei bereits in Arbeit.

Tatsächlich steht für Europas Manufakturen ein ganz wesentliches Merkmal ihrer Produktwelt auf dem Spiel. Der Einsatz von bleifreien Pasten hätte zur Konsequenz, dass der Farbglanz deutlich geringer ausfiele und die Palette an Tönen eingeschränkt würde, so Meissen-Sprecherin Sandra Jäschke. Rund 50 Prozent der keramischen Farben ließen sich den Branchenverbänden zufolge nicht mehr einsetzen. Porzellanfreunde müssten auf Rot-Orange sowie intensives Gelb und Grün verzichten, historische Dekore fielen weg oder würden verblassen. Die neuen Grenzwerte lägen zudem noch unter den für Fleisch, Fisch und sogar Babynahrung geltenden Mengen, argumentieren die Hersteller.

Kritik äußern sie zudem am vorgeschlagenen Testverfahren. Demnach sollten etwa Teller bis zum Rand mit Essigsäure gefüllt und dreimal insgesamt 24 Stunden der Säure ausgesetzt werden. Dies gehe an den Gewohnheiten der Nutzer von aufwendig dekoriertem Aufglasur-Porzellan völlig vorbei. Realistische Verfahren dürften im Gegensatz dazu Ergebnisse liefern, welche im nichtmessbaren Bereich liegen.